Der erste harte Lockdown wegen der Corona-Pandemie hat alle getroffen. Selbst die, die eigentlich gar kein Zuhause haben, mussten zuhause bleiben. So war das auch bei Tina. Die 27-Jährige ist Konditor-Gesellin und seit dreieinhalb Jahren auf der Walz, also unterwegs. Im März war sie gerade in Oberfranken bei Bekannten und arbeitete nicht. Deshalb hat sie den Lockdown auch problemlos überstanden.

Während der Walz heißt die junge Frau „Tina Fremde Konditorin FBS„. Ihren echten Nachnamen darf sie nicht verraten und während ihrer Wanderschaft als Gesellin nicht führen, er wird ersetzt durch „Fremde Konditorin FBS„. FBS bedeutet Freier Begegnungsschacht. Das ist ein Zusammenschluss von reisenden und einheimischen Handwerksgesellen mit abgeschlossener Gesellenausbildung in einem traditionellen Handwerksberuf. Tina startete im Mai 2017 und war bereits in zehn verschiedenen Ländern in Europa. Seit Anfang November arbeitet sie in der Bäckerei Baader in Frickingen. Sie kommt aus Aarbergen bei Limburg an der Lahn und ist seit etwa dreieinhalb Jahren auf der Walz als Konditor-Gesellin. Sie wuchs mit einem Bruder in einem Bäckereibetrieb auf. Nach der Schule absolvierte sie in Wiesbaden eine Ausbildung zur Konditorin.

Mundschutz hat sie beim Reisen immer dabei

„Als die ersten größeren Lockerungen im Mai kamen, habe ich mich aber sofort wieder ans Reisen herangetastet“, berichtet Tina. „Schließlich reisen wir Wandergesellen ja, um zu arbeiten, und arbeiten, um zu reisen.“ Sie war überrascht, wie gut das funktionierte. Sie ist viel als Anhalterin unterwegs. Mittlerweile zeigt die junge Frau, wenn sie an der Straße den Finger herausstreckt, ihren Mundschutz am Handgelenk – damit jeder weiß, dass sie einen hat. „Ich stehe selten länger als zehn Minuten. Das ist eine von vielen Situationen, in denen meine Kluft definitiv ein Privileg ist.“

Das Reisen zu Corona-Zeiten war sicherlich auch deshalb weniger ein Problem, weil Tina alleine unterwegs war. Es funktioniere aber genauso zu zweit. Wandergesellen werden von anderen Wandergesellen in den ersten zwei bis drei Monaten in das Leben auf Tour eingeführt. „Wir haben uns viele Regeln auferlegt, die man erst einmal verinnerlichen muss“, erklärt die 27-Jährige. „Als mich eine Stuckateur-Gesellin aus München fragte, ob ich sie die ersten Wochen begleiten möchte, habe ich sofort zugesagt.“

Im Juli verschlug es Tina also nach München, um die Novizin abzuholen. Dann waren sie zweieinhalb Monate gemeinsam unterwegs. Sie gehört zu etwa 20 Reisenden, die in der Gesellenvereinigung Freier Begegnungsschacht (FBS) unterwegs sind. Unterwegs gab es bei sehr vielen Menschen allerdings vehementen Aufklärungsbedarf, denn beide waren zwar in einer Kluft unterwegs, aber Tina trägt eine schwarz-weiße und ihre Begleiterin eine beige.

Kluft der Wandergesellen unterscheidet sich

„Der Großteil kennt die Wandergesellen in der schwarzen Kluft“, erklärt die 27-Jährige. „Diese tragen sicherlich auch die meisten.“ Allerdings würden die Gesellen auf der Walz durch die Farbe der Kluft den Gewerken zugeordnet. „Es gibt etwa 40 verschiedene Gewerke, die auf Wanderschaft gehen“, so die 27-Jährige. „In schwarz sind die Gesellen unterwegs, die mit Holz arbeiten. Ich als Konditorin arbeite mit Lebensmitteln und trage deshalb das schwarz-weiß karierte. In Rot reisen die Gesellen, die mit Stoffen zu tun haben.“ Außerdem gebe es noch blau für Metallberufe und beige für Gesellen, die mit Mineralstoffen zu tun haben.

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Die Kluft ist es, was Wandergesellen auszeichnet. „Für mich ist sie Wohnzimmer, Büro, einfach alles“, sagt Tina. „Ich ziehe sie nur zum Schlafen und zum Arbeiten in der Backstube aus.“ Die maßgeschneiderte Kleidung ist für sie Identifikation und macht sie auch „ein wenig stolz“. Sie besteht aus Weste, Hose und Jacke. Das Hemd, auch Staude genannt, ist weiß. Ganz wichtig ist auch ein Hut. „Er bedeutet für mich absolute Freiheit“, bekennt die 27-Jährige. „Ich ziehe ihn vor niemandem.“

Die Wandergesellin Tina in einer Kollage: links trägt sie ihre Kluft und rechts die Arbeitskleidung in der Backstube.
Die Wandergesellin Tina in einer Kollage: links trägt sie ihre Kluft und rechts die Arbeitskleidung in der Backstube. | Bild: Jäckle, Reiner

Im Mai 2017 hatte Tina, die in einem kleinen Bäckerbetrieb aufgewachsen ist, ihre Walz in ihrer Heimat Aarbergen bei Limburg an der Lahn gestartet. Nach der Eingewöhnungsphase hatte es sie als alleinige Reisende zunächst an den Bodensee verschlagen. „Damals habe ich nicht gearbeitet“, erinnert sie sich.

Kontaktaufnahme in Corona-Zeiten anders

Gut drei Jahre später ist sie wieder hier. Dieses Mal allerdings als arbeitende Gesellin. Sie ist Teil des Teams in der Gläsernen Bäckerei Baader in Frickingen. Auf der Suche nach Arbeit musste sie sich auch umstellen im Vergleich zu den Zeiten vor Corona. „Normalerweise gehen wir immer in die Betriebe und fragen nach Arbeit“, erklärt sie. „Das ist momentan natürlich doch etwas unverantwortlich.“ Deshalb hat sie im Vorfeld angerufen. Dies ist allerdings nicht so einfach, denn Wandergesellen sind ohne Handy unterwegs.

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„Als der Anruf kam, war sie mir sofort sympathisch“, erinnert sich Bäckermeister Josef Baader. „Deshalb haben wir sie auch sehr gerne aufgenommen.“ Und die Sympathie beruht ganz offensichtlich auf Gegenseitigkeit, denn Tina spielt mit dem Gedanken, die maximale Verweildauer an einem Platz von drei Monaten in Frickingen auszureizen. „Ich werde über Weihnachten und Silvester in der Nähe von Bremen sein“, sagt sie und betont: „Im Januar komme ich aber definitiv wieder an den Bodensee.“

Ihr großer Traum ist es, nach Israel zu reisen

Wie es dann weitergeht, weiß Tina noch nicht. Klar ist nur, dass ihre Reise nach Frickingen sicherlich noch nicht am Ende sein wird. Allerdings hat sie noch Träume: „Ich würde noch gerne mal nach Israel. Auch die Balkanroute finde ich hochinteressant, denn dort gibt es auf relativ kurzer Strecke sehr viele verschiedene Kulturen.“ Bis es soweit ist, wird Tina Fremde aber noch das eine oder andere Brötchen, die eine oder andere Brezel und vor allem den einen oder anderen Hefezopf backen.