Wird das Verfahren um den Mord an Sebastiana F. neu aufgerollt? Die Frau war im Januar 2023 in einem Ladengeschäft in Markdorf von ihrem getrennt von ihr lebenden Ehemann Gezim F. erschossen worden. Das Landgericht Konstanz unter Vorsitz von Arno Hornstein sprach am 4. August 2023 das Urteil: lebenslängliche Haft wegen Mordes. Die von der Staatsanwaltschaft beantragte besondere Schwere der Schuld sah das Gericht nicht.
Nur wenige Tage nach dem Urteilsspruch stand bereits fest, dass das Urteil geprüft werden wird. Denn sowohl Oberstaatsanwalt Ulrich Gerlach als auch Gezim F.s Verteidiger Klaus-Martin Rogg hatten Revision eingelegt. Gerlach hatte bereits nach dem letzten Prozesstag angedeutet, dass er bei der Tat gleich mehrere Merkmale erfüllt sah, die eine Verurteilung mit der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld gerechtfertigt hätten. Rogg wiederum hatte sich mit der Begründung seiner Revision Zeit gelassen.

Inzwischen ist aber lediglich noch die Revision des Ravensburger Anwalts beim Bundesgerichtshof (BGH) anhängig. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Revision mittlerweile zurückgezogen, bestätigt Erster Staatsanwalt Andreas Mathy auf Anfrage. Rogg wiederum hatte seine Urteilsanfechtung Anfang September in Karlsruhe eingereicht. Seither habe er nichts mehr gehört, was ihn eher zuversichtlich stimmt. „Eine Ablehnung geht schneller“, sagt er. Doch wieso hat Rogg überhaupt Revision eingelegt?
Anwalt Rogg: Urteil war zu hart
Die Antwort mag den Laien überraschen: Ihm sei das Urteil zu hart ausgefallen. Er hätte ein Urteil wegen Totschlags als gerechtfertigt angesehen, sagt er. Seine Begründung: „In der Relation vergleichbarer Tötungsdelikte war dieses Delikt vielleicht doch nicht so bösartig.“
Das hört sich erklärungsbedürftig an. Er sehe zum Beispiel nicht das Mordmerkmal der Heimtücke, antwortet Rogg: „Das Opfer hat ja über lange Zeit hinweg stets mit dem Anschlag gerechnet.“ Am Tag der Tat habe Gezim F. gegenüber seiner Frau lediglich nochmals erreichen wollen, dass er seinen elfjährigen Sohn sehen dürfe. Nachdem sie dann gerufen habe „Jimmy, hau ab!“ habe er die Fassung verloren und geschossen. Für den Anwalt eine Tat im Affekt: „Ein Killer tötet anders. Der tötet mit einem Schuss und legt dann die Waffe nicht weg.“ Auch die Alkoholisierung und der Kokain-Entzug von Gezim F. hätten mit zu dieser „Kurzschlussreaktion“ geführt.

Dass er sich mit dieser Meinung keine Freunde mache, wisse er und er bekennt, dass es sicherlich „bitter“ für die Angehörigen wäre, würde das Urteil wieder aufgehoben werden. „Aber ich argumentiere streng nach geltendem Recht“, sagt er. Danach wiederum wäre für ihn aber nur eine Verurteilung wegen Totschlags infrage gekommen.
Dieses Strafmaß hatte Rogg auch schon in seinem Schlussplädoyer gefordert: Ein Urteil wegen Totschlags zu neun Jahren und drei Monaten Haft, ein Teil davon zu verbüßen im Maßregelvollzug. Für den Vorsitzenden Richter Arno Hornstein war nach vier Verhandlungstagen hingegen klar: „Die Tat verdient nur eine Überschrift: kaltblütiger Mord.“
Verteidiger kritisiert Gutachter
Seine Revision stützt der Ravensburger Strafverteidiger aber auch noch auf eine andere Begründung: Die Qualität des psychologischen Gutachtens habe den Anforderungen eines Mordprozesses nicht genügt. Der Sachverständige habe ein dünnes Gutachten auf ein paar Seiten vorgelegt und in seinem zu kurzen Vortrag eine sehr oberflächliche Bewertung abgegeben, sagt Rogg. Dies habe im Übrigen auch der Richter so gesehen. Zudem habe der Sachverständige überhaupt nicht näher untersucht, ob für Gezim F. wegen seines exzessiven Alkoholkonsums nicht auch eine Unterbringung im Maßregelvollzug mit einhergehender Therapie infrage gekommen wäre.

„In einem Mordverfahren habe ich die Erwartung, dass ein absolut ausführliches und stichhaltiges Gutachten vorgelegt wird“, sagt Rogg. Das Gegenteil sei aber der Fall gewesen, das Gutachten von schlechter Qualität. Auch dies sei ein gewichtiger Grund für eine Revision, da solch ein Gutachten eine wichtige Rolle bei der Zuerkennung des Strafmaßes einnehme. Deswegen habe er den Gutachter auch wegen Befangenheit abgelehnt. So traurig der Fall Gezim F. mit all seinen Familientragödien auch sei, sei für ihn das Urteil klar zu hinterfragen, sagt Rogg. Unabhängig vom Urteil Mord oder Totschlag würde Gezim F. nach Verbüßung seiner Haftstrafe aber ohnehin in sein Heimatland Albanien abgeschoben werden.
Wird dem Revisionsantrag des Verteidigers stattgegeben, kommt es zur Neuauflage des Verfahrens, an einer anderen Kammer und mit einem anderen Vorsitzenden. Dann beginnt der Prozess wieder komplett von vorne, mit ungewissem Ausgang. Bis wann mit einer Entscheidung über die Revision zu rechnen sei, könne man aktuell noch nicht sagen, heißt es bei der Pressestelle des BGH. Anwalt Rogg rechnet mit einer Antwort innerhalb der nächsten vier Wochen.