Gregor Gysi sei ein Mann mit einer beeindruckenden Eloquenz, der – wie erwartet- eine großartige und überaus bereichernde Rede gehalten habe: So lobte Bürgermeister Georg Riedmann den extra aus Berlin angereisten Festredner des Neujahrsempfangs im Anschluss an dessen Vortrag in der Aula des Markdorfer Bildungszentrums (BZM). Und das Lob kam dem Bürgermeister wohl umso leichter über die Lippen, als Gysis Rede etliche Male vom Zuspruch des Publikums unterbrochen worden war. Oft gab es zwischendurch Applaus – Applaus allerdings, der Gysis Worte wiederholt untergehen ließ. Weil der Linken-Politiker unbeirrt weiter sprach – ins ohnehin recht schlecht eingestellte Mikrofon.
Gut geredet, aber zu lang
„Er kann gut reden“, urteilte denn auch Claudius Beck. Gysi beherrsche meisterhaft die Kunst, schwierige Sachverhalte auf den Punkt zu bringen. Ob jedoch alle Lösungsansätze so greifen, die Gysi für die aktuellen wirtschafts-, gesellschafts- und weltpolitischen Schieflagen skizziert hat, da zeigte sich Claudius Beck doch skeptisch. Eines missfiel ihm an Gysis Rede: „Mir war sie zu lang.“
Kenntnisreich und kurzweilig
Zumindest Letzteres sahen Nicole Striegel, Sandra Weimer, Vanessa Brutsch und Birgit Kneule anders. Für sie waren Gysis Ausführungen „kurzweilig“, trotzdem geprägt von „großer politischer Sachkenntnis“, überhaupt „sehr ansprechend“, recht geeignet für einen Festvortrag zum Beginn eines neuen Jahres.
Ein Mann klarer Worte
„Gut, dass wir solche Politiker haben, die es auf den Punkt bringen“, sagt Jürgen Thöt. Gysi, der gelernte Facharbeiter für Rinderzucht, habe klare Worte für die derzeitige Situation der bundesdeutschen Landwirte gefunden. „Auf Fakten aufgebaut“, urteilt Eckehart Gäbler. Und Elfi Thöt ist mit etwas mehr Optimismus aus dem Gysi-Vortrag herausgegangen. Schon weil der Linken-Politiker erklärt hat, dass sich im Bundestag gerade eine parteiübergreifende Gruppe altgedienter Politiker finde, die weniger die eigene Karriere im Auge haben, die vielmehr das Signal eines Grund-Einvernehmens zur Dialogbereitschaft – auch mit den Bürgern – nach außen tragen wollen. „Er hat ja keine großen Ambitionen mehr“, erklärt Elke Bott-Eichenhofer. Sie habe Gysis Ausführungen als sehr glaubwürdig empfunden. „Auf mich hat er authentisch gewirkt.“

Eine Lanze für die Ostdeutschen gebrochen
Sehr gut hat Gysis Rede auch Isabella und Alfons Viellieber gefallen. Vor allem „der ausgesprochen nüchterne Blick auf die Realpolitik“ hat Alfons Viellieber zugesagt. Gerade Gysis Hinweis, „dass zurzeit immer mehr auf den Rücken des Mittelstands abgeladen wird, die Belastungen immer weiter wachsen, während die Steuerschlupflöcher der großen Konzerne nicht gestopft werden, weil sich da keiner herantraut von der Regierung“, zitiert Viellieber den Linken-Politiker aus Berlin. Und noch etwas habe er gut gefunden: „Dass Gysi daran erinnert, wie wenig Wertschätzung die Lebensleistungen der DDR-Bürger bei uns finden.“ Daraus entstehe natürlich Unzufriedenheit.
„Klar und deutlich, einfach sehr gut“ fand Arno Rütten die Rede von Gregor Gysi. Und das, obwohl Rütten manche Schlüsse, die der Linken-Politiker aus seinen Analysen zieht, so nicht zustimmen würde. „Ich teile da längst nicht alles, manches klingt sehr nach Patent-Lösung out of the box.“ Ob es dann auch wirklich tauge, sei die große Frage.

Bürokratie in die Pflicht nehmen
CDU-Stadtrat Simon Pfluger gefiel am Festvortrag, „dass uns vieles einmal aus einem ganz anderen Blickwinkel dargestellt wurde“. Er, Pfluger, sehe sich dadurch durchaus bereichert. Und Gysis Vorschlag etwa, den bundesdeutschen Bürokratie-Apparat stärker in die Bringschuld zu führen, zu rascherem Reagieren zu zwingen, findet der Markdorfer Stadtrat ausgesprochen gut. „Das wird in der Bauverwaltung zum Teil ja auch schon so gehandhabt – und ist in der freien Wirtschaft ja ohnehin selbstverständlich.“
Viel Lob und einige Skepsis
„Kein bisschen aggressiv, dafür umso spritziger“, urteilt Margot Geiger. „Leider nicht laut genug“, bedauert Greta Schäfer die mäßige Tonqualität der Mikrofon-Übertragung. Einen „offenen Blick auf die weltpolitischen Probleme“, erkannte Peter Heckel bei Gregor Gysi. Und Anna-Maria Heckel gefiel Gysis Hinweis auf die völkerverständigende Bedeutung von Städtepartnerschaften. „Wolfgang Bosbach“, der Redner beim Neujahrsempfang 2023, „war lustiger.“

Carlo Bevoli betrachtet insbesondere manche wirtschaftspolitischen Darlegungen – etwa dessen steuerpolitischen Rezepte – mit einiger Skepsis. „Insgesamt aber war die Rede sehr erfrischend – und sie bietet und reichlich Stoff, um zu diskutieren.“ Was denn auch an vielen Stehtischen im Foyer vor der BZM-Aula bei Häppchen und Markdorfer Wein – mehr oder minder ausgiebig – getan wurde.