30 Hektar Gewerbefläche auf der grünen Wiese vor den Toren der Stadt Friedrichshafen: Diese Vorstellung treibt manchem Gemeinderat gerade die Zornesröte ins Gesicht. Dabei geht es vorerst nur darum, diese Fläche bei Hirschlatt im Regionalplan für Industrie und Gewerbe zu reservieren. Ob die Stadt innerhalb der nächsten 15 Jahre den zweiten Schritt geht und dort Baurecht schafft, ist damit noch nicht beschlossen.

In Ettenkirch regte sich bereits im November öffentlicher Widerstand. Im Amtsblatt stand nach der Sitzung am 6. November, dass der Ortschaftsrat die potenzielle Gewerbefläche „heftig kritisierte“. Es mangele jetzt schon an einer leistungsfähigen Straßenanbindung, war ein Argument. Das andere: Hirschlatt ersticke durch Berufspendler und Messe im Verkehr. Mit dem dann nötigen Ausgleich einer solch großen Fläche werde zudem „die Landwirtschaft als größter Verlierer dastehen“, war im Ettenkircher Amtsblatt nachzulesen. Und: Man rede dauernd von Arten- und Klimaschutz. Deshalb werde es „für inakzeptabel gesehen, 30,4 Hektar Gewerbe in der freien Landwirtschaft unterzubringen“. Am Mittwoch lehnte der Ortschaftsrat den Vorschlag aus dem Rathaus rundweg ab.

Bild 1: Flächenfraß stoppen oder Gewerbeflächen schaffen: Welche Strategie ist die richtige?
Bild: Bernhardt, Alexander

Kritische Töne aus den meisten Fraktionen

Auch die Diskussion am Montag im Bauausschuss zeigte einen überwiegend kritischen Blick der meisten Fraktionen auf den Vorschlag aus dem Rathaus. Da half auch das Werben von Bürgermeister Stefan Köhler wenig, 30 Hektar seien angemessen und „ob dann gebaut wird, wird damit ja nicht entschieden“. Zum Vergleich: Ravensburg meldet circa 55 Hektar, Baienfurt und Baindt sogar 70 Hektar potenzielle Gewerbefläche, steht in der Ratsvorlage. Dabei ist der Bedarf weitaus höher: Laut eines Gutachtens bräuchte man in der Region zwischen 600 und 1500 Hektar. Einzig Heinz Tautkus (SPD) bezog im Bauausschuss klar und deutlich eine andere Position: „Dass wir uns diese Optionsfläche, die nicht bebaut werden muss, sichern müssen, ist doch klar.“

Regine Ankermann (Grüne): „Kann man sich nicht mal Gedanken darüber machen, ob man nicht auch bei den Gewerbeflächen ...
Regine Ankermann (Grüne): „Kann man sich nicht mal Gedanken darüber machen, ob man nicht auch bei den Gewerbeflächen nachverdichtet?“ | Bild: SK
Jochen Menschenmoser (Freie Wähler): „Wir könnten diese Fläche doch auch als weißen Fleck belassen und sie dann in Ruhe ...
Jochen Menschenmoser (Freie Wähler): „Wir könnten diese Fläche doch auch als weißen Fleck belassen und sie dann in Ruhe entwickeln, wenn wir sie brauchen.“ | Bild: SK
Felix Bohnacker (Grüne): „Während alle Welt von Klimawandel redet, leisten wir uns, Flächen neu zu versiegeln. Wenn es die Option ...
Felix Bohnacker (Grüne): „Während alle Welt von Klimawandel redet, leisten wir uns, Flächen neu zu versiegeln. Wenn es die Option gibt, dann wird sie auch genutzt, das wissen wir doch alle.“ | Bild: SK
Hans Dullenkopf (Freie Wähler): „Wir würden einem Gebiet von 10, 15 Hektar zustimmen. Alles andere ist zu groß und bringt zu viel ...
Hans Dullenkopf (Freie Wähler): „Wir würden einem Gebiet von 10, 15 Hektar zustimmen. Alles andere ist zu groß und bringt zu viel Verkehr nach Ettenkirch und Oberteuringen.“ | Bild: SK
Philipp Fuhrmann (Netzwerk für Friedrichshafen): „Es ist fünf vor zwölf. Unser Planet ist zubetoniert. Wir müssen den Flächenfraß ...
Philipp Fuhrmann (Netzwerk für Friedrichshafen): „Es ist fünf vor zwölf. Unser Planet ist zubetoniert. Wir müssen den Flächenfraß stoppen.“ | Bild: SK

