Es ist die Nacht vom 28. auf den 29. Mai 2022. In einer Lokalität nahe der Uferpromenade in Überlingen läuft eine Party. Laut damaligem Polizeibericht fällt ein 24-Jähriger gegen 1 Uhr wegen seines aggressiven Verhaltens auf – es kommt zu einem Angriff auf den DJ. Vom Sicherheitspersonal wird der junge Mann nach draußen manövriert. Noch vor Eintreffen der Polizei verschwindet er, wird aber kurze Zeit später nach einer Prügelei auf der Hofstatt aufgegriffen und in Gewahrsam genommen. Die Stimmung in der Innenstadt ist allgemein aufgeheizt. Die Polizei setzt mehrere Streifen ein, um die Situation nicht ausarten zu lassen.

Knapp ein Jahr später sitzt der heute 25-Jährige im Amtsgericht Überlingen auf der Anklagebank. Er ist mehrfach einschlägig vorbestraft. Eine Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten hat er bereits hinter sich. Es gab Probleme mit Alkohol- und Drogenkonsum. Beschulungs-, Ausbildungs- und Therapieversuche scheiterten in der Vergangenheit. Kurzzeitig war der Mann stationär untergebracht. Immer wieder ging es um Traumata, Sucht und Gewalt. In seinen Bewährungsheften ist die Rede von Impulsdurchbrüchen.

Wie hat der Angeklagte die Nacht erlebt?

Jetzt wirft ihm die Staatsanwaltschaft Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen vor. Richter Alexander von Kennel möchte hören, wie der Angeklagte die Nacht erlebt hat. Der 25-Jährige behauptet zunächst, nicht mehr so viel zu wissen. Er schiebt die Geschehnisse auf seinen starken Alkoholkonsum und die Einnahme einer Tablette Tilidin, ein synthetisches Opioid. Nach einer Verhandlungspause, in der sich Angeklagter und Verteidiger absprechen, schildert der 25-Jährige jedoch detailliertere Erinnerungen. Von Kennel bestärkt ihn: „Es ist wichtig, selbst zu reflektieren, was da los war.“

Es beginnt als Zoff mit dem DJ

Es setzt sich das Bild einer Partynacht zusammen, in der der junge Mann angetrunken den Kontakt zum DJ suchte. „Ich wollte ein Lied anmachen oder an das Mikrofon. Der DJ sagte Nein oder später“, sagt der Beschuldigte. Er gibt zu, ihn gegen das Mischpult gestoßen zu haben. Auch den Vorwurf, etwas geworfen zu haben, bejaht er – entweder in Richtung DJ oder in die Menschenmenge. „Ich hatte irgendetwas in der Hand.“ Zudem schlug der Angeklagte um sich, als er hinausgebracht wurde. „Kann gut sein, dass ich jemanden getroffen habe“, mutmaßt er. Ein Teil der Lichtanlage und eine Box bekamen ebenfalls etwas ab. Vor der Tür warf er dann noch eine Glasflasche, wie zwei der Security-Mitarbeiter bestätigen.

Angeklagter: „Es hätte nicht sein müssen“

Parallel zu dem Handgemenge entwickelten sich zusätzliche Konflikte. Die Polizei wurde alarmiert und die Feier beendet. Der heute 25-Jährige flüchtete. Auf der Hofstatt kam es zu der weiteren Schlägerei. Richter Alexander von Kennel sagt über den Polizeieinsatz: „Es war ein riesen Aufgebot. Sogar Polizeihunde waren da.“ Der Angeklagte bereut den Abend: „Es hätte nicht sein müssen. Das gebe ich zu.“ Mit einer neuen Arbeitsstelle, der Aussicht auf eine Ausbildung, einem Therapieplatz und regelmäßigem Kontakt zu seinem Kind will er neu anfangen.

Nach der Party kümmert sich der Angeklagte um Wiedergutmachung

Am Montag nach der Party entschuldigte er sich bei der Organisatorin. Er befragte Zeugen und ließ dem DJ Schmerzensgeld zukommen. Vor Gericht geben sich die beiden Männer die Hand. Der DJ verzichtete auf eine Anzeige. „Ich bin seit 15 Jahren im Nachtleben unterwegs. So was passiert“, begründet der 34-Jährige und versichert glaubhaft, keine Spätfolgen von dem Angriff davongetragen zu haben.

Das könnte Sie auch interessieren

Mehreren Zeugen ist der Ausraster unerklärlich

Eindrücklich ist die Aussage eines Sicherheitsmannes. „Er war schon gut alkoholisiert. Er hat nicht mit sich reden lassen“, sagt er über den Angeklagten. Der 44-Jährige beschreibt die Situation als Ausnahmezustand. Mit einem seiner Kollegen fixierte er den jungen Mann draußen auf dem Boden. „Ich habe versucht, ihn zu beruhigen.“ Doch der damals 24-Jährige wütete weiter. An den Beschuldigten gerichtet, erklärt der Zeuge: „Soweit ich weiß, bist du schon angezählt.“ Er appelliert an ihn, im Sinne seines Kindes an seinen Zielen zu arbeiten. Sein Ausraster ist den Zeugen unerklärlich. Mehrere von ihnen geben an, ihn bei bisherigen Partys stets als respektvoll erlebt zu haben. Die Organisatorin sagt: „An Fasching war er auch die ganze Nacht da.“ Es sei alles gut gewesen.

Freiheitsstrafe auf Bewährung

Dennoch muss ein Urteil gefällt werden. Die Staatsanwaltschaft fordert eine Freiheitsstrafe auf Bewährung. Die Verteidigung plädiert für eine Geldstrafe. Richter Alexander von Kennel verhängt schließlich eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten auf Bewährung. Die Bewährungszeit beträgt drei Jahre. Außerdem soll der 25-Jährige eine Geldstrafe in Höhe von 1000 Euro an die Straffälligenhilfe Konstanz zahlen und weiterhin Therapiestunden besuchen. Mit einbezogen ist das jüngste Urteil gegen ihn wegen Inverkehrbringens von Falschgeld. „Alle Arbeit der Justiz hat es in der Vergangenheit nicht geschafft, dass Sie nachhaltig straffrei bleiben“, bedauert von Kennel. Die inzwischen festen Tagestrukturen des 25-Jährigen geben dem Richter allerdings Hoffnung. Er bittet ihn, mit der Bewährungshilfe am Ball zu bleiben. „Ich traue Ihnen das zu. Aber das braucht Kontrolle.“ Eine Woche hat die Verteidigung Zeit, Berufung oder Revision gegen das Urteil einzulegen. Solange ist es noch nicht rechtskräftig.