Der mediale Aufschrei war heftig. Kaum war die Entscheidung verkündet, „Christoph 41“ müsse Leonberg verlassen, hagelte es dort massive Kritik an der Entscheidung des Landesinnenministeriums. Der FDP-Landtagsabgeordnete Hans-Dieter Scheerer etwa nannte das ganze Verfahren zur Neuordnung der Luftrettung in Baden-Württemberg erbost „intransparent“. Da halfen auch zwei Petitionen nicht, die in Friedrichshafen und Leonberg zusammen mehr als 50.000 Unterstützer fanden.

Auf Distanz zur eigenen Partei

Im Leonberger Gemeinderat gehen sogar Grüne und CDU auf Distanz zur eigenen Regierung. „Das ist klar eine falsche Entscheidung“, ließ der Grünen-Fraktionschef Bernd Murschel verlauten, der mal selbst im Landtag saß. Der Leonberger CDU-Chef Oliver Zander haut in die gleiche Kerbe. Sein Stadtverband könne nicht nachvollziehen, wie „Dinge am Grünen Tisch aufgrund eines Gutachtens einfach so entschieden werden“. Die Enttäuschung sei groß, zumal Staatssekretär Wilfried Klenk (CDU) persönlich zu einer Diskussion eingeladen war, der er nicht folgte.

Stau auf der Autobahn A8 in der Nähe des Leonberger Dreiecks: Am Verkehrsknoten passieren viele Unfälle.
Stau auf der Autobahn A8 in der Nähe des Leonberger Dreiecks: Am Verkehrsknoten passieren viele Unfälle. | Bild: Christoph Schmidt

Leonberg ist in der gleichen Situation wie Friedrichshafen. „Christoph 41“ ist seit 35 Jahren am Klinikum stationiert und am Autobahndreieck Stuttgart viel im Einsatz. Dass der Hubschrauber nun ans BG-Klinikum nach Tübingen verlegt werden soll, hält auch Oberbürgermeister Martin Georg Cohn (SPD) für „inakzeptabel“. Er hat Gespräche mit dem Böblinger Landrat Roland Bernhard (CDU) angekündigt, der sich genauso enttäuscht und frustriert äußerte. Mehr noch: Jetzt soll geprüft werden, ob man kreisübergreifend und zusammen mit dem Klinikverbund nicht einen eigenen Flugrettungsbetrieb auf die Beine stellen kann.

Volker Wenzel, Chefarzt und Zentrumsdirektor an der Klinik für Anästhesie, Intensivmedizin, Notfallmediziner und Schmerztherapie in ...
Volker Wenzel, Chefarzt und Zentrumsdirektor an der Klinik für Anästhesie, Intensivmedizin, Notfallmediziner und Schmerztherapie in Friedrichshafen, zeigte im Vorfeld der Entscheidung, dass es die „Versorgungslücke“ im Landkreis Sigmaringen nicht gibt. | Bild: Cuko, Katy

In Friedrichshafen hingegen wird die Entscheidung akzeptiert, die Basis für „Christoph 45“ ins Deggenhausertal nach Wittenhofen zu verlegen – wenn auch von manchem nur zähneknirschend. Bis es soweit ist, dürften drei bis fünf Jahre ins Land gehen. Selbst Volker Wenzel, Chefarzt der Notfallmedizin am Klinikum Friedrichshafen, blieb zum Schluss in der Deckung. Monatelang hatte er wie ein Löwe darum gekämpft, die Argumente gegen den Abzug von „Christoph 45“ weg vom See zu Gehör zu bringen.

„Wenn Verlegung unvermeidbar ist...“

„Wenn eine Verlegung unvermeidbar ist“, erklärte er nach der Entscheidung letzte Woche, dann sei der Standort im Deggenhausertal am sinnvollsten. Schließlich liege die Versorgungslücke auf der Schwäbischen Alb nordwestlich, Bavendorf hingegen nordöstlich von Friedrichshafen. So erreiche der Helikopter innerhalb von 20 Minuten Flugzeit potenziell mehr Menschen in der Versorgungslücke als von Bavendorf aus. Dass es diese Lücke überhaupt gibt, hatte er in den vergangenen Monaten immer bestritten.

Der Rettungshubschrauber unterwegs zum Einsatz am See.
Der Rettungshubschrauber unterwegs zum Einsatz am See. | Bild: Cuko, Katy

Gleichzeitig hofft Volker Wenzel, dass das Notarzt-Team vom Medizin Campus Bodensee (MCB) auch nach der Verlegung des Hangars im Einsatz bleiben kann. Seit 1980 besetzt das Klinikum den Hubschrauber. Ob das auch künftig gelingt, bleibt abzuwarten. Denn nicht nur die Stationen selbst, sondern auch der ärztliche Betrieb wird europaweit neu ausgeschrieben. Heute betreibt die DRF Luftrettung sieben der derzeit acht Hubschrauber, auch in Leonberg und Friedrichshafen. Neben dem MCB haben die Oberschwabenkliniken (OSK) Ravensburg Interesse bekundet, Notärzte für „Christoph 45“ zu stellen.

Personal kein Thema im Gutachten

Allerdings war das Thema Personal im Gutachten nicht relevant. Es sei nicht betrachtet worden, ob hinter einem Standort eine Klinik steht und Personal von dort gestellt werden kann, erklärte dessen Autor Stephan Prückner auf Nachfrage unserer Zeitung. Es sei heute Standard, dass die Besatzung inklusive Arzt jederzeit im Hangar sitze, weil der Hubschrauber binnen zwei Minuten ausrücken müsse. Der Arzt, der Flugdienst habe, könne daher keine anderen Aufgaben in einer Klinik übernehmen. Die geübte Praxis, noch dazu beim anhaltenden Fachkräftemangel, sieht anders aus. Festzustellen bleibt, dass von künftig zehn Standorten für Rettungshubschrauber im Land nur zwei fernab einer Klinik stationiert sein werden. Einer davon ist im Deggenhausertal.