Überlingen Ein außergewöhnliches Regiekonzept, eine kongeniale musikalische Bearbeitung, ein herausragendes Ensemble und großartige Solisten – das Premierenpublikum erlebte mit der Produktion von Wolfgang Amadeus Mozarts „Die Zauberflöte“ im ausverkauften Saal der Waldorfschule einen grandiosen Opernabend. Hohe künstlerische Qualität gepaart mit Ideenreichtum und frisch-frecher Spielfreude machten den Abend zum Hochgenuss. Dabei ließ die Regie Raum für unterschiedliche Lesarten der „Zauberflöte“ und entlarvte die trügerische Schwarzweiß-Malerei und scheinbare klare Trennung in Gut und Böse, derer sich die Inszenierung mit den überwiegend in Schwarz und Weiß gehaltenen Kostümen in dramatischer Ironie selbst bediente.

Fulminant gelang schon gleich die Ouvertüre, hinreißend arrangiert von Vincent Andreas (musikalische Leitung). Seine beeindruckende Leistung, Mozarts Partitur für ein kleines und sehr feines Bläserensemble mit Klavier und Pauke stimmig umzuarbeiten, krönte er mit der Idee, die hervorragenden Stimmen des Chors der Oper am See (Choreinstudierung und Isabell Marquardt) in die Orchestrierung der Ouvertüre einzuflechten. Ein Soundeffekt, der dadurch gesteigert wurde, dass die akustisch und gestisch agierenden Chormitglieder in den Reihen des Publikums platziert waren und so die Operngäste ins Geschehen zogen. Überhaupt hob das Konzept der Inszenierung (Regie Ruben Michael) auf einer sparsam möblierten Zentralbühne inmitten der Zuschauer die unsichtbare Trennung, die sogenannte vierte Wand, zwischen Bühne und Publikum vollkommen auf. Schon beim Einlass bekamen die Gäste weiße Schleifchen angeheftet und wurden darüber informiert, dass sie jetzt „zur Versammlung“ und damit quasi zum Kreis der Eingeweihten in Sarastros Tempel dazugehören.

Ein weiterer Geniestreich des Leitungsteams Ruben Michael, Vincent Andreas und Isabell Marquardt (künstlerische Leitung) bestand in der Dreiteilung der Solopartien von Königin der Nacht und Papagena. So übernahmen die „Drei Damen“ Béa Droz (Sopran), Helena Müller (Sopran) und Benjamin Boresch (Countertenor) als Terzett die Arien der Königin der Nacht, und die „Drei Knaben“ Jasmin Daniker (Sopran), Kristina Neff (Sopran) und Judith Eilert (Sopran) für die erkrankte Annette Heed schlüpften zu dritt in die Rolle der Papagena. Die Verteilung auf mehrere Sängerinnen und Sänger, darunter erstmals auch Chormitglieder aus den eigenen Reihen, eröffnete musikalisch und darstellerisch überraschende Konstellationen und bot allen Beteiligten die Möglichkeit, die hervorragende Ensembleleistung – die große Stärke der Oper am See – herauszuspielen.

Als erstklassig besetzt erwiesen sich auch der stimmlich souveräne Gerd Jaburek (Tenor) als Tamino, die berührende Isabell Marquardt (Sopran) als Pamina und der gekonnt tollpatschig-komödiantische Vincent Gühlow (Bariton) als Papageno. Simon Weinert (Bass) überbrachte als von der Regie erfundene Figur des Sprechers seine Infos teils per Megaphon. Damien Noyce (Tenor) gab dem dämonischen Monostratos eine ganz eigene temperamentvolle Prägung und brillierte mit einem Steptanz nach den Klängen des zauberischen Glockenspiels, das ebenso wie die Flöte in Mozarts Bühnenstück dafür sorgt, dass alle, die es hören, friedlich werden oder tanzen. Apropos Flöte – sie durfte als Zauberflöte in Gestalt der Flötistin Sally Beck eine ganz besondere Rolle einnehmen und aktiv auf der Szene agieren. Im blauen Glitzeranzug bewegte sich Beck als Zauberflöte musizierend im Bühnenraum und stellte sich den bösen Mächten entgegen. Diese konnte der mächtige Sarastro, imposant verkörpert von Hermann Locher, letztlich alle in Schach halten. Die gute Kraft der Liebe schien zu siegen: Papageno bekam seine Papagena im Dreierpack, Tamino bestand alle Prüfungen und befreite seine geliebte Pamina.

Ein märchenhaftes Ende, alles gut? Hier setzte Regisseur Ruben Michael im Schlussbild ein großes Fragezeichen. Tamino hockte am Ende als armer Tropf mit seinem Sonnenkelch der Weisheit auf dem Stuhl, die von der Handlung reichlich mitgenommene Tamina stand verzagt am Rand und Sally Beck brach ihre Flöte in zwei Teile – aus der Zauber. Die Realität ist eben kein Märchen, wo Licht ist, ist auch Schatten, und die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen, so könnte man die aktuelle Botschaft der Überlinger „Zauberflöte“ verstehen. „Die Oper urteilt nicht, sie bleibt offen. Das fordert das Publikum heraus, selbst Haltung zu entwickeln“, formuliert Ruben Michael im Programmheft.

Die rund 500 Premierengäste verließen die „Versammlung“ nach drei Stunden ebenso begeistert, wie tief berührt. Die Zuschauerin Christa Bühl bringt es auf den Punkt: „Es ist ein fantastischer Gewinn für Überlingen, dass hier so etwas Hochwertiges geboten wird.“