„Diese drei Wintermonate kamen mir vor wie drei Jahre“

Bild 1: Ein Jahr Corona, ein Jahr Ausnahmezustand: Menschen aus Friedrichshafen und Umgebung ziehen (Zwischen-)Bilanz
Bild: Kerstin Mommsen

AjdinaJujic, 22 Jahre, Krankenschwester am Klinikum Friedrichshafen und auf einer der Corona-Stationen tätig: „Das letzte Jahr war für mich und meine Kollegen eine große psychische und körperliche Belastung. Neben dem Zeitdruck, dem Stress, dem Personalmangel bei uns im Krankenhaus, war es vor allem schwer zu ertragen, dass so viele Corona-Patienten bei uns gestorben sind. Es war schwierig für mich, dass die Patienten alleine sterben mussten, und dass ich nicht so viel Zeit hatte für sie, wie ich gerne gehabt hätte. Schwierig war auch, dass so wenige unserer Patienten gesund wieder entlassen werden konnten, nur wenigen ging es besser, die Mehrheit starb an Corona. Vor allem die Monate November, Dezember und Januar in der zweiten Welle waren furchtbar. Diese drei Wintermonate kamen mir vor wie drei Jahre. Das ganze letzte Jahr war für mich ein Jahr der Depression. Im Dezember steckte ich mich selbst auf der Station mit Corona an und war danach drei Wochen krank. Vor einem Jahr, als die Corona-Pandemie begann, waren wir nicht darauf vorbereitet. Keiner wusste, was kommen würde. Und dann waren meine Kollegen und ich einfach mittendrin. Ich hoffe nun sehr, dass wir keine dritte Welle mehr bekommen werden. Ich persönlich würde das auf jeden Fall nicht verkraften.“

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„Unsicherheit in der Politik, im Unternehmen und in der Familie“

Sonja Venger
Sonja Venger | Bild: Privat

Sonja Venger, 46, Unternehmerin und Mutter von zwei Kindern aus Friedrichshafen: „Januar 2020. Es sieht gut aus. Energiehaushalt stimmt. Das Unternehmen, das ich mit langjährigen Weggefährten gegründet hatte, wird im Sommer sein zehnjähriges Jubiläum feiern. Der Sohn hat den Einstieg in die Schule gut geschafft und die Tochter beginnt mit der Vorschule. Ich hatte zumindest den Alltag – beruflich und privat – im Griff. Ende 2020. Es sieht nicht gut aus. Energiehaushalt, was war das? Seit Mitte März herrscht große Unsicherheit. In der Politik, im Unternehmen und in der Familie. Unsicherheit bedeutet Angst. Was ist, wenn ich meine Arbeitnehmer nicht mehr bezahlen kann? Wie soll Homeoffice funktionieren, wenn gleichzeitig die Schulen und Kitas geschlossen sind? In einer Familie mit zwei berufstätigen Elternteilen ist das unmöglich. Es macht die Familien und die Kinder kaputt.“

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„Im zweiten Lockdown stellte sich manches anders dar“

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Bild: Anette Bengelsdorf

Karl-Heinz Götz, 60, Friseurmeister, Inhaber Götz Friseur-Team, Friedrichshafen: „Quasi über Nacht wurden wir im März 2020 aus unserem Alltag gerissen. Alles war gut und plötzlich fehlte der Kontakt zu den Kunden. Die Soforthilfe ging umgehend auf dem Konto ein, Hilfsbereitschaft und Entgegenkommen von Institutionen und Lieferanten war groß. Im zweiten Lockdown stellte sich das schon anders dar. Die Überbrückungshilfe drei konnte erst in der zweiten Februarhälfte beantragt werden und trotzdem war es mir ein Anliegen, meinen Angestellten Weihnachtsgeld zu bezahlen. Die Anforderungen, unter denen wir jetzt arbeiten sind dieselben wie im vergangenen Jahr. Waren die Hygienemaßnahmen damals noch eine Herausforderung, sind sie jetzt Routine. Wir wurden vermisst, wir sind jetzt auf Wochen ausgebucht, nehmen uns aber für jeden einzelnen Kunden genauso viel Zeit wie früher.“

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„Muss ich mir jetzt einen Kühlschrank für den Impfstoff kaufen?“

