Im Dezember 2006 fiel eine für den Wirtschaftsstandort Überlingen ungute Entscheidung: Die Kramer-Werke sollten von Überlingen nach Pfullendorf verlagert werden. Die Firma Wacker-Neuson machte Kapazitätsprobleme am Standort nahe des Bodensees geltend, womit in Überlingen eine fast 70-jährige Firmengeschichte zu Ende ging. Überlingen und die schweren gelben Baumaschinen – das war eigentlich eine Liebesbeziehung.

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Das Kramer-Areal wird im Integrierten Städtischen Entwicklungskonzept (ISEK) von Überlingen ausdrücklich als Potenzialfläche ...
Das Kramer-Areal wird im Integrierten Städtischen Entwicklungskonzept (ISEK) von Überlingen ausdrücklich als Potenzialfläche hervorgehoben. Vorne sind die stillgelegten Industriegebäude zu sehen, im rückwärtigen Bereich in vier Blöcken die teilweise noch vermieteten Werkswohnungen. | Bild: Hilser, Stefan

Nach einer Zwischenvermietung an MTU/Rolls Royce legt der Münchner Konzern Wacker-Neuson als Eigentümer des Geländes nun erste Ideen für eine künftige Nutzung vor. Wacker-Neuson kam auf den SÜDKURIER und damit auf die Öffentlichkeit zu, nachdem die Firma zuvor den Gemeinderat der Stadt Überlingen in nichtöffentlicher Sitzung informiert hatte.

„500 Wohneinheiten in unterschiedlicher Größe halten wir für machbar.“ Christoph Wildgruber, Wacker-Neuson Group
„500 Wohneinheiten in unterschiedlicher Größe halten wir für machbar.“ Christoph Wildgruber, Wacker-Neuson Group | Bild: Wacker Neuson SE

Es geht um eine 56 570 Quadratmeter große Fläche, die Adresse lautet Nußdorfer Straße 42 bis 54. Sie ist vom Bodensee durch die Bahnlinie abgeschnitten. Zwei Durchlässe am Ostbad und am Osthafen liegen aber quasi vor der Haustüre, der Fußweg zum See ist also nicht weit.

Angestrebter Baubeginn 2024

Christoph Wildgruber, Leiter Corporate Real Estate bei der Wacker Neuson Group, sagte, dass sich der Konzern aus München als Baumaschinenhersteller verstehe und nicht als Immobilienfirma. Deshalb sei noch unklar, ob man das Grundstück irgendwann selbst bebaut und vermarktet, oder es an einen Bauträger übergibt. Zunächst gehe es darum, mit dem Gemeinderat und der Stadtverwaltung den Rahmen abzustecken. Für die Projektarbeit beauftragte die Firma den in Überlingen lebenden Projektentwickler Thomas Sorg. Ziel sei es, bis Ende 2023 einen Bebauungsplan auf den Weg zu bringen. Frühester Baubeginn wäre dann ab 2024.

Kramer Werkswohnungen an der Nußdorfer Straße Video: Hilser, Stefan

Welche Vorstellungen hat der Konzern? „500 Wohneinheiten in unterschiedlicher Größe halten wir für machbar“, sagte Christoph Wildgruber. Man denke dabei an geförderten Wohnungsbau bis hin zu Luxuswohnungen. Daneben gebe es noch Platz für Gewerbe (rund 15 000 Quadratmeter), Einkaufsmöglichkeiten und eine Kindertagesstätte.

Werkswohnungen in schlechtem Zustand

Was geschieht mit den firmeneigenen Wohnungen entlang der Nußdorfer Straße? Es handelt sich dabei um 37 Wohnungen, davon sind laut Wildgruber 14 Wohnungen vermietet. Die leer stehenden Wohnungen seien „teilweise in einem sehr schlechten Zustand, ohne massive Investitionen sind sie nicht vermietbar“. Ob kurzfristig bis zu einem denkbaren Abriss der Gebäude hier noch eine Zwischennutzung stattfindet, ist demnach eher ungewiss. Im Gemeinderat hatte es vergangenes Jahr im Zusammenhang mit Diskussionen um die Obdachlosenunterkunft entsprechende Forderungen gegeben.

