Herr Nitsche, Sie bezeichnen sich derzeit noch gerne als Pensionärsazubi – wieso das denn?

Ich bin ja erst ein Jahr in Pension. Das Ausgewöhnen aus dem 45-Minuten-Rhythmus des Schullebens fällt mir zwar leicht, aber ich bin immer noch etwas aktiv. Zum Beispiel unterrichte ich an der VHS Englisch – und das leidenschaftlich gern. Aber die restliche Zeit zwanglos zu gestalten – das ist das neue, sehr entspannte Lernen.

Was ist denn die nächste Qualifikationsstufe für den Pensionärsazubi?

(lacht) Nach sehr vielen Studienreisen nach England mit Schülern und Erwachsenen, werde ich mein eigener Reiseführer und erkunde Deutschland. Ich habe einst Kollegen telefonisch von Markdorf aus gezielt zu Sehenswürdigkeiten in London gelotst. Und dabei festgestellt, dass ich das im eigenen Land in vielen Städten nicht könnte. Das muss unbedingt nachgeholt werden.

Wie viele Jahre waren sie Lehrer und wie viele davon am Bildungszentrum Markdorf – was war der Anlass, sich für den Lehrerberuf zu entscheiden?

43 Jahre, davon 39 in Markdorf. Da muss ich etwas ausholen. Nach dem Abitur war ich zwei Jahre Zeitsoldat in Mengen. Das war damals die erste Möglichkeit, finanziell unabhängig zu werden. Ich war bei der Luftwaffe und habe Grundwehrdienstleistende ausgebildet, das war die Initialzündung für meinen späteren Beruf als Lehrer. Im Nachhinein gesehen, bin ich unheimlich froh, dass die Bundeswehr dazwischen war. Sonst hätte ich wohl BWL oder Informatik studiert, weil‘s halt einfach damals modern war.

Warum Initialzündung?

Wir hatten in Mengen einen sehr guten Ausbilder, ich entschloss mich, ebenfalls Ausbilder zu werden. Das hat mich trainiert, vor Menschen frei zu sprechen und ihnen Wissen zu vermitteln – da waren ja die unterschiedlichsten Typen dabei... Durch die ständigen Wiederholungen des Stoffs habe ich an Sicherheit gewonnen. Da kam mir die Idee ‚Mensch, das ist etwas für mich, das kann ich doch auf anderer Ebene weitermachen‘.

Und wie ging‘s dann weiter?

Das Studium an der Pädagogischen Hochschule Weingarten von 1972 bis 1976, Fachrichtungen Englisch und Bildende Kunst. Ab ‚76 folgte die zweite Phase – das heißt heutzutage Referendariat – an der Teck-Realschule in Kirchheim unter Teck. Dort habe ich dann noch bis Januar 1980 unterrichtet. Aber ich wollte ja unbedingt wieder zurück in Richtung Bodensee...

Und warum haben Sie sich um eine Stelle am BZM in Markdorf beworben?

Ich habe erstmals Markdorf und die Leute während eines Fasnetumzugs durch die Narrenmaske erlebt, denn ich war mal Mitglied der Narrenzunft Wangen. Und ich habe festgestellt, wie viel Freude die Markdorfer an der Fasnet haben. Die Kompaktheit des Städtchens hat mit gefallen. Es gab ja alles, was eine junge Familie brauchte. Einzelhandel, Bäcker, Metzger, Supermarkt, Kindergärten, Schulen, ein Krankenhaus... Das waren alles Gründe, warum ich Markdorf und dem BZM zugesagt habe. Während der zwei Anfangsjahre am BZM habe ich ein Aufbaustudium zum Reallehrer an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe absolviert. Bis zum Ruhestand war ich dann am BZM.

Haben Sie jemals gezählt, an wie vielen Wettbewerben in Bildender Kunst Sie mit Ihren Schülern teilgenommen und wie viele Auszeichnungen die Schüler errungen haben?

Ich bin mit den Schülern sicherlich über 25 Jahre lang bei Kunstwettbewerben dabei gewesen. Jessesnei, die Anzahl der Preise und Preisträger geht in die Hunderte. Ich weiß das genau, denn durch die Partnerschaft mit der Sparkasse konnten wir jedes Jahr mit den Preisträgern alle zu Verfügung stehenden Flächen füllen.