Bild 4: Ein Jahr Corona, ein Jahr Ausnahmezustand: Menschen aus Friedrichshafen und Umgebung ziehen (Zwischen-)Bilanz
Bild: Anette Bengelsdorf

Irmgard Levenhagen, 54, Apothekerin, Inhaberin See-Apotheke Immenstaad: „Am Anfang war ich überwältigt von der Hilfsbereitschaft. Als der Alkohol knapp wurde, brachte mir ein Winzer seinen Vorlauf, damit ich Desinfektionsmittel machen konnte. Später setzte die Bevorratungsphase ein, weil viele fürchteten, ihre Medikamente nicht mehr zu bekommen. Schließlich wurden wir von einer Welle von Touristen überrollt, die unter normalen Umständen nicht Urlaub am Bodensee gemacht hätten. Ich danke meinem Team dafür, dass es trotz dieser Herausforderungen so mitgezogen hat. Von der Politik wünsche ich mir mehr Planungssicherheit. Zum Besorgen der Gratis-Masken blieben uns nur wenige Tage. Und muss ich mir jetzt einen Kühlschrank für den Impfstoff kaufen?“

„Im November und Dezember hat es uns mit großer Wucht getroffen“

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Bild: Lena Reiner

Prof. Dr. Christian Arnold, 52, Chefarzt und ärztlicher Leiter der Corona-Task-Force des Klinikums Friedrichshafen: „Anfangs bedeutete Corona vor allem einen hohen administrativen Aufwand. Wir haben damit gerechnet, dass uns die erste Welle mit gleicher Wucht trifft wie die südeuropäischen Länder. Es hat uns extrem viel Kraft, Aufwand und Zeit gekostet, das alles zu planen. Letztlich ist es dann gut gegangen. Dafür hat es uns dann im November und Dezember mit besonders großer Wucht getroffen. Wir haben eine Vielzahl stark erkrankter Corona-Patienten bekommen, wir hatten viele Todesfälle zu beklagen. Da wir seit Frühjahr vorbereitet waren, konnten wir sehr schnell reagieren. Trotzdem sind wir an unsere Grenzen gekommen, was die Zahl der zu versorgenden Patienten betraf. Leider hat sich auch herausgestellt, dass die Schnelltests, die wir seit Oktober bei Aufnahme durchführen, zwar genau sind, aber bei Weitem nicht so genau wie die PCR-Tests aus dem Labor. So gab es immer wieder Infektionsfälle bei Patienten, die wegen einer anderweitigen Behandlung aufgenommen worden waren. Inzwischen betreiben wir ein sehr intensives Sicherheitskonzept mit PCR-Tests, durch das vor Aufnahme bei geplanten Eingriffen auch Infektionen bei asymptomatischen Patienten auffallen.“

„Manchmal möchte man sagen: Seid doch einfach freundlicher“

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Bild: Andrea Fritz

Christine März, Bäckereifachverkäuferin aus Tettnang, 50 Jahre: „Es war ein anstrengendes Jahr, obwohl wir nicht mehr das verkaufen, was wir vorher verkauft haben. Das Drumherum ist so anstrengend. Am Anfang, als das Café noch offen war und man sich in eine Liste eintragen musste, mussten wir immer wieder diskutieren, warum und wieso das so ist. Dann kam die Maskenpflicht und auch da war viel Aufklärungsarbeit nötig. Es gab aber auch Kunden, die Mitleid mit uns hatten und sagten, es sei schön, dass sie noch zu uns kommen könnten. Ich dachte, durch die Kurzarbeit hat man mehr Zeit und alles wird entspannter, das ist aber nicht so. Es gibt immer neue Beschlüsse und es ist auch dieses Ankeifen wenn mal einer ohne Maske rumläuft oder den Abstand nicht einhält. Man würde manchmal gern sagen: Jetzt seid doch einfach ein bisschen freundlicher.“

