Sie leben mit Ihrer Familie in Überlingen-Bonndorf. Wie muss man sich Ihre Anfahrt in die Stadt typischerweise vorstellen?

Wenn es irgendwie geht, mit dem Fahrrad. Aber da fängt schon das Problem an. Denn für die Verwaltung von Überlingen ist die Erde eine Scheibe und das Ende dieser Erde liegt an der Gemarkungsgrenze. Mit anderen Worten: Hinter Bonndorf endet die Welt für Fahrradfahrer. Wenn Sie Richtung Ludwigshafen oder Richtung Stockach fahren, kommen Sie auf einen Feldweg, beziehungsweise auf einen fast nicht passierbaren Waldweg. Selbst wenn wir über Nesselwangen oder Hödingen nach Überlingen fahre, müssen wir den größten Teil der Strecke auf der Straße fahren. Es ist ein Unding, dass Teilorte wie Nesselwangen und Bonndorf nicht an das Fahrradwegenetz angeschlossen sind. Seit Jahren gibt es Diskussionen darüber in den Ortschaftsräten. Aber es geht nicht wirklich voran. Überlingen ist zu stark auf den Autoverkehr fixiert und würde mehr Teilortbewohner zum Umsteigen aufs Rad bewegen, wenn sichere Radwege wie zwischen Owingen – Billafingen und Stockach auch auf der Strecke Nesselwangen – Bonndorf bestünden. Die Bus- oder Ruftaxiverbindung ist ebenfalls nur rudimentär vorhanden und die fehlenden Verbindungen nach Ludwigshafen sind ärgerlich.

Wie nehmen Sie die Verkehrslenkung von Überlingen insgesamt wahr?

Sie wird immer noch zu stark auf das Auto hin ausgerichtet. Ich sehe durchaus das Bemühen der Stadt, bei der Entlastung der Aufkircher Straße durch die getrennte Einbahnführung sowie einiger Tempo-30- und 20-er-Zonen. Das sind Trippelschritte in die richtige Richtung, die das Kernproblem aber nicht lösen.

Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, wohnt in Überlingen. Er tritt für eine Stärkung des Radverkehrs in der Stadt am ...
Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, wohnt in Überlingen. Er tritt für eine Stärkung des Radverkehrs in der Stadt am Bodensee ein. Das Schild zeigt am Eingang zur Münsterstraße, dass die Radfahrer dort nach 30 Metern absteigen müssen. | Bild: Hilser, Stefan

Wie lautet aus Ihrer Sicht das Kernproblem?

Zu viel Autoverkehr in der Innenstadt, was, gerade im Sommer, wo Überlingen am attraktivsten ist, vieles zerstört. Wir haben in Überlingen Parkhäuser an der Post, am Bahnhof und am Badhotel, einen großen Parkplatz am Krankenhaus. Die Kernstadt sollte konsequent vom Pkw-Verkehr befreit werden. Nurmehr ÖPNV, Anwohnerverkehr und einen nicht zu verhindernden Zubringerverkehr würde die Attraktivität stark erhöhen. Stattdessen erleben wir endlose Autoschlangen beim Parkplatzsuchverkehr, nach zehn Minuten Kreisen fahren diese Autos wieder aus der Altstadt heraus und gehen dann erst ins Parkhaus. Konkret: Es fehlt sowohl das Einfahrverbotsschild für alle Fahrzeuge, ausgenommen Anwohner, und Echtzeit-Informationen zu den belegten Parkplätzen.

Sie sprechen vom Parkleitsystem, das vor einigen Jahren zwar beschlossen, aber bis jetzt nicht installiert wurde. Das dauert offenbar noch. Aber auch das Parkleitsystem wäre wieder vom Auto her gedacht. Welche Verkehrspolitik im Allgemeinen würden Sie sich für Überlingen wünschen?

