Die Erschöpfung ist Feuerwehrsprecher Daniel Dillmann am Sonntagnachmittag nicht anzuhören. Er gibt aber zu: „So etwas erleben wir auch nur ganz selten. Es gab einfach keine Verschnaufpause.“ Da war Dillmann schon viele Stunden auf den Beinen. Die Gewitterfront am Samstagabend hatte Überlingen mit voller Kraft getroffen: Der Nellenbach trat an einigen Stellen über die Ufer und überschwemmte die Zimmerwiese und den zentralen Omnibusbahnhof. Auch der tiefer gelegene Bahnhof sowie die beiden Bahntunnel standen laut Feuerwehr bis zu zwei Meter tief unter Wasser. Auch viele Keller und Gebäude liefen voll und zahlreiche Bäume stürzten um.
Zu mehr als 50 Einsätzen musste die mehr als 100 Einsatzkräfte der Feuerwehr zwischen Samstag, 21.15 Uhr, und Sonntag, 14 Uhr, ausrücken. „Es war eine große Herausforderung, das zu koordinieren“, so Dillmann. „Wir haben versucht, alles nach Prioritäten abzuarbeiten.“ Das „Epizentrum“, so Dillmann, lag im Bereich Wiestorstraße/Zimmerwiese. Doch auch viele andere Stadtteile und auch die Teilorte waren vom Unwetter betroffen.
Einer, der von der Macht des Wasser besonders getroffen wurde, war Andreas Widmer. Der Gärtner wurde am Samstagabend durch einen Anruf seines Mitarbeiters aufgeschreckt. „Er sagte nur: Hier schwimmt alles davon.“ Widmer machte sich direkt auf den Weg in seine Gärtnerei in der Barbelstraße und wurde vom Ausmaß der Verwüstung überrascht. „Der Nellenbach war nicht mehr einen Meter breit, sondern bestimmt fünf bis sechs Meter.“ Einer seiner Mitarbeiter habe noch versucht, den verstopften Rechen im Bach mit dem Bagger zu räumen. „Aber da hast du keine Chance. Irgendwann kannst du nur noch zuschauen und hoffen, dass es aufhört.“ Er habe das Glück, dass seine Gärtnerei wasserfest eingerichtet sein.

Schlimmer getroffen hat es da das benachbarte Bestattungsinstitut Vogt. „Wir sind seit 40 Jahren in diesem Gebäude, aber so etwas haben wir noch nie erlebt“, sagt Bianca Vogt. Das Wasser aus dem Nellenbach hat den Schlamm meterhoch in den Keller des Hauses gedrückt. Von 22 bis 5 Uhr sei sie vor Ort, um gemeinsam mit der Feuerwehr gegen Wasser und Schlamm anzukämpfen. Nach kurzer Verschnaufpause war sie vom frühen Sonntagmorgen bis zum Abend wieder mit „Mann und Maus“, wie Vogt dankbar mit Blick auf ihre vielen Helfer sagt, im Einsatz, um zumindest das Gröbste aufzuräumen.