„Toll, wie uns Gäste und Kunden unterstützen“

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Bild: Lena Reiner

Michael „Mike“ Dilnot, 30, Besitzer der „Minibar“ und Gründer von Botanix Gins, Friedrichshafen: „Mein Highlight im letzten Jahr war, als wir zwischen den zwei Lockdowns die ‚Minibar‘ eröffnen durften: Direkt am ersten Tag waren alle Plätze belegt. Und danach hatten wir an jedem Tag eine Warteliste, selbst montags und dienstags. Der Tiefpunkt des Jahres war, als wir nach drei Wochen und fünf Tagen die Minibar wieder schließen mussten. Und ein weiteres ‚low‘ war dann, als unser Steuerberater uns gesagt hat, dass wir die Hilfen nicht bekommen werden. Weil die Minibar eine Zweigniederlassung unserer GmbH für Botanix Gins ist, sind wir nicht insgesamt geschlossen und können deshalb keinen Antrag auf staatliche Hilfen stellen. Letztes Jahr haben wir dann als Gastronomie ‚to go‘ geöffnet und die ganzen Flaschenbiere verkauft. Wir hatten um die 2000 Flaschen da. Das lief gut, die Regale sind fast leer, so dass wir wirklich nichts wegschütten mussten. Das ist immerhin etwas. Und es ist toll, wie unsere Gäste und Kunden uns die ganze Zeit unterstützen.“

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„Wir dachten nicht, dass so etwas nochmal passiert

Bild 8: Ein Jahr Corona, ein Jahr Ausnahmezustand: Menschen aus Friedrichshafen und Umgebung ziehen (Zwischen-)Bilanz
Bild: Lena Reiner

Birgit Martin, 50, Inhaberin Rieger Moden, Friedrichshafen: „Das letzte Jahr war ziemlich nervenaufreibend, das kann man so sagen. Wir wussten nicht, was auf uns zukommt, mussten schließen. Als wir wieder öffnen durften, hat uns das enorm gefreut und wir dachten nicht, dass so etwas nochmal passiert. Doch dann mussten wir erneut schließen. Wie es aktuell ist, mit der Terminvergabe, ist auf jeden Fall ein Anfang. Wir freuen uns, wieder da zu sein und die Kunden freuen sich auch und rufen fleißig an, um Termine auszumachen. Jetzt hoffen wir nur, dass bald alle Branchen gleich behandelt werden. Das ist aktuell alles aus den Fugen geraten, die Buchhandlung darf Ostersachen verkaufen, andere Geschäfte nicht. Und dann hoffe ich noch, dass alle gut durchhalten und das normale Leben ganz normal weitergehen kann.“

„Das war schon etwas unheimlich“

Bild 9: Ein Jahr Corona, ein Jahr Ausnahmezustand: Menschen aus Friedrichshafen und Umgebung ziehen (Zwischen-)Bilanz
Bild: ZF Friedrichshafen AG

Vanessa Krajnc, 27 Jahre, Monteurin bei ZF vor allem für Lkw-Getriebe TraXon: „Als Corona in die Nachrichten kam, dachte ich erst, das geht schneller vorbei. Schon bald kamen wir in Kurzarbeit, von Früh-, Spät- und Nachtschicht arbeitete nur die Frühschicht. Auf eine Woche Arbeit folgten also zwei Wochen Pause. Das war schon etwas unheimlich. Zum Glück war ab Sommer wieder mehr zu tun. Inzwischen ist die Kurzarbeit beendet, die strikten Hygienemaßnahmen sind geblieben. An die Masken, den Abstand, die Arbeit ohne Kontakte habe ich mich gewöhnt – aber ich freue mich schon darauf, die Pausen mit den Kollegen wieder ohne Plexiglas-Trennscheiben zu verbringen. Und außerhalb von ZF sehne ich mich nach Sport im Fitness-Studio und im Sommer mit Freunden draußen sitzen und einen Kaffee trinken zu können. Auch das Reisen fehlt mir, ein Urlaub am Meer. Ich bin gesund geblieben und zuversichtlich, dass es mit der Corona-Pandemie bis Herbst besser wird.“

„Für die Selbstfindung war diese Zeit ganz wichtig“

Bild 10: Ein Jahr Corona, ein Jahr Ausnahmezustand: Menschen aus Friedrichshafen und Umgebung ziehen (Zwischen-)Bilanz
Bild: Corinna Raupach