Zuletzt produzierte Rolls Royce am Standort einen Motor, verlagerte die Produktion mittlerweile aber nach Indien.
Zuletzt produzierte Rolls Royce am Standort einen Motor, verlagerte die Produktion mittlerweile aber nach Indien. | Bild: Hilser, Stefan

Bereits 2018 gab es in Überlingen eine offene Debatte über die künftige Nutzung des Firmengrundstücks. Die SPD hatte damals gefordert, dass die Stadt sich das Grundstück mehrheitlich selbst sichert, um den sozialen Wohnungsbau voranzubringen. Ein Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan wurde vorerst gestoppt.

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Die Linke und später die BÜB+ forderten wiederum eine Gewinnabschöpfung, da die Stadt mit der Verabschiedung eines Bebauungsplans das Grundstück für den Eigentümer enorm aufwerte.

Hier fährt heute kein Lastwagen mehr durch: Die Pforte zu den ehemaligen Kramer-Werken in Überlingen.
Hier fährt heute kein Lastwagen mehr durch: Die Pforte zu den ehemaligen Kramer-Werken in Überlingen. | Bild: Hilser, Stefan

Dem Konzern sei der Begriff „Gewinnabschöpfung“ sehr wohl bekannt, sagte Christoph Wildgruber. „Die Erfahrung haben wir in München gemacht.“ Es handle sich dort um ein Projekt der Stadtentwicklung des früheren Münchner Oberbürgermeisters Christian Ude. Demnach musste Wacker-Neuson bei der Umwandlung eines ehemaligen Industriegeländes 30 Prozent der Flächen für geförderten Wohnraum zur Verfügung stellen, eine große Kindertagesstätte bauen und sie der Stadt München kostenfrei zur Verfügung stellen, und nebenbei noch begrünte Parkanlagen schaffen.

Auf Überlingen übertragen, sagte Wildgruber: „Selbstverständlich werden wir diese Themen diskutieren und in einem städtebaulichen Vertrag festlegen. Alles andere wäre unprofessionell.“

Kramer-Werke in Überlingen: Die Geschichte

„Wir können nicht einfach gehen“

Der Konzern wolle einerseits „Potenzial heben“ – sprich: das Grundstück zu Geld machen. Andererseits verspüre man auch eine Verantwortung für die Stadt, in der die Kramer-Werke groß wurden. Man könne nicht einfach gehen, bevor klar ist, was mit dem Grundstück passiert.

Mit solchen Mähmaschinen aus dem Jahr 1925 begann die Erfolgsgeschichte von Kramer.
Mit solchen Mähmaschinen aus dem Jahr 1925 begann die Erfolgsgeschichte von Kramer. | Bild: Kramer-Werke


Dass Überlingen eine emotionale Bindung zu Kramer immer noch hat, sei ihnen bewusst, sagte Wildgruber. Bei Wacker-Neuson habe man lange Zeit immer nur von „dem Grundstück in Überlingen„ gesprochen. „Jetzt heißt es auch bei uns intern nur noch Kramer-Areal.“

Die Überlinger sollen mitreden

Wildgruber kündigte an, die Öffentlichkeit in den Prozess intensiv einzubeziehen. „Die Entwicklung einer Fläche in dieser Größe und Bedeutung wird nicht funktionieren, wenn man die Öffentlichkeit nicht ordentlich beteiligt. Wir sagen: Lieber ein bisschen mehr und die Leute abholen, als nur mit der Stadt einen Plan abzustimmen und ihn für zwei Wochen auszuhängen – das wäre mir zu wenig Öffentlichkeitsbeteiligung.“

Was sagt die Stadt dazu?

Der SÜDKURIER wollte von der Stadtverwaltung wissen, welche weiteren Planungsschritte anstehen, unter welchen Umständen aus ihrer Sicht Bauland geschaffen werden kann, welcher Zeitrahmen dem Rathaus vorschwebt, und wann und wie die Öffentlichkeit beteiligt werde. Wir geben hier die vollständige, per E-Mail verschickte, Antwort wieder, die sich auf zwei Sätze beschränkte: „Die von Ihnen angefragten Voraussetzungen und Prozessabläufe sind im Baugesetzbuch detailliert geregelt und werden von der Verwaltung rechtsgetreu umgesetzt. Der Gemeinderat wurde über den bisherigen Sachstand in nichtöffentlicher Sitzung informiert.“