Am Mittag des 21. Februar 2021 muss der Interregio 3045 von Basel nach Ulm bei Tempo 120 auf Höhe des Häfler Ortsteils Kluftern eine Schnellbremsung hinlegen. Auf den Gleisen liegen Holzlatten, Fliesen und ein Stück Ofenrohr. „Wenn da einer im Zug steht, haut‘s ihn um“, sagt der Lokführer knapp eineinhalb Jahre später im Saal 3 des Ravensburger Landgerichts als Zeuge aus.
Wegen des gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr steht jetzt ein 48-jähriger Mann aus Friedrichshafen als Beschuldigter vor der 2. Strafkammer. Psychisch krank, soll er im Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt haben. Oberstaatsanwalt Martin Hengstler sagt: „Der Beschuldigte ist für die Allgemeinheit gefährlich.“
Es kommt viel zur Sprache an diesem ersten Prozesstag. Eine Frau vom Ordnungsamt soll der Mann Tage vor dem Vorfall am Gleis mit dem Hitlergruß beleidigt haben. Einen etwas verwirrten Eindruck habe der 48-Jährige schon gemacht, sagt die Zeugin, aber: „Wir haben es immer wieder mit Personen zu tun, mit denen etwas nicht stimmt.“ Der Beschuldigte, von einem Betreuer aus dem Zentrum für Psychiatrie (ZfP) Weissenau begleitet und neben seinem Verteidiger sitzend, sagt: „Mir tut das leid.“
Und was war mit den Holzlatten auf dem Bahngleis? Einer der beiden Lokführer will aus einem Kilometer Entfernung gesehen haben, wie der Beschuldigte die Bretter auf die Gleise gelegt habe. Auf den Warnpfiff von der Lok hin sei er weggelaufen. Der zweite Lokführer hat die Situation etwas anders wahrgenommen. Passiert ist nichts, sieht man von einem beschädigten Rad an der Lok ab. Aber so etwas dürfe sich nicht wiederholen, ist einsichtig vom Beschuldigten zu hören.
Was jedoch Polizisten heutzutage erleben und verkraften müssen, wird in dem Verfahren brennglasartig deutlich. Bei einer Festnahme des offenkundig psychisch Verwirrten beißt dieser einen Beamten in den Finger. In einem anderen Fall müssen vier Beamte den Tobenden bändigen und sich übelste Beleidigungen anhören. Zitat aus dem Saal 3: „Wenn ich dich im Krieg sehe, erschieße ich dich zuerst.“ Vorausgegangen ist dem Einsatz, während dem diese Worte zu hören gewesen sein sollen, ein Anruf der ehemaligen Lebensgefährtin des Mannes, die Suizidgefahr des Ex befürchtete. Tage später in der Psychiatrie reißt der Mann ein Fenster aus der Verankerung.
Selbstzerstörerische Schübe, aber auch Jahre ohne Probleme
Über 30 Mal soll er in Behandlung gewesen sein. Eine bipolare affektive Störung soll vorliegen, eine psychische Erkrankung, bei der die Betroffenen zwischen Depression und Manie pendeln, ohne diesen Wechsel willentlich kontrollieren zu können. Von sich wiederholenden selbstzerstörerischen Schüben spricht der Mann, aber dass es doch auch Jahre ohne Probleme und Medikamente gegeben habe. Ein Leben mit Wellen des Glücks und Erfolgen im Beruf zieht an den Zuhörern vorbei.
Das Gutachten des Sachverständigen Tobias Hölz vom ZfP Weissenau wird am Montag erwartet. Plädoyers und Urteil der fünfköpfigen Strafkammer folgen anschließend.