Wenn die heile Welt Risse bekommt, können sich Abgründe auftun. Als Schöffinnen sind Elisabeth Straub und Ursula Hefler aus Salem mit Geschehnissen in Kontakt gekommen, die den meisten Menschen sonst verborgen bleiben. „Wenn man sich zur Verfügung stellt, weiß man, was kommt“, sagt Ursula Hefler. „Trotzdem hat mich Manches noch in der Nacht beschäftigt und ich habe es lange nicht weglegen können.“
Urteile über Mord, Totschlag und Missbrauch
Die 71-jährige Grundschulrektorin Ursula Hefler hatte sich zu Beginn ihres Ruhestands für das Ehrenamt beworben und wurde 2018 als Schöffin am Landgericht Konstanz ausgewählt. Mord, Totschlag oder Missbrauch werden hier verhandelt – über welche Fälle man zu Gericht sitzt, entscheidet das Los.
Elisabeth Straub war von 2008 bis 2018 Laienrichterin am Amtsgericht Konstanz. Neben Betrugsfällen hatte sie dort vor allem mit Drogendelikten zu tun: „Das sind Dinge, die du schneller ablegen kannst“, erzählt sie. Dennoch sei sie schockiert gewesen, dass man an jeder Ecke Drogen bekomme, wenn man Bereitschaft signalisiere. „Ich habe teils die Erfahrung gemacht, dass ich da ein bisschen blauäugig reingestolpert bin“, offenbart die 58-jährige Mitarbeiterin einer Bank.
Schöffen sollen persönliches Rechtsempfinden einbringen
Jedoch sei das genau der Grund, weshalb Schöffen die hauptamtlichen Richter unterstützen: „Du sollst unvorbereitet und unbedarft reingehen und ein Urteil abgeben“, sagt Elisabeth Straub. Ursula Hefler ergänzt: „Da sollen Leute mit Lebenserfahrung ihr persönliches Rechtsempfinden mit einbringen.“
Das Urteil werde immer im Konsens und auf Augenhöhe festgelegt, berichten beide Frauen. Zu Beginn haben sie an einer Informationsveranstaltung über den Ablauf eines Verfahrens teilgenommen: „Man soll alles regungslos zur Kenntnis nehmen und nicht seinen Unmut kundtun“, erinnert sich Elisabeth Straub. Verständnisfragen seien erlaubt, alles weitere werde dann im Besprechungszimmer erörtert. Die 58-Jährige führt aus: „Die Richter haben uns immer höflich und kompetent Auskunft gegeben, wenn uns etwas nicht logisch erschien.“ Ursula Hefler bestätigt das: „Ich hatte immer das Gefühl, dass wir auf einer Ebene sind. Und ich habe auch mal gesagt, dass ich beim Strafmaß nicht mitgehen kann.“
Strafmaß gibt Rahmen für Urteile vor
Elisabeth Straub sagt, sie habe erst durch ihr Amt als Schöffin nachvollziehen können, wie Urteile zustande kommen. „Manchmal fragt man sich: Wie kann denn das sein“, bezieht sie sich auf Entscheidungen, über die man aus den Medien erfährt. „Aber wenn man die Rechtsgrundlage sieht, bröckelt es.“ Je nach Delikt gebe es ein vorgesehenes Strafmaß, in das Vorstrafen oder andere Umstände hineinspielen können. Ursula Hefler ist dankbar für diese klaren Vorgaben: „Damit wird der Willkür ein Riegel vorgeschoben. Wie gut, dass wir in einem Rechtsstaat leben.“
Arbeitgeber müssen Schöffen für Verhandlungen freistellen
Dieser Blick hinter die Kulissen war es, was Elisabeth Straub an dem Ehrenamt gereizt hatte. „Ich würde jedem empfehlen, diesen ganzen Apparat mal mitzubekommen“, rät sie, „es weitet den Blick.“ Dass nach zwei Amtszeiten normalerweise Schluss sei, war für sie in Ordnung, da man für das Amt viel Zeit erübrigen müsse, auch wenn der Arbeitgeber einen dafür freistellen müsse: Zwölf Verhandlungen pro Jahr seien angesetzt, wobei einzelne Termine ausfallen oder weitere Verhandlungstage angesetzt werden können. Diese seien verpflichtend – „und Urlaub ist kein Grund, davon entbunden zu werden“, merkt Ursula Hefler an.
Hefler kandidiert wegen emotionaler Belastung nicht mehr
Aus Altersgründen dürfe sie nicht erneut kandidieren, doch das habe sie aufgrund der emotionalen Belastung auch nicht vorgehabt. „Besonders in Erinnerung geblieben sind mir die Fälle, wenn es um Frauen ging, die Gewalt erfahren haben“, gibt die 71-Jährige preis.
Besuch im Gefängnis hinterlässt Eindruck
Eine sehr eindrückliche Erfahrung war für Ursula Hefler ein Besuch im Gefängnis zu Beginn ihrer Amtszeit: „Das hat mich sehr zum Nachdenken gebracht und auch in meiner Urteilsfindung beeinflusst“, blickt sie zurück. Elisabeth Straub betont, dass jeder eine zweite Chance verdient habe und manchmal die Erstbegegnung mit dem Gericht genüge: „Wenn man die Hosen runterlassen muss, ist das oft peinlich“, verweist sie auf kaputte Elternhäuser, Schulabbrüche oder Schulden. Beide Frauen machen jedoch deutlich, dass den Angeklagten stets mit Respekt begegnet werde: Nicht der Mensch werde verurteilt, sondern seine Straftat.
Schöffenwahl soll keinen Raum für Extremisten bieten
Bis 29. September werden rund 7000 Schöffen für die Gerichte in Baden-Württemberg neu gewählt. Aus einem Kreis von Bewerbern erstellen Städte und Gemeinden eine Vorschlagsliste, die an das Amtsgericht weitergeleitet wird. Dort findet die eigentliche Wahl der Schöffen statt, deren Amtszeit am 1. Januar 2024 beginnt.
Im Vorfeld der Schöffenwahl hatten insbesondere rechtsextreme Gruppierungen versucht, ihre Anhänger zur Kandidatur zu motivieren. Mirja Poenig, Richterin und Pressesprecherin am Landgericht Konstanz, berichtet daher von einem jüngst getroffenen Beschluss des Landtags, „wonach in das ehrenamtliche Richterverhältnis nur berufen werden darf, wer die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt“. Außerdem sei ein Amtsenthebungsverfahren bei einer gröblichen Amtspflichtverletzung eines Schöffen möglich.
Franz Klaiber, Direktor des Amtsgerichts Konstanz, erklärt, dass bei der Wahl durch den Wahlausschuss alle Gruppen der Bevölkerung nach Geschlecht, Alter, Beruf und sozialer Stellung angemessen zu berücksichtigen sind. „Die Gemeinden sind verpflichtet, bei der Erstellung der Vorschlagslisten darauf zu achten, dass ehrenamtliche Richterinnen und Richter einer Pflicht zur besonderen Verfassungstreue unterliegen“, betont er zudem.