300 Euro Lohn für sechs Wochen Arbeit auf dem Erdbeerfeld – das wollten 18 georgische Erntehelfer, die im Frühjahr 2021 auf einem Obsthof in Friedrichshafen beschäftigt waren, nicht akzeptieren. In einem spektaktulären Prozess verklagten sie mit Unterstützung der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau), dem Verein „Mit Recht bei der Arbeit!“ (Mira) und der katholischen Betriebsseelsorge den Landwirt, der ihnen den Großteil ihres Lohns nicht auszahlen wollte. Das Arbeitsgericht Ravensburg gab ihnen Recht, allerdings legte der Landwirt Revision ein. Schließlich endete der Prozess nach eineinhalb Jahren im Dezember 2022 mit einem Vergleich vor dem Landesarbeitsgericht.

Bild 1: Nach Erntehelfer-Prozess: Wie sind die Bedingungen für Saisonarbeiter jetzt?
Bild: Felix Kästle
„Jetzt weiß jeder, mit welchen Problemen Erntehelfer kämpfen.“
Levani Idadze, ehemaliger Saisonarbeiter

„Für uns war es richtig und wichtig, dass wir vor Gericht gezogen sind und uns gewehrt haben“, sagt Levani Idadze bei einem virtuellen Pressegespräch, zu dem Gewerkschaften, Vereine und Betriebsseelsorge eingeladen haben. Idadze lebt mittlerweile fest in Deutschland, macht eine Ausbildung in der Gastronomie. „Jetzt weiß jeder, mit welchen Problemen Erntehelfer kämpfen und dass es dringend nötig ist, politische Verbesserungen zu haben“, betont er.

Problem: Die Arbeitszeit wird nicht erfasst

Das wohl dringlichste Thema: die fehlende Arbeitszeiterfassung in Branchen mit vielen saisonalen Arbeitskräften aus dem Ausland. Weder in der Landwirtschaft noch auf Baustellen sei die Stechuhr oder eine virtuelle manipulationssichere Erfassung der Arbeitszeiten Standard, sagt Andreas Harnack von der IG Bau Baden-Württemberg. Das sei auch in zweiter Instanz vor dem Landesarbeitsgericht das Problem gewesen. Der Landwirt wollte schließlich nicht zahlen, weil die Arbeiter angeblich gar nicht voll gearbeitet hätten. „Die Arbeitnehmer hätten selbst nachweisen müssen, wie lang sie wann gearbeitet haben“, so Harnack, „das konnten sie nicht.“ Das sei insbesondere dann problematisch, wenn – so die gängige Praxis bei Erntehelfern – auf Abruf gearbeitet werde.

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Missbrauchen Landwirte die Schutzlücke?

„Zwar müssen alle Arbeitgeber laut einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts die Arbeitszeit erfassen, aber aus der Nicht-Erfassung ergeben sich aktuell keine rechtlichen Folgen“, erläutert Sabine-Agathe Häussler-Sahakian vom DGB Rechtschutz. Hier müsse der Gesetzgeber dringend nachbessern und Arbeitnehmer so besser schützen. „Wenn das Gesetz diese Gruppe von Beschäftigen nicht vor Unrecht schützen kann, muss die Bundesregierung das Gesetz verändern! Es kann nicht sein, dass Arbeitgebende in der Landwirtschaft durch diese Schutzlücke geradezu eingeladen werden, Saisonarbeiter auszubeuten“, sagt auch Margarte Brugger vom Verein Mira.

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Zudem mahnen Gewerkschafter und Vereine an, dass die Politik bereits vorab die Regierungsabkommen sorgfältiger gestalten sollte. „Es muss auch für alle Beschäftigten klar sein, wo und wie sie sich wehren können, wenn die Arbeitsbedingungen schlecht oder nicht so wie versprochen sind“, erklärt Harnack. Menschen, die kaum Deutsch sprechen, sich in dem Land nicht auskennen, seien umso abhängiger von einer verantwortungsvollen Politik. „Kontrollstellen sind oft chronisch unterbesetzt“, erklärt Ben Luig vom Europäischen Verein für Wanderarbeiterfragen. Der bisher einzige Weg Lohnansprüche individuell durchzusetzen, müsse außerdem um die Möglichkeit der Verbandsklage erweitert werden, ergänzt Brugger.

Ein Unterkunft auf dem Erdbeerhof in Ailingen, der stark in die Kritik geraten ist. Das Bild stammt aus dem Frühjahr 2021.
Ein Unterkunft auf dem Erdbeerhof in Ailingen, der stark in die Kritik geraten ist. Das Bild stammt aus dem Frühjahr 2021. | Bild: Katholische Betriebsseelsorge

Haben sich die Zustände auf dem Obsthof verbessert?

Idadze und seine Kollegen haben damals auch mit einem Video die Bedingungen, unter denen sie auf dem Erdbeerhof gelebt haben, öffentlich gemacht. „Menschenunwürdig“, nannte Werner Langenbacher, ehemaliger katholischer Betriebsseelsorger, der sich gemeinsam mit Margarete Brugger um die Erntehelfer kümmerte, die Bedingungen auf dem Obsthof. Das Bildmaterial zeigt stark sanierungsbedürftige Sanitär- und Waschräumen, barackenartigen Schlafräume, teils mit zugemauerten Fenstern.

So sahen die Behausungen für die Erntehelfer auf dem Erdbeerhof aus Video: Katholische Betriebsseelsorge

Einmal monatlich habe Langenbacher das Gesundheitsamt angerufen und über die Zustände berichtet, so Brugger. „Das Gesundheitsamt hat schließlich 30 Mängel festgestellt, aber unseres Wissens hat der Landwirt bis heute nicht mal ein Bußgeld dafür bekommen!“, berichtet Brugger. Das Landratsamt Bodenseekreis, bei dem auch das Gesundheitsamt angesiedelt ist, sah sich am Mittwoch nicht in der Lage, die SÜDKURIER-Anfrage nach den Zuständen auf dem Obsthof zu beantworten.