Auch heute noch wäre so ein Ergebnis im ersten Wahlgang ein Traumergebnis. Mit 67,5 Prozent der gültigen Stimmen wurde am 11. Juni 1972 ein 35 Jahre alter Verwaltungsfachmann zum ersten Bürgermeister der neuen gebildeten Gesamtgemeinde Salem gewählt. Werner Kesenheimer war damals Kämmerer der Stadt Trossingen. Zuvor arbeitete der Diplom-Verwaltungswirt im Hauptamt seiner Heimatstadt Ravensburg. “Ich wollte Bürgermeister werden“, sagt der inzwischen 83-Jährige heute noch selbstbewusst. Er habe den Staatsanzeiger verfolgt, dort standen die Stellenausschreibungen aus dem ganzen Land. Kesenheimer wollte an den Bodensee. “Meine Eltern wohnten in Ravensburg, ich wollte in ihre Nähe ziehen.“

Bundesland Baden-Württemberg ordnet sich neu
Ende der 1960er Jahre ordnete sich das Bundesland Baden-Württemberg neu. Die Verwaltung wollte den modernen Ansprüchen seiner Bürger genügen. Im September 1967 wurde die Gemeindereform mit dem Gesetz zur Stärkung der Verwaltungskraft kleinerer Gemeinden eingeleitet. Auf dieser Basis sollte im Salemertal aus elf selbstständigen Gemeinden eine Gesamtgemeinde gebildet werden. Doch es gab Diskussionsbedarf in der Bevölkerung. Mit Buggensegel, Mittelstenweiler, Mimmenhausen, Neufrach, Rickenbach, Salem, Tüfingen und Weildorf einigten sich acht Gemeinden auf die Neubildung der Gesamtgemeinde Salem.
Am 29. Februar im Schaltjahr 1972 traf ihre gemeinsame Vereinbarung in Kraft – der eigentliche Geburtstag der Gemeinde Salem. Am 4. April tagte der Interimsgemeinderat der neuen Gemeinde in der Turnhalle Mimmenhausen. Am 28. Mai wurde der neue Gesamtgemeinderat gewählt. Ulrich Pfeffer, damals Bürgermeister der früheren selbstständigen Gemeinde Salem, war als Amtsverweser bestellt. Er bewarb sich bei der anstehenden Bürgermeisterwahl am 11. Juni. Gewählt wurde allerdings der ortsfremde Kesenheimer.
Kesenheimers Slogan war: „Sie haben die Wahl zwischen Pfeffer und Salz“
Kesenheimer erinnert sich an damals und ist amüsiert. „Mein Slogan war: Sie haben die Wahl zwischen Pfeffer und Salz.“ In dem Fall wählten die Salemer mit deutlicher Mehrheit Salz. Seine Wahl führt er auf einen Umstand zurück. „Ich war völlig fremd hier. Ich war mit niemandem befreundet.“ Aber auch ein anderer Aspekt fällt ihm ein. Denn seine Verwaltungsausbildung erhielt er an der Verwaltungsfachschule Haigerloch. Das wusste Mimmenhausens Bürgermeister, der CDU-Grande Fritz Baur. Er rief bei seinem Parteifreund, dem Staatssekretär und späteren Ministerpräsidenten Erwin Teufel, an und erkundigte sich nach der Gesinnung von Kesenheimer. Denn Teufel war wie Kesenheimer ein sogenannter “Haigerlocher“. “Teufel hatte ihm wohl gesagt, dass ich irgendwo zwischen den Freien Wählern und der CDU einzusiedeln sei“, sagt Kesenheimer.

Viel Arbeit wartete auf den jungen Bürgermeister. „Es war ja nichts da. Das neue Rathaus in Neufrach war noch eine Baustelle.“ Auf die Toilette ging er anfänglich gegenüber ins alte Rathaus. 1972 war seine Gemeinde noch nicht komplett. Er wollte die Vorgaben des Landes erfüllen, denn noch fehlten drei Gemeinden. Menschen mit Geduld zu überzeugen, scheint eines der Talente des Verwaltungswirts zu sein. Oberstenweiler und Grasbeuren traten am 1. Januar 1973 der Gesamtgemeinde bei, Beuren folgte zwei Jahre später.

Alle bisherigen Bürgermeister wurden zu Ortsreferenten
Die Bürgermeister der Gründungsgemeinden hatten in ihrer Vereinbarung genau aufgeschrieben, wie sie ihre neue Gemeinde Salem entwickeln sehen wollten. „Die Vereinbarung war rot eingefasst. Deshalb habe ich dazu immer die ‚Rote Mao-Fibel‘ gesagt“, verrät Kesenheimer. Alle bisherigen Bürgermeister wurden zu Ortsreferenten und saßen, wenn sie nicht zurücktraten, als beratende Mitglieder am Ratstisch. Wenn sie als Gemeinderäte gewählt wurden, hatten sie sogar Stimmrecht. So achteten sie auch genau darauf, dass ihre Teilorte nicht zu kurz kamen. „Aber verglichen an dem Arbeitspensum, das wir alle gemeinsam bewältigt haben, waren die Reibereien minimal“, erzählt Kesenheimer.
Arbeit gab es genug für den jungen Bürgermeister, schließlich musste er eine neue Verwaltung aufbauen. Die Akten der alten Gemeinden mussten aufgearbeitet werden. Zielsetzung war die Schaffung einer Gemeindemitte. Dafür musste er erst den damaligen Baggersee mit seinem Uferbereich vom Markgrafen kaufen und zusätzlich von 20 Eigentümern die angrenzenden Grundstücke, insgesamt 50 Hektar. Darauf entstand ein Schul-, Sport-und Freizeitzentrum. Der Gemeindeverwaltungsverband, die Musikschule und die Sozialstation wurden gegründet und in den Teilorten Dorfgemeinschaftshäuser gebaut.