Es ist kurz nach sieben Uhr morgens. Sven Hübschen und Alexander Schule stehen vor der Ludwig-Dürr-Schule in Friedrichshafen. Alle paar Minuten hält ein Auto vor der Schule. Kinder steigen aus und laufen die letzten Meter zum Klassenzimmer. Je näher der Unterrichtsbeginn rückt, desto hektischer wird es. „Hast du den?“, fragt Sven Hübschen seinen Kollegen und zeigt auf einen Kleinwagen. „Da ist wieder einer zur Straße ausgestiegen.“

Darauf achten die Verkehrsbeobachter

Sven Hübschen und Alexander Schule vom Auto Club Europa (ACE) sind an diesem Tag vor Ort, um den morgendlichen Bringverkehr zu beobachten. Dazu gehören Schüler, die zu Fuß, mit dem Bus oder Fahrrad kommen und Eltern, die ihre Kinder mit dem Auto fahren – auch Elterntaxi genannt.

Ihre Beobachtungen tragen Sven Hübschen (links) und Alexander Schule in den Auswertungsbogen ein.
Ihre Beobachtungen tragen Sven Hübschen (links) und Alexander Schule in den Auswertungsbogen ein. | Bild: Lisa Sperlich

Mit Klemmbrett in der Hand führen die beiden Strichlisten. Wer hält im Halteverbot oder in zweiter Reihe? Wer parkt auf dem Gehweg oder in der entgegengesetzten Fahrrichtung? Steigen die Kinder zur Fahrbahn oder zum Gehweg aus?

„Wir wollen niemanden an den Pranger stellen“

An diesem Morgen tritt eine Mutter an Sven Hübschen und seinen Kollegen heran. Sie fragt, ob sie nun mit einem Strafzettel rechnen muss. „Wir sind nicht das Ordnungsamt, wir wollen nur auf die Problematik aufmerksam machen“, erklärt Hübschen. Situationen wie diese zeigen jedoch: Vielen Eltern ist durchaus bewusst, dass sie in diesem Moment etwas Unzulässiges tun.

Sven Hübschen ist Regionalleiter beim ACE.
Sven Hübschen ist Regionalleiter beim ACE. | Bild: Lisa Sperlich

Eines ist den Verkehrsbeobachtern besonders wichtig: „Wir wollen niemanden an den Pranger stellen“, sagt Hübschen. „Es geht uns darum, auf das Thema aufmerksam zu machen.“ Wenn sie besonders gefährliche Situationen beobachten oder die Auswertung im Nachhinein überdurchschnittlich schlecht ausfällt, tritt der ACE in Kontakt mit der Schule.

Schule zeigt sich zurückhaltend

Das ist an diesem Tag in Friedrichshafen nicht der Fall. Trotzdem hat sich der SÜDKURIER nach der Verkehrsbeobachtung an die Ludwig-Dürr-Schule gewandt und wollte wissen, welche Vorkehrungen die Schule für einen sicheren Schulweg trifft. Die Schulleitung reagierte leider nicht auf mehrmalige Anfrage.

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Auch der ACE registriert ein ähnliches Verhalten seitens der Schulen. Im Vorfeld werden die Schulen informiert und erhalten die Möglichkeit, bei der Initiative mitzuwirken. „In 60 Prozent der Fälle erhalten wir keine Reaktion“, erzählt Sven Hübschen. Dabei zählen auch freiwillige Maßnahmen der Schulen wie Schülerlotsen oder andere Projekte in die Bewertung ein – und geben Pluspunkte.

„Kiss & Go“-Bereiche könnten eine Lösung sein

Sven Hübschen hat Verständnis für Eltern, die ihre Kinder mit dem Auto zur Schule fahren – gerade bei großer Entfernung im ländlichen Raum oder durch äußere Einflüsse wie Starkregen oder ein gebrochenes Bein. „Als Vater oder Mutter sollte ich mir aber die Fragen stellen: Muss ich mein Kind bis vor das Klassenzimmer bringen?“

Nur kurz halten, Schulranzen schnappen und rausspringen: Ob die Kinder zur Fahrbahn oder zum Gehweg aussteigen, zählt mit in den ...
Nur kurz halten, Schulranzen schnappen und rausspringen: Ob die Kinder zur Fahrbahn oder zum Gehweg aussteigen, zählt mit in den Bewertungsbogen rein. | Bild: Lisa Sperlich

Dafür eignen sich sogenannte „Kiss & Go“-Bereiche – wie etwa am Flughafen. Konkret bedeutet das einen sicheren Kurzzeitparkplatz in der Nähe der Schulen, wo Eltern ihre Kinder absetzen, sich über einen Kuss verabschieden und dann weiterfahren können. Einen solchen Bereich gibt es allerdings nur an wenigen Schulen in Baden-Württemberg.

Diese Tipps empfiehlt der Experte

Es reiche aber schon, wenn man die Kinder 200 bis 500 Meter vor der Schule absetzt, so Sven Hübschen. „Dann haben sie wenigstens noch über die kurze Distanz Kontakt mit dem Straßenverkehr.“ Auch Fahrgemeinschaften mit Eltern aus der Nachbarschaft, deren Kinder eventuell den gleichen Schulweg zurücklegen müssen, seien eine gute Alternative.

Am besten sei es jedoch, wenn die Kinder den Schulweg selbst bestreiten. „Damit Kinder den Umgang im Straßenverkehr lernen, müssen sie recht viel selbst unterwegs sein“, erklärt der Experte. In diesem Fall empfiehlt er Eltern, den Weg im Vorfeld mehrfach zu üben und die Kinder in der ersten Zeit zu begleiten, bis sie alleine zurechtkommen.

Wie schneidet Friedrichshafen ab?

Das Gesamtergebnis an der Ludwig-Dürr-Schule ist ernüchternd – vorwiegend durch 65 dokumentierte Halteverstöße durch Elterntaxis. In diesem Bereich vergeben die Verkehrsbeobachter die Note mangelhaft. Sven Hübschen weist jedoch darauf hin, dass die Rahmenbedingungen am Straßenrand die Situation mit beeinflussen: „Da die gesamte Straße hier im eingeschränkten Halteverbot liegt, ist ein korrektes Halten praktisch unmöglich.“

Das Verkehrsschild weist auf ein eingeschränktes Halteverbot zu Schuldbeginn und -ende hin. Viele Eltern halten sich jedoch nicht daran.
Das Verkehrsschild weist auf ein eingeschränktes Halteverbot zu Schuldbeginn und -ende hin. Viele Eltern halten sich jedoch nicht daran. | Bild: Lisa Sperlich

Deutlich besser fällt die Bewertung bei den örtlichen Gegebenheiten aus, für die die Kommune verantwortlich ist: Breite Gehwege, verkehrsberuhigte Zonen und klare Strukturen sorgen dafür, dass die Ludwig-Dürr-Schule in dieser Kategorie gut abschneidet. Die Basis stimmt also – nun liegt es an den Eltern, auch entsprechend verantwortungsvoll zu handeln.