Die Deutsche Umwelthilfe führt aktuell in größeren 38 deutschen Städten erfolgreich Luftreinhalteklagen durch. Dabei gelingt es uns bisher in jeder Stadt, die Verkehrswende weg vom Auto zu beschleunigen. Eine der wichtigsten ersten Maßnahmen ist die Einführung eines Parkraummanagements: Innerstädtische Parkplätze werden reduziert und verteuert, bestimmte Straßen komplett vom motorisierten Individualverkehr befreit. Wichtig ist die gleichzeitige Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur für Fußgänger und Radfahrer. Und die Verbesserung der öffentlichen Verkehre. Sie müssen immer das eine ordnungsrechtlich in den Griff bekommen und an anderer Stelle Alternativen zum Auto aufzeigen. In Überlingen lädt beispielsweise die Lippertsreuter Straße zum innerstädtischen Schnellfahren mit 50 bis 70 Stundenkilometer ein, es gibt keine Überwachung. Warum führt Überlingen nicht für alle innerstädtischen Straßen – auch in den Teilorten – Tempo 30 ein? Das haben wir gerade in dieser Woche für die gesamte Altstadt von Aachen durchgesetzt. Überlingen muss die Autozentrierung aufgeben. Im Jahr der Landesgartenschau wird Überlingen ansonsten in noch größere Probleme reinrauschen, wenn man nicht konsequenter die Autos aussperrt und etwas für die Fußgänger und die Fahrräder macht.

Als Lobbyist für die Umwelt sind Sie in einer etwas komfortableren Situation als beispielsweise der Oberbürgermeister, der unterschiedliche Interessen unter einen Hut bringen will.

Wir sind nicht nur Umwelt- sondern auch Verbraucherschutzverband.

Vielleicht ist genau das ja das Problem, dass man keine Verbesserungen erzielt, wenn man es allen Recht machen will. Wozu raten Sie dem OB?

Dass sowohl er als auch der Gemeinderat das Wohl der Bürger und die Entwicklung der Stadt nicht nur kurzfristig betrachten. Wenn man Überlingen als attraktiven Urlaubsort weiter entwickeln möchte, mit seiner hohen Wertschöpfung als Kurort, braucht Überlingen Ruhe und eine saubere Luft und muss damit auch werben können. Überlingen wirbt ja mit Kneipp, Überlingen wirbt mit den sehr guten Kliniken und Lebensqualität. Wenn man in die Innenstadt kommt, hat man aber den Eindruck, hier gibt es überhaupt kein Verkehrskonzept. Schauen Sie sich die Hafenstraße an, diesen unglaublich dichten Durchgangsverkehr und das fast nicht vorhandene Trottoir, die permanenten gefährlichen Begegnungen zwischen Autos, Fahrradfahrern und Fußgängern. Die Hafenstraße liegt am nächsten zum See, ist aber durch die stinkende Autoschlange ein abschreckender Gegenentwurf zur in den verkehrsberuhten Teilen wunderschönen Altstadt. Kurz noch zu den innerstädtischen Radwegmarkierungen: Solche nur farblich abgegrenzte Radwege sind gefährlich. Diese sollten unbedingt erhöht und zur Straße mit einem Randstein abgegrenzt werden.

Dafür gäbe es in der Hafenstraße aber keinen Platz.

Das geht aber beispielsweise an der Lippertsreuter Straße und einigen weiteren breiteren Straßen. Die Hafenstraße sollte generell vom Autoverkehr befreit werden.

Sie erwähnten es ja eingangs, dass es um die Radwege nicht besonders gut bestellt sei.

Ich habe die Nichtanbindung von Bonndorf und Nesselwangen ans Radwegenetz exemplarisch angesprochen. Durch das viele Betongeld, das in Überlingen angelegt wird, können sich Familien das Wohnen in der Stadt nicht mehr leisten, sie ziehen in die Teilorte. Aber gleichzeitig wird den Familien dort die Infrastruktur nicht gegeben, die sie bräuchten. Als ich vor über 30 Jahren nach Bonndorf gezogen bin, hatten wir dort noch drei Gaststätten, selbst eine Sparkasse – und das bei deutlich weniger Einwohnern als heute. Aktueller Stand: Kein Dorfladen, keine Gaststätte, keine Fahrradwege, dafür aber eine breite Durchfahrtsstraße, auf der häufig gerast wird. Bonndorf und die anderen Teilorte wachsen so stark wie nie zuvor – aber die Infrastruktur und eine Nahversorgung fehlen. Die Familien wären ja gerne mit dem Fahrrad unterwegs und würden ihre Kinder auf dem Fahrradweg in die Schule schicken.

Mit der Deutschen Umwelthilfe haben Sie die Erfahrung gemacht, dass Sie mit juristischen Mitteln weiter kommen, wenn – aus Ihrer Sicht – die politischen Mittel versagen.

Wenn wir zu juristischen Mitteln greifen, ist das natürlich medial sehr präsent. Erfreulicherweise schaffen wir aber 99 Prozent unserer Ergebnisse durch Überzeugungsarbeit. Wir regen Entwicklungen an, werben und kämpfen für Verbesserungen für Mensch und Umwelt. Zur Klage greifen wir nur, wenn zuvor alle anderen demokratischen Instrumente gescheitert sind. Als ultima ratio.