„Das ist eine hochpolitische Entscheidung, die wir hier treffen“, brachte es Simon Wolpold (Netzwerk) im Bauausschuss auf den Punkt. „Wollen wir denn quantitativ weiter in die Fläche wachsen? Wir sollten mal anfangen, anders zu denken“, forderte er und brachte die enormen Parkflächen in der Stadt ins Spiel, die man auch anders nutzen könnte.

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16 Häfler Unternehmen wollen Betrieb erweitern oder verlagern

Doch laut Ratsvorlage steht die Stadt in Sachen Gewerbeflächen bereits mit dem Rücken zur Wand. Aktuell habe die Wirtschaftsförderung der Stadt Kontakt zu 20 Betrieben, davon 16 Häfler Unternehmen, die ihren Betrieb erweitern oder verlagern wollen, heißt es aus dem Rathaus. Dabei ist die Nachfrage weit höher als das Angebot. 5,4 Hektar werden aktuell gebraucht, nur noch 1,4 Hektar seien verfügbar. Bereits heute besteht also ein Nachfrage-Überhang von rund vier Hektar. Und in dieser Rechnung sei der Flächenbedarf der Großbetriebe nicht drin, steht in der Vorlage. Damit würde sich die Nachfrage um ein Vielfaches vergrößern.

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Neue Mitte Fischbach stockt, weil zwei Betriebe nicht umziehen können

Die Flächenknappheit führt zu Problemen, die nun wieder dem Gemeinderat nicht gefallen. Seit 2018 steckt beispielsweise der Bebauungsplan Eisenbahnstraße und damit die Aufwertung der Neuen Ortsmitte in Fischbach in der Warteschleife. Dabei geht es vor allem deshalb nicht vorwärts, weil zwei dort ansässige Betriebe nach wie vor „im Weg“ sind. Die Stadt habe den Unternehmen Verlagerungsoptionen aufgezeigt, antwortet die städtische Pressestelle auf Nachfrage, und man befinde sich in Gesprächen. Aber: „Durch die hohe Flächenknappheit verfügt die Stadt nur über ein sehr begrenztes Portfolio an Angeboten.“ Und was diese Unternehmen an Fläche brauchen, sei „momentan nicht bedienbar“.

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Fläche bei Hirschlatt war auch für das MTU-Materialwirtschafszentrum im Gespräch

Gibt es keine Alternativen? Damit hat sich der Gemeinderat bereits 2010/11 beschäftigt, allerdings nicht öffentlich. Beschlossen wurde im April 2011 ein Strategiekonzept, in dem sechs Potenzialflächen definiert wurden. Eine davon, noch dazu mit erster Priorität, war der Standort Hirschlatt mit 40 Hektar. Der war bereits 2007 als Standort für das neue Materialwirtschaftszentrums der MTU in den Fokus der Planer gerückt. Gebaut wurde das letztlich eben nicht bei Hirschlatt, sondern in Kluftern.

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Eine Alternative zu Hirschlatt war damals noch der Seewald. Eine Fläche von 18 Hektar zwischen Bahn und B 30 schien der Stadt und dem Gemeinderat 2011 noch als verlockendes Potenzial eine künftigen Gewerbefläche – auch für den Regionalplan. Deshalb wurde bereits 2013 schon einmal ein Bebauungsplan für den Seewald auf den Weg gebracht – und politisch gestoppt. Heute weiß man im Rathaus, dass es wohl keine politische Mehrheit im Gemeinderat dafür gibt, für eine größere Gewerbefläche den Wald roden zu lassen.

Stadtverwaltung sieht für Standort Hirschlatt „keine realistische Alternative“

Das Fazit der Stadtverwaltung fällt daher nüchtern aus: Für den Standort Hirschlatt gibt es „keine realistische Alternative“. Das heißt: Meldet Friedrichshafen nicht diese Fläche für die Gewerbeflächenplanung in der Region, dann meldet sie gar keine. Die Entscheidung trifft am Montag der Gemeinderat.