Das Plakat an der Zufahrt zum Klinikum Friedrichshafen ist nicht zu übersehen. „Werde jetzt Pflegekraft im Helios Spital Überlingen„, steht da auf der Litfaßsäule, die für den „wichtigsten Job am Bodensee wirbt“. Im Häfler Krankenhaus findet das keiner lustig, auch wenn sich die Verantwortlichen mit der Kommentierung dieser Aktion zurückhalten. „Wir setzen auf werteorientiertes Arbeiten und nicht auf aggressiven Wettbewerb nach innen oder außen“, erklärt Susan Würzner, Personalchefin des Medizin-Campus Bodensee (MCB), zu dem das Klinikum Friedrichshafen gehört.

Auf die Frage an das Überlinger Krankenhaus, ob man dort diese Form der Abwerbung von Pflegekräften für angemessen hält, geht Claudia Prahtel, Pressesprecherin des Helios Spital, nicht direkt ein. „Wir haben insgesamt 25 Plakatplätze im Umkreis unserer Klinik gebucht – von Singen bis Ravensburg. In Friedrichshafen haben wir eine Fläche belegt“, teilt sie mit – also einzig und allein die Litfaßsäule an der Klinikum-Zufahrt. Prahtel verweist auf die groß angelegte, bundesweite Personalkampagne von Helios, die lokal fortgesetzt werde und auf „Aufmerksamkeit und Wertschätzung für den Pflegeberuf“ abziele. Abwerbung? Auch durch die Eröffnung der neuen geriatrischen Station „können wir derzeit rund 20 Pflegekräfte einstellen“.
Aber auch der MCB hat Probleme, seine freien Stellen im Pflege- und Funktionsdienst zu besetzen, erklärt Susan Würzner. Aktuell sind allein für Gesundheits- und Krankenpfleger in Friedrichshafen 22 Stellen ausgeschrieben. Der MCB habe sich aber für einen Weg der Mitarbeiterwerbung entschieden, der sich „klar von Rekrutierungs-Maßnahmen anderer Kliniken der Region abhebt“, so die Personalchefin. Seit einigen Wochen schaltet der kommunale Klinikverbund beispielsweise Anzeigen, die nicht auf den ersten Blick um neue Mitarbeiter werben. Abgebildet sind MCB-Beschäftigte, die der Kampagne ihr Gesicht geben. Die richte sich vor allem an die ideellen Werte junger Menschen oder auch Quereinsteiger, so Würzner.
Mit einer Image-Kampagne sucht auch die Oberschwabenklinik Ravensburg (OSK) nach neuen Pflegern. 59 neue Vollzeitstellen sollen so besetzt werden. Auch wenn der Titel „Saustark. Unsere Pflege“ nicht überall gut ankommt, zielt der Tenor der Kampagne auch hier auf die Wertschätzung für den Beruf des Pflegers ab. Und trotzdem hakt es bei der Personalpolitik. Bei der Gemeinderatssitzung im Juni räumte OSK-Geschäftsführer Sebastian Wolf ein, dass Personalnot und Fluktuation hoch und verlässliche Dienstpläne daher schwierig zu gestalten sind. Nach dessen Aussagen gewinnt die OSK vor allem über die eigene Ausbildung neue Mitarbeiter oder heuere ausländische Pflegekräfte an. Aber auch die bevorstehenden Veränderungen am benachbarten Krankenhaus 14 Nothelfer in Weingarten, das zum MCB gehört, haben die Ravensburger bei der Personalsuche bereits im Auge.
Ideelle Werte kontra Abwerbung oder Prämienzahlungen? Prämien zahlt auch der MCB, seit vergangenem Jahr beispielsweise für händeringend gesuchte Intensivpfleger. Geld gibt es für die Anwerbung von neuen Mitarbeitern, eine „Einspringprämie“ in der Pflege oder 400 Euro beim ersten Anlauf der bestandenen Prüfung in der Pflege. Das und noch viel mehr fasst der Klinikverbund unter dem Stichwort „MCB up“ zusammen – alles Angebote für Mitarbeiter, die Anreiz sein sollen, sich für das Klinikum als Arbeitgeber zu entscheiden oder dabei zu bleiben. Die Liste ist lang und kreativ, reicht von Mitarbeiterfesten über Personalverkauf in der hauseigenen Apotheke bis zum Mitarbeiter-Rabatt in der Besucher-Kantine oder einem Platz auf der hauseigenen Komfort-Station für den Beschäftigten im Bedarfsfall, auch wenn er gesetzlich versichert ist.
Ob es dabei bleibt? Wie hart das Ringen um Pflegekräfte und die Bandagen inzwischen in anderen Regionen sind, zeigt das Beispiel des Krankenhauses Barmherzige Brüder im bayrischen Regensburg, das größte katholische Krankenhaus in Deutschland. Das hat bereits Vorkehrungen zum „Schutz vor Abwerbung aus der Region“ getroffen und kommuniziert das genauso nach außen. „Wir möchten uns fair verhalten und werben keine Mitarbeiter aus Krankenhäusern in der Nachbarschaft aktiv ab“, steht auf der Internetseite. Wenn andere Häuser diesen Codex aber nicht teilen, sondern aktiv abwerben, müsse man handeln. „Daher bieten wir: Das Doppelte der dortigen Abwerbeprämie.“
Pflege stärken
Viele Krankenhäuser in Deutschland haben das gleiche Problem: Es gibt zu wenig Pflegekräfte, was das vorhandene Personal auf den Stationen überlastet. Um gegenzusteuern, gilt seit Anfang dieses Jahres das Pflegepersonalstärkungsgesetz. Neu geschaffene Stellen in der Pflege müssen zumindest in diesem Jahr nicht die Kliniken finanzieren, sondern die gesetzlichen Krankenkassen. Deshalb versuchen Krankenhäuser seit Jahresbeginn, ihren Personalbestand in der Pflege wieder aufzubauen. Durch diese enorme Nachfrage ist der Stellenmarkt allerdings wie leer gefegt – ein Grund, warum Pfleger und Krankenschwester umworben und auch abgeworben werden.
Dazu kommt, dass Pflegeuntergrenzen eingeführt wurden. Für eine bestimmte Anzahl an Patienten muss eine Mindestanzahl an Pflegekräften da sein. Die Vorgaben gelten vorerst aber nur für pflegeintensive Abteilungen wie Intensivstationen oder die Unfallchirurgie. Krankenhäuser, die diesen Schlüssel nicht einhalten, müssen mit Abschlägen bei der Vergütung der Pflegeleistungen rechnen. Ab 2020 fällt die Pflege aus den medizinischen Fallpauschalen heraus und soll von den Kassen je nach Aufwand bezahlt werden – ein Paradigmenwechsel in der Krankenhausfinanzierung. (kck)