Als Hermann Wieland die Post in den Händen hielt, traute er seinen Augen kaum. Er kümmert sich schon seit Jahren als bestellter ehrenamtlicher Betreuer um einen älteren Herrn, der in einer Pflegeeinrichtung in Tettnang lebt. Der 75-Jährige, „der wegen verschiedener Erkrankungen im Rollstuhl sitzt, infizierte sich mit dem Coronavirus und musste am 27. März ins Klinikum Friedrichshafen gebracht werden“, berichtet sein Betreuer.

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Die Krankheit verlief sehr schwer: Er musste beatmet werden und lag wochenlang auf der Intensivstation. „Sein Zustand verschlechterte sich weiter, er musste ins künstliche Koma versetzt werden“, erzählt Hermann Wieland. Er durfte in dieser Zeit nicht besucht werden. Erst am 12. Juni konnte der Patient – von der Krankheit genesen und nach einer Reha – schließlich aus dem Krankenhaus entlassen werden.

Von Zwangsjacken und Handschellen ist in der Verfügung die Rede

Im April traf ein Schreiben der Stadt Tettnang in der Pflegeeinrichtung ein, das der Betreuer aber erst Anfang Juni zu Gesicht bekam, weil keine Briefe ins Krankenhaus weitergeleitet wurden. Die „Anordnung der Absonderung in häusliche Quarantäne„, datiert vom 18. April, machte Wieland sprachlos. Denn besonders einfühlsam mutete die Wortwahl des amtlichen Schreibens nicht an, angesichts der Tatsache, dass der 75-Jährige fast an der Covid-19-Infektion gestorben wäre.

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Nach der Information darüber, dass er bis zum 26. April und nach einer Entlassung aus einem Krankenhaus weitere 14 Tage in Quarantäne zu bleiben habe, heißt es: „Sie dürfen Ihre Wohnräume nicht verlassen und keinen Besuch empfangen. Sie werden der Beobachtung unterworfen.“ Zudem wird er verpflichtet, ein Tagebuch über Aktivitäten und Kontaktpersonen zu führen. Zum Schluss heißt es in dem Brief, der dem SÜDKURIER vorliegt: „Für den Fall, dass Sie diesen Anordnungen nicht nachkommen, wird die zwangsweise Absonderung in einem geschlossenen Krankenhaus oder einem abgeschlossenen Teil eines Krankenhauses angedroht.“

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Die Zwangsmaßnahmen, die bei Verstoß gegen diese Anordnung drohen könnten, werden eingehend und detailliert beschrieben. Unter anderem heißt es: „Einfache körperliche Gewalt gegen Personen kann sein ein Festhalten, Zurückdrängen ... die Anwendung von Polizeigriffen, ein Stoßen, Schlagen mit der bloßen Hand. Hilfsmittel der körperlichen Gewalt sind beispielsweise Polizeihunde oder Pferde, aber auch Handschellen oder Zwangsjacken.“

Heimbewohner sollte noch 14 Tage in Quarantäne bleiben

„Dieser Ton ist einfach untragbar, so kann man doch nicht mit Menschen umgehen, die gerade eine schwere Corona-Infektion überwunden haben. Als bestellter Betreuer frage ich mich, wie in der Diktion hier mit jemandem umgegangen wird, der selbst für die Ansteckung überhaupt nichts kann und sich schon den behördlich angeordneten richtigen Vorsorgemaßnahmen unterworfen hatte“, so Hermann Wieland.

Hermann Wieland, bestellter Betreuer: „Dieser Ton ist einfach untragbar, so kann man doch nicht mit Menschen umgehen, die gerade ...
Hermann Wieland, bestellter Betreuer: „Dieser Ton ist einfach untragbar, so kann man doch nicht mit Menschen umgehen, die gerade eine schwere Corona-Infektion überwunden haben.“ | Bild: Hans Noll

Dazu kommt, dass der alleine hilflose Mann auch nach der Rückkehr aus dem Krankenhaus, betreut vom Pflegepersonal, für sich in seinem Zimmer hätte bleiben müssen – ohne die Möglichkeit Besuch zu empfangen, obwohl er coronafrei war. Problematisch sei zudem, dass der 75-Jährige nicht alleine aufstehen oder sich fortbewegen kann und zudem schwere Folgeschäden von der Corona-Erkrankung davontrug. „Bis heute kann er wegen der langen Beatmung noch nicht richtig sprechen“, erklärt sein Betreuer.

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Der gesetzlich bestellte Betreuer beschwerte sich bei der Stadt Tettnang. „Ich habe darum gebeten, diese Anordnung umgehend aufzuheben. Denn ich hatte ja überhaupt keinen Zugang zu ihm.“

Gesundheitsamt nimmt nach Beschwerde die Anordnung zurück

Die Stadt Tettnang meldete sich bei ihm bisher nicht zurück, dafür aber das Gesundheitsamt Friedrichshafen, das ihm nach einigen Tagen mündlich mitteilte, dass die Quarantäne-Anordnung aufgehoben sei. „Sie haben sich damit entschuldigt, dass die Entscheidung schon vom 18. April stammte“, erzählt der Betreuer. Er kann nun endlich den 75-Jährigen wieder besuchen und versuchen, ihn zu unterstützen.

Stadt Tettnang nimmt auf SÜDKURIER-Anfrage Stellung

Die Stadt Tettnang nimmt auf Nachfrage dieser Zeitung Stellung zu dem Fall. „Der Herr hat wie jeder andere Erkrankte im Bodenseekreis vom zuständigen Ordnungsamt die Absonderungs-Verfügung erhalten. Diese Verfügungen sind standardisierte Texte, die vom Landratsamt vorgegeben sind“, schreibt Judith Maier von der Stadtverwaltung. Zudem sei die Stadt lediglich für die Zustellung der Verfügungen zuständig.

Seit Beginn der Pandemie 1532 Menschen in Quarantäne

Seit Beginn der Corona-Pandemie mussten 1532 Menschen im Bodenseekreis in behördlich angeordnete Quarantäne. Vermutlich haben sie alle genau dieses Schreiben bekommen – in juristisch einwandfreiem Beamtendeutsch, aber ohne jede Empathie.