Und woher die Vorliebe zur Bildenden Kunst?

Ich habe schon als Kind und Schüler sehr gerne gezeichnet. In Biologie waren beispielsweise Tiere und Pflanzen Lieblingsmotive – oder in Erdkunde Kartenausschnitte. Bei mir war einfach immer schon die Affinität zur Kunst vorhanden.

Wie hat sich der Lehrerberuf verändert?

Es hat sich ja das ganze Schulleben verändert, vieles ist sehr bürokratisch geworden. Ich war sehr glücklich mit einem Schul- und mit einem Arbeitsbuch. Als Highlight gab‘s ein Mal pro Woche Hörspiele, Schulfilme oder Kurzgeschichten. Heute sind das in der multimedialen Welt keine Reißer mehr. Die Kids können sich ja übers Netz alles nach Hause holen – wie sinnvoll auch immer. Die Digitalisierung ist erleichternd, aber nicht der automatische Garant für leichteres Lernen und bessere Noten. Ich habe das Gefühl, die Kids waren früher leichter zu händeln, auch weil es eine bessere Trennung von Grund-, Haupt-, Werkreal- und Realschule gab. Wir hatten an der Realschule ein homogeneres Schüler- und Elternklientel.

Würden Sie diesen Beruf aus heutiger Sicht wieder ergreifen?

(mit großen Augen) Ein ganz klares Ja! Ich habe das Gefühl, dass die Kids – auch wenn sie in gewissen Lebensphasen ‚positiv‘ stressig sind – mich jung gehalten haben.

Wie das?

Die Musik, die Jugendsprache, Modetrends und der lässige Umgang mit neuen Techniken, die andere Sicht der Dinge und so weiter haben mich immer up to date gehalten.

Welche Anekdoten gibt es aus der BZM-Zeit?

(grinst) Es gab eine Mutter, die sich beklagt hatte, dass ein Bild ihres Kindes nur eine 4 bekam, obwohl sie sich doch so angestrengt hatte. Das habe ich im Nachhinein nach der Schulzeit von dem ehemaligen Schüler erfahren. Bei einem Englisch-Kurztest hat ein Schüler alles komplett von seinem Nachbarn abgeschrieben und sogar den vollständigen Namen übernommen. Kurios war auch, als ein Zehntklässler ohne Eltern zum Elternsprechabend bei mir auftauchte, die waren bei der Arbeit. Der Schüler wollte die Beratung direkt und ungeschminkt, ohne einen Filter durch die Mama. Es hat gewirkt und den gewünschten Erfolg gebracht.

Und was treibt Pensionärsazubi Günther Nitsche derzeit so?

(schmunzelt) Ich bin in Markdorf umgezogen und gestalte Stück für Stück mein neues Zuhause. Ich leere Kisten und Ordner – Lehrer sind ja Jäger und Sammler. Erst vor Kurzem habe ich einen Ordner entdeckt, mit gesammelten Klassenarbeiten von Beginn meiner Lehrertätigkeit an; oder Hunderte von Fotos von gelungenen Kunstarbeiten von Schülern.

Was muss Günther Nitsche unbedingt noch erledigen, das er immer wieder vor sich her schiebt?

Ich will unbedingt noch nach Barcelona. Ich bin unter anderem ein Fan des Surrealismus‘. Und so muss ich noch Antonio Gaudís Werke an seiner Wirkungsstätte erleben. Das ist ein großer Wunsch, mein großes Ziel. Ich bin viel gereist, habe viel gesehen, aber Spanien fehlt noch auf meiner To-do-Liste. Und dann gibt‘s ja noch drei Kinder und sechs Enkelkinder, die ich gerne sehe und besuche... Ach, mir fällt doch noch ein großer Wunsch ein. Ich habe mal in Thailand meinen Tauchschein gemacht, als ich auf Ko Samui und Ko Tao war. Ich war herrlich fasziniert von der Unterwasserwelt. So muss es wohl auch in Australien im Great Barrier Reef sein. Also noch mal nach Thailand oder Australien.“

Fragen: Toni Ganter