Bahnreisende stranden in Radolfzell
Auch viele Bahnreisende wurden vom Unwetter überrascht. Aufgrund umgestürzter Bäume und Überschwemmungen war der Bahnverkehr auf mehrere Strecken in der Region für kurze Zeit lahmgelegt. Besonders schlimm traf es auch hier Überlingen. Die Wasser- und Schlammmassen fluteten die gesamte Zimmerwiese und stürzten dann als Wasserfall hinab auf die Gleise des abgesenkte Bahnhofs Mitte. Konnten die Züge zunächst noch mit Schrittgeschwindigkeit in den Bahnhof einfahren, musste der Zugverkehr wenig später ganz eingestellt, teilt die Bundespolizei mit. Der Überlinger Nikola Patzel strandete mit seiner Frau und vielen Mitreisenden am Bahnhof Radolfzell. Es habe „chaotische Szenen mit großen Menschenpulks“ gegeben, schreibt Patzel in einer Mail an den SÜDKURIER, in der er sich über das schlechte Krisenmanagement der Bahn beschwert. Nachdem die Feuerwehr die Strecke geräumt hatte, verkehrten die Züge ab dem frühen Sonntagmorgen wieder wie gewohnt.
Christian Greiter hat das Unwetter weniger Meter vom Bahnhof entfernt erlebt. Er war am Samstagabend in der Stadt essen, als es plötzlich ungemütlich wurde. „Es hat so heftig geregnet, dass das Wasser durch die Fensterrahmen drang. Der Nebentisch musste evakuiert werden“, schildert er das Geschehen. „Es gab es schon einige Male, dass der Nellenbach über die Ufer trat, aber so noch nicht.“ Das musste auch Ayper Zapf erfahren, die erst im März ihren Friseursalon in der Wiestorstraße eröffnet hatte. Noch in der Unwetternacht stand sie fassungslos vor ihrem Geschäft: „Wir haben erst vor Kurzem alles renoviert – und jetzt das.“
Weniger Meter neben Ayper Zapf stand Barbara Elzer aus Leimen, die zum Kurzurlaub in Überlingen weilt und ein Zimmer im Hotel Wiestor gebucht hat. Aufgrund der Wassermassen kam sie am Samstagabend nicht ins Hotel und musste rund zwei Stunden auf der Straße ausharren. „Das war schon ein Ding. Abenteuer pur“, sagt sie am nächsten Morgen. Zwar sei am Morgen der Hoteleingang noch schlammig gewesen, aber das Frühstück habe schon wieder geschmeckt. „Zum Glück ist alles gut gegangen.“
Laut Bericht der Polizei wurde durch das Unwetter glücklicherweise niemand verletzt. Dennoch sind die Schäden, die das Sturmtief in der ganzen Stadt angerichtet hat, am Sonntag nicht zu übersehen. Etwa im oberen Stadtgarten: Dort, wo erst vor kurzem der Weg wieder freigegeben worden war, fiel ein Baum auf eine Parkbank und beschädigte diese völlig. Der Weg war am Sonntag wieder gesperrt.
Auch in Hizler- und Schlachthausstraße liegen umgekippte Bäume. Im Kurgebiet ist ein Baum auf ein parkendes Auto gestürzt.
In der ganzen Stadt laufen die Aufräumarbeiten. Ein Anwohner der Wiestorstraße ist im Stress, er muss aufräumen und hat keine Zeit für ein kurzes Interview. Er ruft nur: „Schreiben Sie, dass wir eine super Feuerwehr haben. Die Jungs haben die ganze Nacht durchgeschuftet. Ohne sie wären wir untergegangen.“ Dann schiebt er die nächste Schubkarre davon.

OB Zeitler dankt den Einsatzkräften
Auch Oberbürgermeister Jan Zeitler ist voll des Lobes für die Wehr: „Ich danke ausdrücklich allen Einsatzkräften, die nachts und am Sonntagmorgen unentwegt im Einsatz waren“, schreibt er auf SÜDKURIER-Anfrage. Unmittelbar nach dem Unwetter habe er sich persönlich ein Bild vor Ort gemacht: „Insbesondere im Bereich ZOB/Bahnhof Mitte war die Lage besorgniserregend.“ Zeitler dankte auch dem den Mitarbeitern des Betriebhofs, die bereits am Sonntag viele Schäden beseitigt hatten: „Gleichzeitig bitte ich diejenigen um Verständnis, die heute bei mir angefragt haben, warum die Stadt nicht vollumfänglich am Sonntag wieder aufgeräumt werden könne, dass schwerpunktmäßig sicherheitsrelevante Schadenereignisse vorrangig bearbeitet werden müssen.“ Im Laufe der Woche sollen die restlichen Unwetterschäden beseitigt werden.