Der Markdorfer Tafel geht das Geld aus. „Seitdem wir keine neuen Kunden mehr aufnehmen können“, sagt ihr Leiter Günther Wieth, „bekommen die Menschen, die einen Tafel-Ausweis besitzen, aber noch als Nachrücker auf der Warteliste stehen, jede Woche 20 Euro von uns, bis sie Kunden bei uns werden können“.
Das Geld für den Lebensmitteleinkauf stammt aus dem Spendentopf der Tafel. Es sind Mittel, mit denen Privatleute und Unternehmen die Tafel unterstützen. Nachdem Wieth vor zweieinhalb Monaten gezwungen war, die Notbremse zu ziehen und er seither keine Neukunden mehr in den Tafelladen im Stadtgraben einlässt, hat er Woche für Woche 1000 bis 2000 Euro an Bedürftige verteilt, insgesamt 6000 Euro – als Überbrückungshilfe. „Das Geld schmilzt dahin wie Schnee in der Sonne“, beschreibt er die finanzielle Situation der Tafel.

Wer bekommt den Tafelausweis?
Derzeit sind 235 Berechtigungsausweise zum Einkauf im Tafelladen im Umlauf. Sie wurden von der Diakonie ausgestellt, die gründlich überprüft, ob tatsächlich eine Bedürftigkeit vorliegt. Ob das Einkommen auch wirklich nur 60 Prozent des Durchschnittseinkommens oder weniger ausmacht, also bei 950 bis 1000 Euro liegt.
Wenn er vorsichtig rechnet, kommt Wieth auf mehr als 700 Menschen, die mit Lebensmitteln aus der Tafel versorgt werden müssten. „Die 235 Berechtigungsausweise kann man mit dem Faktor drei multiplizieren“, erläutert er. Gelte der Ausweis doch für ganze Familien. Der Großteil dieser 700 Bedürftigen wohne in Markdorf, deutlich über 50 Prozent. Dann erst folgten die Nachbarorte.
Die gespendeten Lebensmittel reichen nicht
Die Zahlen sprechen für sich. Wöchentlich verteilen die Mitarbeiter des Tafelladens Lebensmittel für 130 bis 160 Familien. Und auch hier schießt der die Tafel tragende Verein Zukunftswerkstatt zu – womit die Tafel gegen ihre eigenen Grundsätze verstößt. Eigentlich will sie nur das an Bedürftige verteilen, was zu viel produziert wurde oder entsorgt werden soll, weil es das Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht hat. Seit einem halben Jahr funktioniert dieses Modell aber nicht mehr. „Die Zahl unserer Kunden hat sich verdoppelt“, berichtet Wieth.
Der Anstieg der Teuerungsrate aufgrund kletternder Energiepreise und steigender Preise auch für Nahrungsmittel führt dazu, dass immer mehr Menschen beim Essen sparen müssen. Doppelt so viele Kunden einerseits bei einer auf nur noch die Hälfte geschrumpften Menge an gespendeten Lebensmitteln, zwingen Günther Wieth zum Bruch mit den Tafel-Prinzipien. „Was wir nie wollten, aber jetzt tun müssen: Wir kaufen Öl, Essig, Salz, Zucker, H-Milch und anderes Haltbares ein, um es zu verteilen.“ Damit die Markdorfer Tafelkunden nicht leer ausgehen.
Versagt hier auch der Staat?
„Es ist ein Skandal“, sagt der Tafel-Chef. „Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich immer mehr.“ Kaum weniger skandalös findet Günther Wieth, „dass in unserem reichen Land das System der staatlichen Hilfe für Bedürftige doch ganz offensichtlich nicht mehr richtig funktioniert“.

Die Bilder von langen Schlangen vor bundesdeutschen Tafeln – wie sie jüngst aus Friedrichshafen veröffentlicht wurden –, betrachtet Wieth als politisch-moralisches Armutszeugnis unserer Gesellschaft. Nachgerade empört klingt er, wenn er über die wachsende Altersarmut redet. „Frauen, die Kinder groß gezogen haben, stehen oftmals heute ohne Mittel da.“
In Markdorf sind Helfer dringend gesucht
Der Verband der deutschen Tafeln richtet dringende Appelle an die Politik. Ob der Aufruf zu mehr Solidarität für Bedürftige fruchtet, weiß Wieth nicht. Was er allerdings weiß: „Wir brauchen wieder mehr freiwillige Helfer in der Tafel.“ Menschen, die jetzt zupacken, nicht erst abwarten, ob die Regierung durch Änderungen im Steuer- und Rentenrecht Anreize zu ehrenamtlicher Arbeit schafft.