Es ist ein trüber Mittwochmorgen in Wittenhofen. Der Regen prasselt ohne Unterlass auf die Vordächer und die parkenden Autos am Pflegeheim St. Sebastian der Stiftung Liebenau. Und doch soll dieser Tag wieder ein wenig Licht ins Leben der 29 Bewohner und ihres Pflegepersonals bringen: Das mobile Impfteam kommt ins Haus, heute sollen Mitarbeiter und Bewohner gegen das Corona-Virus geimpft werden.
Mit zehn Personen rückt das Impfteam an
Im Eingangsbereich herrscht emsige Betriebsamkeit. Kisten werden aus Kleinbussen geladen, Utensilien ausgepackt, zwei große Räume im Erdgeschoss und im Obergeschoss werden hergerichtet. Dort wird das Impfteam in zwei fünfköpfigen Gruppen, geleitet von den beiden Ärzten im Ruhestand, Dr. Wolfgang Schmitt aus Friedrichshafen und Dr. Christian Michaelsen aus Tettnang, die Impfungen vornehmen – den ersten Schwung am Vormittag, den zweiten nach dem Mittagessen.

Bevor ich ins Haus eingelassen werde, muss ich an einem Schnelltest teilnehmen. Zehn Minuten später öffnet sich die Schiebetür: Mein Test ist negativ ausgefallen. Im Haus selbst gilt Maskenpflicht, ich habe meine eigene FFP2-Maske dabei. Am Empfangstresen empfängt mich Yvonne Denzler, die Heimleiterin von St. Sebastian. Seit zwei Wochen werden auch alle Besucher getestet, sagt sie, und regelmäßig auch die Mitarbeiter. Dabei unterstützt der DRK-Ortsverein Deggenhausertal.
Nur zwei Heimbewohner sind jünger als 80
Die Impfungen sind durchgetaktet. „Zuerst sind die Bewohner dran, dann die Mitarbeiter, die sich gemeldet haben“, sagt Denzler. Rund die Hälfte der Mitarbeiter werden sich an diesem Tag impfen lassen, darunter alle, die in direktem Kontakt mit den Bewohnern sind. Die gehören auch in St. Sebastian zur Hochrisikogruppe: Denn nur zwei der Heimbewohner sind jünger als 80 Jahre. Ob sie geimpft werden wollen, entscheiden sie selbst. Fast alle würden das Angebot annehmen, sagt Denzler. Sie ist froh darüber: „Wir alle, aber vor allem auch die Angehörigen freuen sich für unseren Beitrag zu einem Schritt nach vorne in der Pandemie.“ Unter den Bewohnern sind auch demenzkranke Menschen. Für sie entscheidet ihr Vormund darüber, ob sie geimpft werden sollen.
Bis jetzt ist das Pflegeheim in Wittenhofen, anders als etwa die Einrichtungen in Uhldingen-Mühlhofen oder Markdorf, von der Pandemie verschont geblieben. Im Zuge der zweiten Welle gab es keine Infektionen im Haus. Die Chancen stehen gut, dass das auch nach dem heutigen Tag weiterhin so bleiben wird. Denn der zweite Impftermin steht bereits in drei Wochen an, er ist fix terminiert.

Inmitten des geschäftigen Treibens ist Yvonne Denzler ein Ruhepol. Sie zeigt dem Impfteam den Weg, bespricht sich immer wieder kurz mit Mitarbeitern, hat für jeden Bewohner, der an ihr vorbeigeführt oder im Rollstuhl vorbeigeschoben wird, ein Lächeln und ein freundliches Wort. Und sie ist gut gelaunt.
„Es gibt auch sehr viele schöne und erfüllende Momente in der Pflege“, bemerkt sie meine Verblüffung. Diese Botschaft nach außen zu tragen, sei ihr wichtig. Yvonne Denzler ist Pflegefachkraft mit Leidenschaft, das spürt man sofort.
44 Impfungen: Jeder Handgriff sitzt
Unterdessen wird im ersten Stock bereits geimpft. Ein Bewohner nach dem anderen wird in den großen Raum, der zum Behandlungszimmer umfunktioniert ist, geführt. Während eine Mitarbeiterin des Impfteams eine neue Spritze aufzieht, erklärt eine andere der weißhaarigen Dame im Stuhl den Ablauf. Andere protokollieren oder bereiten die Dosen und anderen Utensilien vor. Ein Pieks, abtupfen, ein paar nette Worte und der nächste Patient wird ins Zimmer gebracht.