Das meinte ich. Auf Überlingen bezogen: Wenn der Gemeinderat und die Verwaltung nicht von sich aus für eine bessere Luft in der Stadt sorgen, wird es dann Zeit für eine Klage?

Ich bin guter Dinge, dass es einer Klage in Überlingen nicht bedarf. Ich sehe keine grundsätzliche Ablehnung von sinnvollen Maßnahmen. Wobei mir die Sorge um eine gesündere Luft noch eine zu geringe Wertschätzung erfährt. Ich war vor einem Jahr bei Oberbürgermeister Zeitler zum Gespräch über die autolastige Verkehrsentwicklung und fehlende Infrastrukturen wie fehlende Dorfläden in den Teilorten. Mittelfristig könnten aber auch auf Überlingen Probleme zukommen, wenn EU-weit die Grenzwerte für Feinstaub und Stickstoffdioxid auf die von der Weltgesundheitsorganisation WHO empfohlenen Grenzwerte abgesenkt werden. Eine für die Überlinger Verkehrsentwicklung entscheidende Frage ist die schnellstmögliche Elektrifizierung der letzten Diesel-Bahnstrecke am Bodensee. Die eingesetzten alten Dieselzüge sind ausnahmslos ohne Partikelfilter unterwegs, mit einem 25 Jahre alten Standard, was im Übrigen nicht nur für die alten Loks gilt, sondern auch bei denen, die neu gekauft werden.

Die Dieselzüge fahren mitten durch Überlingen.

Eben. Vor allem dort, im Trog, im Stadtgraben, aber auch in den Straßenschluchten, wo ein geringerer Luftaustausch stattfindet, haben Sie eine enorme Belastung. Überlingen mit seiner Ausrichtung als Kurstadt, als Gesundungsstadt, mit einem sehr hochwertigen Tourismus, dieses Erleben von Waldrapp und Uhu im Stadtpark – meine Güte: Da gehört sauberes Wasser, das wir haben, genauso dazu wie saubere Luft. Ich würde mich freuen und ich reiche der Stadt und dem OB nochmals die Hand mitzuhelfen, die kurzfristige Elektrifizierung am Bodensee-Nordufer insbesondere gegenüber dem Landes- und Bundesverkehrsministerium durchzusetzen. Überlingen liegt als größte Stadt inmitten dieser schäbigen und langsamen Dieselstrecke. Ich würde mich freuen, wenn Überlingen mit uns als Umwelt- und Verbraucherverband dafür kämpft. Die Elektrifizierung erlaubt den Einsatz moderner, schnell beschleunigender und auch mehr täglicher Zugverbindungen und damit auch ein Umsteigen für viele vom Auto auf eine saubere Bahn. Wir können hier über Bande zu spielen und gemeinsam erreichen, dass am wichtigsten Trinkwasserspeicher Europas eine moderne Bahnstrecke verläuft.

Das Thema Elektrifizierung führt uns hier im Gespräch weg von den Themen, die die Stadt selbst im Griff hätte.

Lassen Sie mich noch ein Argument formulieren. Eine Elektrifizierung hätte zur Folge, dass die veraltete Sicherheitstechnik weg käme. Die Sicherheitsabstände zwischen den Zügen könnten verringert und das Schienenangebot ausgebaut werden. Die Leute könnten irgendwo an der Bahnstrecke parken, wären in acht Minuten mitten in der Stadt – was die Verkehrspolitik von Überlingen direkt beträfe.

Haben Sie die Abgaswerte von Überlingen gemessen, die nötigen Instrumente hätten Sie ja.

Stichprobenartig, Messungen mit einem Partikelanzahlzähler. Wie zu erwarten, ergaben sich absolute Rekordbelastungen im Graben. Aber es gibt keinen Grenzwert für die Partikelanzahl – noch nicht in der Außenluft. Deshalb ist hier kein juristischer Fall, sondern ein Gesundheitsfall zu beobachten. Ich würde es deshalb für ausgesprochen nötig halten, dass Diesel-Busse entsprechend nachgerüstet werden. Wir konnten im Bundesverkehrsministerium eine 80-prozentige Bezuschussung durchsetzen. Ich würde mich freuen, wenn Überlingen darüber intensiver nachdenkt. Das wäre nur eine von vielen Einzelmöglichkeiten, die die Luft verbessern und die Lebensqualität erhöhen würde.

Fragen: Stefan Hilser