Mit Kind und Kegel ist Adeline Beiter heute zur Verdi-Demo gekommen. Viele Jahre war sie Anästhesistin, Intensivmedizinerin und Notärztin im Klinikum Friedrichshafen und hat Menschen das Leben gerettet. Seit Januar ist sie angestellte Allgemeinmedizinerin in einer Praxis in Fischbach.

„Die Ökonomisierung des Gesundheitswesens war für mich in der Klinik nicht mehr zu ertragen“, sagt sie. Sie habe es einfach nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinbaren können, wie sie Patienten abfertigen musste. „Dieses System ist völlig überfordert“, sagt sie, „und man wird den Menschen einfach nicht mehr gerecht.“
„Der Pflegenotstand eskaliert völlig“
Aussagen, die sich vor dem Graf-Zeppelin-Haus, wo zwei Tage lang die Gesundheitsministerkonferenz stattfindet, auf vielen Plakaten lesen lassen. „Wer pflegt uns?“ steht zum Beispiel auf einem Banner, das Karin aus Langenau in die Höhe hält. Seit 45 Jahren ist sie Pflegefachkraft in einem Altenheim. „Ich habe mehrere Pflegenotstände erlebt, aber jetzt eskaliert es völlig“, ist sie sich sicher. Ihren Nachnamen sagt sie uns nicht, ebenso wie Conni, die bei den Mobilen Diensten der Evangelischen Heimstiftung in Friedrichshafen arbeitet. Sie sieht das alles ähnlich: „Wir sind so kaputt und würden einfach auch gern früher in Rente gehen.“

Karl Lauterbach verhandelt noch mit Christian Lindner
Verdi-Landesfachbereitsleiterin Irene Gölz tritt auf die Bühne. „Gesundheitsminister Karl Lauterbach kann leider nicht kommen“, sagt sie kurz nach der Begrüßung. Laute Pfiffe und Buh-Rufe. Denn eigentlich war der Gesundheitsminister zum Gespräch mit den Beschäftigten angekündigt, so wie sein Kollege Manne Lucha auch. Lauterbach sei verhindert, weil die Haushaltsverhandlungen in Berlin länger dauern, so Gölz. Verhandlungen, in denen es auch um die Pflege geht, in der Finanzminister Christian Lindner Milliarden Euro einsparen will.

Die Zentrierung der Kliniken hat Auswirkungen
Unten am See stehen Felicitas Fatty, Normen Küttner und seine Frau Elke Messner-Küttner. „Wer rettet den Pflegedienst?“ – steht auf dem Plakat von Fatty, die bereits knietief im Wasser steht. „Wenn man Kliniken zentriert, muss man auch an den Rettungsdienst denken“, sagt Fatty, die gemeinsam mit Küttner als Notfallsanitäter für das Deutsche Rote Kreuz im Landkreis Konstanz arbeitet.
Erst neulich hätten sie wieder eine Schwangere von Singen nach Tuttlingen in den Kreißsaal fahren müssen, weil sonst alles belegt war. „Das bindet so viel Zeit, da fehlen wir dann für andere Einsätze“, erklärt Küttner. Seine Frau Elke ist Intensivkrankenschwester im Konstanzer Klinikum: „Die Situation ist einfach total unbefriedigend. Man arbeitet und arbeitet und hat nie Zeit, seine Arbeit ordentlich zu machen.“
Verdi: Das Gesundheitssystem ist unterfinanziert
Die Krankenhausreform, aber auch die Umstellung des alten Fallpauschalensystems (DRGs), ist eines der wichtigsten Themen. Drinnen, wo die Ministerinnen und Minister aller Bundesländer tagen, aber auch draußen, wo die Beschäftigten mit Pfiffen und lauten Rufen ihre Forderungen deutlich machen. Verdi-Landesfachbereitsleiterin Irene Gölz sagt: „Die Ministerinnen und Minister ringen heute und morgen hier in Friedrichshafen über Ausrichtung und Details der geplanten Reform der Krankenhäuser. Die aktuelle Unterfinanzierung der Krankenhäuser wollen sie alle nicht beenden. Das ist allerdings die Grundvoraussetzung, damit eine Reform Wirkung zeigen kann.“ Zudem warnt sie davor, dass die Versorgung in vielen Bereichen – so wie jetzt bereits in der Langzeitpflege – gefährdet sei, wenn die Politik sich nicht um den Personalmangel kümmere. Dazu gehörten auch Personaluntergrenzen – die eingehalten werden müssten.

Und dann wäre da noch das Schulgeld
Ziemlich weit vorne sitzen Amélie Koch und ihre Mitschülerinnen und Schüler. Sie stehen noch ganz am Anfang ihres Berufslebens und besuchen derzeit das Diakonische Institut Dornstadt, um sich dort als Ergotherapeutinnen und Therapeuten ausbilden zu lassen. „Wir bezahlen 160 Euro im Monat Schulgeld“, berichtet die 20-jährige Koch. Hinzu kämen Fahrtkosten, teilweise auch Mieten. „Bei einigen finanzieren das die Eltern, andere halten sich mit Nebenjobs über dem Wasser“, sagt sie. Und das für die Ausbildung in einem Mangelberuf, in dem akuter Fachkräftemangel herrscht. Ob sie überhaupt noch Lust auf die Arbeit in einer Pflegeeinrichtung hat, wenn die Bedingungen offenbar immer schlechter werden? „Es macht mich sehr glücklich, anderen helfen zu können“, sagt Koch.

Am Ende geht die Pflege dann noch baden – und schickt symbolisch einen Notruf vom Bodensee. Dutzende Pflegekräfte und Verdi-Beschäftigte hüpfen vor dem Graf-Zeppelin-Haus ins Wasser.
Und: Karl Lauterbach schafft es doch noch aus Berlin an den Bodensee, um gemeinsam mit Manne Lucha und den anderen Gesundheitsministern kurz vor die Verdi-Beschäftigten zu treten. Am Donnerstag tagt die Gesundheitsministerkonferenz erneut. Mit weiteren Protesten ist zu rechnen.