Vor der Zimmertür sitzt Schmitt, der Arzt. Er hat den Überblick und auch er macht das, was hier seine Aufgaben sind, mit Leidenschaft. Wie Michaelsen hat auch Schmitt sich freiwillig gemeldet. Dass er heute im Team mit seinem Tettnanger Kollegen ist, freut ihn besonders, sagt er: „Wir sind schon seit langem befreundet.“
Auch für den ärztlichen Dienst im Häfler Impfzentrum an der neuen Messe hat Schmitt sich gemeldet und ist seit dessen Öffnung dort ebenfalls im Einsatz. Im vergangenen Frühjahr war er auch schon in der Fieberambulanz mit dabei.
Eine „beglückende“ Tätigkeit, sagt der Arzt
„44 Impfungen sind es heute, acht Ampullen haben wir dabei“, sagt er. Aus jeder Ampulle die vorgesehenen sechs Impfdosen zu bekommen, sei problemlos. Aufwändig hingegen sei der Umgang mit dem Vakzin, das bis zuletzt tief gekühlt sein muss. „Das ist ein komplexes Thema“, sagt Schmitt. „Wenn der Impfstoff aufgelöst ist, ist er noch rund sechs Stunden transportfähig.“
Bleibt am Ende des Tages noch ein Rest übrig, werden weitere Mitarbeiter geimpft. „Das ist für einen Arzt eine sehr beglückende Tätigkeit, die Menschen sind dankbar dafür“, sagt Schmitt über seine neue Bestimmung im Ruhestand, die ihm die Pandemie unerwartet gebracht hat.
Christina Sulger (81): Per Skype nach Australien
Ein paar Türen weiter sitzt Christina Sulger in ihrem abgedunkelten Zimmer vor ihrem Rechner und schaut konzentriert auf ihren Bildschirm. Auf 150 Prozent hochgezoomt, läuft gerade ein You-Tube-Video. Sie dreht sich um, hinter ihrer Maske ist ein Lächeln erkennbar, ihre Augen hinter der Brille blitzen verschmitzt. „Ich schaue mir hier immer gerne meine Lieblingsmusik an“, sagt die 81-Jährige.
Für sie ist das Internet das Tor in die Welt: Fast täglich schaltet sie sich auf der Videotelefonie-Plattform Skype mit ihrer jüngeren Schwester zusammen. Die lebt in Australien. Tausende Kilometer entfernt halten die beiden Schwestern Kontakt zueinander. „Während Corona ist das Reisen ja eh nicht möglich“, sagt Sulger und lacht.

Sie ist heute bereits geimpft worden. Ein „kleiner Pieks“ sei es gewesen, mehr nicht. Mit Pieksen kennt sie sich aus: In ihrem Berufsleben war sie Krankenschwester auf einer Intensivstation. Für sie sei es auch keine Frage gewesen, dass sie sich impfen lassen würde. „Ich habe nicht gezögert und ich hoffe schon, dass ich nun geschützter bin“, sagt sie.
Mit ihren befreundeten Mitbewohnerinnen habe sie sich in den vergangenen Tagen und Wochen intensiv darüber ausgetauscht. In St. Sebastian fühle sie sich wie zuhause, wendet sie sich an Yvonne Denzler, die an der Tür steht: „Wenn ich fortgewesen bin, sage ich immer, ich komme wieder nach Hause“, sagt sie.
Der Wunsch nach Herdenimmunisierung
Im Erdgeschoss ist bei der zweiten Impfgruppe gerade eine fünfminütige Pause. „Wir wünschen uns sobald wie möglich eine Herdenimmunisierung der Bevölkerung, deswegen ist es für uns auch eine hohe Motivation, so schnell wie möglich impfen zu können“, sagt die medizinische Fachangestellte Christine Doni.
Michaelsen weist darauf hin, dass alle Mitglieder der Impfteams ihre Arbeit freiwillig leisten. „Sie werden dafür von ihren Arbeitgebern freigestellt“, erklärt der Arzt. Wie zum Beispiel Andreas Obervoßbeck, der bei der Häfler Luftschiffbau Zeppelin GmbH angestellt ist und heute der Administrator im Team ist.
„Wir wollen alle einen Beitrag dazu leisten, dass die Pandemie so schnell als möglich wieder vorübergeht“, sagt Michaelsen. Alle Mitglieder der Teams seien „hochmotiviert“, ergänzt er: „Und alle gehen auch freiwillig dieses Risiko ein.“

Inzwischen ist es kurz vor Mittag. Draußen schüttet es nun wie aus Kübeln und der Himmel hängt schiefergrau über dem Pflegeheim. Drinnen hingegen ist es heute ein wenig heller geworden, für die Pflegekräfte, die Bewohner und all ihre Angehörigen.