Max Rastic, 18 Jahre, Schüler an der Claude-Dornier-Schule: „Ich sehe keinen Nachteil darin, online zu lernen. Unsere Schule hat das gut organisiert. Sogar in den Sprachen, da ist das Sprechen ja ganz wichtig. Aber es kam auch online nicht zu kurz. Ich glaube, dass diese Zeit für die Selbstfindung ganz wichtig war. Wir mussten lernen, uns selbst zu organisieren und zu motivieren. Wir konnten nicht in Deckung gehen, wir haben gleich gesehen: Wenn ich etwas nicht gemacht habe, habe ich es nicht gemacht. Der eine oder andere weiß jetzt besser, wo sein Weg hingehen könnte. Ich habe für mich herausgefunden, dass ich nach dem Abi lieber eine Ausbildung anfange als ein Studium. Wir wissen jetzt auch, wer unsere wirklichen Freunde sind. Und wir haben gelernt, immer mehrere Pläne zu machen. Falls Plan A nicht funktioniert, braucht man einen Plan B. Schade ist, dass ich meinen 18. Geburtstag nur mit vier Leuten feiern durfte.“

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„Ich sage meinen Schülern: Chicos, macht das Beste daraus“

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Bild: Corinna Raupach

Cristina Garcia Martinez, Lehrerin an der Claude-Dornier-Schule: „Am Anfang war es sehr anstrengend, von Null auf 100. Wir hatten noch nie eine Lernplattform gesehen, aber unsere Informatik-Kollegen haben uns gleich alles gezeigt. Die Schüler haben von Anfang an super mitgemacht. Nach einem Jahr haben wir uns daran gewöhnt. Wir haben hier alle Möglichkeiten. Wir arbeiten mit zwei Plattformen, die Schüler sind mit PC, Handy, Tablet oder per Telefon dabei. Jeder Schüler hat meine Telefonnummer, ich habe im Frühjahr mit jedem telefoniert. Ich denke immer positiv. Ich bin gesund, meine Familie in Spanien ist gesund, meine Schüler sind gesund. Ich sage ihnen: Chicos, macht das Beste daraus, macht Sport, geht spazieren, belohnt euch, wenn etwas gut geklappt hat. Ich mache das auch. Natürlich ist es traurig, dass ich meine Familie in Spanien lange nicht gesehen habe. Aber wir treffen uns auf Zoom und trinken mal einen Wein miteinander.“

„Im Atelier ist es trostlos, kalt und muffig“

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Bild: Corinna Raupach

Brigitte Meßmer, 63 Jahre, Künstlerin, Friedrichshafen: „Ich habe im letzten Jahr nicht mehr in meinem Atelier gearbeitet, da ich keine Kurse geben konnte. Wenn ich da reinkomme, ist es trostlos, kalt und muffig. Das muss gefüllt werden mit Leben. Ich hatte vor, meine Archetypenkurse wieder aufzunehmen, die Prospekte und Flyer waren schon gedruckt. Auch Schulunterricht gebe ich gerade nicht. Den Fernunterricht im Fach Kunst habe ich als sehr schwierig erlebt. Das ist kein Vergleich zu dem, was ich aus den Jugendlichen herausholen kann, wenn ich neben denen stehe. Die Malerei kann man immer machen, das mache ich zu Hause. Ich habe eine Serie gemalt, die Dunkelmorgenbilder. Ich war oft schlaflos im letzten Jahr, da habe ich morgens um vier diese Bilder im Dunkel gemalt. Aber die Ausstellungen, die anstanden, sind alle abgesagt worden. Einige wie die zum 60-jährigen Jubiläum unserer Kirchengemeinde werden wohl komplett flachfallen.“

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„Der größte Teil der Fahrgäste hält sich an alle Vorgaben“

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Bild: Andrea Fritz

Katrin Zunker, 53 Jahre, Busfahrerin, Friedrichshafen: „Ich fand das vergangene Jahr nicht ganz so schlimm. Viele mussten ja zu Hause sitzen. Für mich ist es einfach wichtig, dass ich jeden Tag zur Arbeit gehen kann, ich wollte das schon immer machen, Bus fahren war mein Traum und ich habe gesagt: Wenn meine Kinder groß sind, dann fahre ich Bus. Ich bin froh, dass ich so meinen Teil dazu beitragen kann, dass auch andere zur Arbeit gehen können. Ich fahre Bus seit 2006 und seit 2012 bin ich hier in Friedrichshafen. Was Corona betrifft: Der allergrößte Teil der Fahrgäste hält sich ja an alle Vorgaben und hat Verständnis. “