Eine Kombination aus Pech, eigener Unwissenheit und unglücklichen Umständen in einer schwierigen Zeit hat bei Katharina Lubi (Name von der Redaktion geändert) in den vergangenen Wochen für schlaflose Nächte gesorgt. Nach einer Behördenodyssee landete sie dann aber bei Renate Hold vom Leitungsteam des Mehrgenerationenhaus (MGH) in Markdorf. „Frau Hold war so lieb am Telefon und dann trafen wir uns und besprachen meine ganze Misere“, erzählt Lubi. „Drei Tage später wurde die Miete bezahlt und wir konnten in der Wohnung bleiben, ich war so dankbar“, sagt sie.
Erleichtert ist man auch im MGH. „Die Mietzahlung aus unserem Spendentopf hat dem jungen Paar kurzfristig erst einmal Luft verschafft“, erklärt Renate Hold, aber damit sei es natürlich mittelfristig nicht getan.
Armut gibt es auch im beschaulichen Markdorf
„Im hübschen Markdorf mit seinen gepflegten Wohnquartieren rechnet man eher nicht mit Armut in der Bevölkerung“, sagt Hold. Aber es gibt sie, mit ganz vielen unterschiedlichen Geschichten. Das Mehrgenerationenhaus ist Anlaufstelle für Menschen, die in Not geraten sind. Zum vierten Mal in Folge sollen mit der Aktion „Familien in Not“ kleine und große Geldspenden gesammelt werden, die in einem Spendentopf für genau diese Notlagen landen. „Jede Spende kommt direkt bei den Betroffenen an“, versichert Hold.
Nachdem Hold Lubi und ihre Geschichte kennengelernt habe, hätten sie sich im MGH nach dem Vier-Augen-Prinzip intern beraten und entschieden, dass sie die junge Frau und ihren Freund unterstützen wollen. Das sei das Ziel: schnelle und vor allem unbürokratische Hilfe für Menschen in Not, um wieder Hoffnung und Lebensmut zu schenken.
Was genau war aber passiert? „Ich wohnte bis vor einigen Monaten zusammen mit meiner Mutter und meinen beiden Geschwistern“, berichtet Lubi. „Eine Ausbildung hatte ich nach dem Realschulabschluss begonnen, aber aus gesundheitlichen Gründen abgebrochen. Eine Ausbildungsstelle zu meinem Traumberuf Mediengestalterin habe ich nicht gefunden, also jobbte ich.“ Geld sei immer knapp gewesen, also hätten ihre eigenen Einnahmen die Mutter entlastet.
So vergingen einige Jahre und das Thema Ausbildung sei in den Hintergrund getreten. „Meine Mutter hat in der Gastronomie gearbeitet und wegen Corona ihren Job verloren. Sie bekam zwar staatliche Unterstützung, aber mein Verdienst wurde dann zum Familienbudget dazugezählt und somit fielen Wohngeld und andere Leistungen weg.“ Beim MGH kennt man solche Notlagen bereits. „Das ist ein Strukturproblem“, erklärt Hold: „Wie sollen junge Menschen selbstständig werden, wenn das Gehalt auf die Familie angerechnet wird?“
Die Folgen der Pandemie haben ihren Teil dazu beigetragen
Die Familie habe dann beschlossen, dass sie ausziehen sollte, erzählt die junge Frau. Zum 1. Oktober hätten sie und ihr Freund beide neue Jobs begonnen. Aus ihren alten Arbeitsverhältnissen seien jedoch noch diverse Zahlungen offen gewesen. „Der frühere Arbeitgeber meines Freundes musste coronabedingt den Betrieb aufgeben, sodass der Lohn zu spät ausgezahlt wurde“, erklärt sie. Zwischenzeitlich sei das neue Arbeitsverhältnis ihres Freundes wegen schlechter Auftragslage in der Probezeit auch bereits wieder gekündigt worden. Aktuell sei er außerdem wieder krank.

„Und bei meinem alten Arbeitgeber gab es Streitigkeiten zwischen ihm und der Krankenkasse, wer welche Teile zu zahlen hätte. Mit Hilfe eines Rechtsberatungsscheins konnte ich dann Rechtsbeistand bekommen und die Zahlungen einklagen.“ Ihr früherer Arbeitgeber habe zwischenzeitlich bezahlt, die Krankenkassenzahlungen seien aber noch immer offen.
Am Ende reichte es nicht mehr für die Miete
„Wir mussten dann ziemlich viele verschiedene Anträge stellen“, sagt Lubi. „Mein Freund hatte aber weniger familiäre Unterstützung als ich. Niemand hat ihm je gesagt, dass er Arbeitsbescheinigungen und Dokumente für Anträge bei der Krankenkasse oder bei der Steuer sortieren und aufbewahren muss. Ich helfe ihm jetzt, Arbeitsnachweise neu zu beantragen, aber manches ist auch nicht mehr zu bekommen, weil es die Firmen nicht mehr gibt. Ich sortiere ihn quasi mit“, erklärt die junge Frau – und das brauche Zeit. „Diese vielen Anträge und Behördengänge dauern sehr lange, Geld, das wir noch bekommen müssten, steht also noch aus und so konnten wir dann die Miete für den November nicht mehr bezahlen.“
Renate Hold kennt solche Geschichten. „Viele junge Menschen sind beim Schritt in die Selbständigkeit von der Bürokratie überfordert. Im Idealfall lernen junge Leute diese Dinge zu Hause und erhalten elterliche Unterstützung“, sagt sie, aber nicht alle Eltern könnten dies leisten. „Frau Lubi ist eine starke Persönlichkeit, intelligent und hat hohe kämpferische Qualitäten. Aber sie braucht aus unserer Sicht jemanden, der sie ein wenig an die Hand nimmt. Jemanden, der ihr sagt: Sei hier hartnäckig, halte hier durch, verlagere hier die Prioritäten, Lebensbasics eben“, erklärt Hold.
Die junge Frau habe aus ihrer Sicht viel Potenzial. Aber um aus dieser Endlosschleife aus schlecht bezahlten Jobs herauszukommen, brauche sie eine Ausbildung. „Da besteht Nachholbedarf“, sagt Hold. „Wir prüfen gerade, ob wir ihr im Mehrgenerationenhaus eine sogenannte Einstiegsqualifizierung anbieten können. Das ist ein betriebliches Praktikum mit dem Ziel einer Übernahme in die Ausbildung. Denkbar wäre das im Bereich Hauswirtschaft, vielleicht auch im Bereich Kinderpflege.“
Zum Monatsende wird das Geld oft knapp
Im Moment arbeitet Lubi Vollzeit im Lebensmitteleinzelhandel. Ihr Verdienst reicht, um die Miete und ein paar alte Schulden ihres Freundes abzuzahlen. Zum Monatsende habe sie aber oft keinen Cent mehr in der Tasche, dann sei sie immer sehr nervös und würde den ganzen Tag überlegen, wie sie an Geld kommen könnte. Wenn Katharina Lubi Hartz IV beantragen würde, hätte sie monatlich ungefähr gleich viel Geld zur Verfügung. „Das kommt für mich aber nicht in Frage“, sagt sie: „Ich möchte arbeiten und meinen Lebensunterhalt selbst verdienen.“