Es ist kurz vor 4 Uhr morgens, als Julia Kohler plötzlich aufwacht. Durch das Schlüsselloch im Schlafzimmer fällt Licht. Was eigentlich nicht sein kann, denn im Flur ist ein Bewegungsmelder angebracht. Kurz darauf schlägt Labrador Nino an.
Was in jener Nacht vom 4. auf den 5. Januar geschah, wird Julia Kohler wohl für immer in Erinnerung bleiben. „Es kamen an dem Abend zwei Dinge zusammen“, erklärt die 49-Jährige im Gespräch mit dem SÜDKURIER, rund drei Wochen nach dem Vorfall. Ihr Mann Roland war krank und hatte Antibiotika genommen. Sie selbst war im Theater. „Es hat stark geschneit“, erinnert sie sich. Ein Detail, das später eine entscheidende Rolle spielen soll.
Die Hintertür war nie verschlossen
Es ist fast Mitternacht, als die 49-Jährige heimkehrt. Wie gewohnt geht sie nicht über die Straßenseite ins Haus, sondern durch den stets offenen Hintereingang, der in einen kleinen Innenhof führt. Ihr Mann schläft zu dieser Zeit schon. Die Tasche stellt Julia Kohler im Treppenhaus ab, zieht sich um und geht schlafen.
Dass sie die Hintertür nicht abschließen, bezeichnet Julia Kohler heute als Unbedarftheit – und als Ausdruck des Vertrauens in die Dorfgemeinschaft von Taisersdorf. „Das ist ein ganz neues Verständnis für Nachbarschaft“, erklärt die 49-Jährige, die in Friedrichshafen aufwuchs.
Sie ahnt zunächst nichts Böses
Um kurz vor 4 Uhr wacht Kohler plötzlich auf. Durch das Schlüsselloch des Schlafzimmers fällt Licht. Sie wundert sich, schiebt es aber auf den wohl kaputten Bewegungsmelder im Flur. Sie dreht sich um und versucht, wieder in den Schlaf zu finden.
Wenig später schlägt Labrador Nino an. Julia und Roland sind schlagartig wach. Parallel zum Bellen hören die beiden ein Geräusch, können es jedoch nicht einordnen. Roland Kohler verlässt das Schlafzimmer. Der Hund rennt die Treppe hinunter, laut bellend, während Roland Kohler folgt.

Im Erdgeschoss fallen Roland Kohler zwei Dinge auf. Auf der weißen Kommode im Flur liegt ein Umschlag mit Geld. „Den hat sicherlich mein Vater dort hingelegt“, denkt er sich, denn der verkauft gelegentlich Schnaps und Brennholz am Hof. Zudem stehen die Schubladen der Kommode und des Buffets in der Küche halb offen.

Er lässt den Hund durch die Hintertür hinaus und bemerkt frische Fußspuren im Schnee, die zur Tür führen, aber nicht wieder von ihr weg. Was er sieht, nimmt der 43-Jährige schlaftrunken nicht so richtig wahr, für die Schubladen gibt er seiner Frau die Verantwortung. Weil er im Haus selbst keine nassen Spuren bemerkt, kehrt er unbesorgt ins Schlafzimmer zurück.
Warum im Haus keine Spuren zu finden waren, wo es doch in jener Nacht so viel geschneit hatte, bleibt ein Rätsel. „Da wusste auch die Polizei keine Antwort drauf“, sagt Julia Kohler. Auch Fingerabdrücke konnten die Beamten, die am Morgen vor Ort waren, nicht finden.
Unbekannter flieht ohne Beute
Um halb neun steht das Ehepaar auf. Im Treppenhaus fällt Julia Kohler ihre geöffnete Handtasche auf, die sie am Abend zuvor geschlossen abgestellt hatte. Der Umschlag mit Geld aus der Tasche liegt auf der Kommode im Flur – genau dort, wo ihr Mann ihn in der Nacht gesehen hatte. Auch der sonst stets verschlossene Haupteingang zur Straßenseite steht offen, der Bändel am Schlüssel ist in der Tür eingeklemmt. Langsam setzt sich für die 49-Jährige das Bild zusammen: Der Einbrecher muss durch die Hintertür ins Haus gekommen und durch die vordere Tür wieder hinausgegangen sein. Fußspuren im schmelzenden Schnee bestätigen ihre Vermutung. Dann ruft sie die Polizei.
Wie das Ehepaar später feststellt, ist das Geld in dem Umschlag noch da, ebenso wie alle anderen Wertsachen. Die Geldbeutel mit Karten und Bargeld, die beiden Tablets auf dem Tisch – nichts davon hat der Unbekannte mitgenommen. Doch statt Erleichterung bleibt Ratlosigkeit. „Es hat einfach keinen Sinn ergeben“, sagt Julia Kohler.

Nachbarn entdecken auch Spuren
Kurz darauf erfährt Roland Kohler in einer Feuerwehr-Chatgruppe, dass Nachbarn in ihrem Hof ähnliche Spuren entdeckt haben. Doch die Befragungen der Beamten ergeben keine weiteren Hinweise. „Keiner hat etwas mitgekriegt“, bedauert Julia Kohler.
Erst nach dem Besuch der Polizei wird dem Paar die ganze Tragweite des Einbruchs bewusst: Ein Fremder war mitten in der Nacht in ihrem Zuhause, nur wenige Meter entfernt von ihrem Schlafzimmer. „Man fühlt sich so ausgenommen“, beschreibt Julia Kohler ihr Gefühl an jenem Morgen. „Wir waren den gesamten Tag ruhelos.“ Sitzen, ein Buch lesen, Tee trinken – all das war nicht möglich. „In der darauffolgenden Nacht haben wir gar nicht geschlafen.“
Weitere Einbrüche gemeldet
Der Einbruch in Taisersdorf ist kein Einzelfall. Wie die Polizei auf SÜDKURIER-Anfrage mitteilt, wurden seit Oktober im Großraum Owingen acht sogenannte „Einschleichdiebstähle“ bekannt. „Der oder die Täter waren dabei insbesondere bei Aussiedlerhöfen am Werk und verschafften sich vorwiegend über unverschlossene Nebengebäude Zutritt zu Wohnhäusern“, heißt es von Pressesprecher Simon Göppert. Im Fall der Kohlers dauern die Ermittlungen noch an. Bislang konnten die Beamten jedoch keine konkreten Hinweise auf den Täter finden.
Auch Ruth Steindl, Ortsvorsteherin von Taisersdorf, ist der Vorfall bekannt. Weil alle Anwohner gut vernetzt sind, habe er sich im Dorf schnell herumgesprochen, sagt sie. Einige seien zunächst beunruhigt gewesen, erinnert sich Steindl. „Es war ja auch eine ganz seltsame Geschichte.“ Mittlerweile sei im Dorf aber wieder Ruhe eingekehrt.
Vertrauen in die Nachbarschaft bleibt ungebrochen
Heute sagt Julia Kohler, dass es ihr besser geht. Sie denke zwar immer wieder an jene Nacht, sagt sie, „aber Angst in dem Sinn habe ich nicht“. Auch an ihrem Vertrauen an die Nachbarschaft hat nichts verändert, wie die 49-Jährige betont: „Ich bin mir sehr sicher, dass es niemand aus dem Dorf war. Das will und kann ich mir nicht vorstellen.“ Ihr Learning: „Selbst wenn deine Nachbarn cool drauf sind – es gibt ja auch noch andere.“ Eines jedoch hat sich geändert: Die Hintertür bleibt bei den Kohlers nie wieder unverschlossen.