Es ist ein Zitat, das für den Anfang der Pandemie steht: „Wir werden einander viel verzeihen müssen“, sagte der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im April 2020. Denn noch nie hätten Politiker „mit so vielen Unwägbarkeiten so tiefgehende Entscheidungen treffen müssen“. Tiefgehende Entscheidungen – das gab es in der Pandemie auch in Überlingen. Obwohl sich die Stadt an den jeweiligen Verordnungen der Landesregierung orientierte, kam es dennoch zu äußerst skurrilen Vorfällen.
Bußgelder gegen Skifahrer

Das ist passiert: Der Überlinger Fotograf Jürgen Gundelsweiler schoss im Januar 2021 ein Foto von drei Skifahrern, die sich zufällig auf der verschneiten Luisenhöhe für den Wintersport aufhielten. Mit Abstand stellten sie sich für wenige Sekunden an der frischen Luft nebeneinander und gingen wieder ihr Wege. Anschließend wurde das Bild im SÜDKURIER veröffentlicht.
Das machte die Stadt: Nach der Veröffentlichung erhielten die Skifahrer einen Brief für ein Verwarnungsgeld von 55 Euro und der Fotograf von 50 Euro. Der Vorwurf lautete: Verstöße gegen das Ansammlungsverbot sowie das Abstandsgebot, gemäß damaliger Corona-Verordnung. Ganz Überlingen stellte sich nun die Frage: Hatte das Ordnungsamt vom Büro aus das Lineal angesetzt und Verwarnungen ausgestellt? Die Pressestelle der Stadt wies diesen Vorwurf zurück. Es folgte aber eine heftige Debatte und überregionale Berichterstattung zu dem Fall.
Das sagt der Fotograf heute: Jürgen Gundelsweiler kann heute über diese Geschichte lachen. Der Vorwurf gegen ihn wurde später zurückgezogen. Er kann die damalige Situation des Ordnungsamts aber verstehen. „Die Stadt orientierte sich nur an den Verordnungen des Landes, das ist in so einer Situation nachvollziehbar“, sagt er.
Damals sorgte das Foto bei ihm auch für Kopfschütteln, mittlerweile würden er und die Mitarbeiter des Ordnungsamts sich aber wieder grüßen, auch an seinem Verhältnis zum Oberbürgermeister habe das nichts geändert. Die Geschichte habe für ihn dennoch ein „Gschmäckle“, sagt er: „Es war schon sehr kurios, es war wirklich kein Aushängeschild für Überlingen.“
Bußgelder nach Einschnellen

Das ist passiert: Am Dreikönigstag 2021, mitten im zweiten Lockdown, schnellte der damalige Hänselevater Harry Kirchmaier auf dem dm-Parkplatz an der Lippertsreuter Straße. Damals war Lockdown und es galt die Kontaktbeschränkung.
Das machte die Stadt: Am Schmotzigen Dunschtig erhielt Kirchmaier einen amtlichen Bescheid mit dem Betreff „Anhörung im Bußgeldverfahren“. Ihm wurde gemäß damaliger Verordnung zur Last gelegt, ohne triftigen Grund das Haus verlassen zu haben und zur Teilnahme am Einschnellen aufgerufen zu haben. Als Beweis diente auch dieses Mal die Medienberichterstattung. Der Vorfall sorgte für Empörung in der Stadt und Solidarität.
Das sagt Kirchmaier heute: Beim ehemaligen Hänselevater Harry Kirchmaier sitzt der Stachel noch immer tief. Im April 2021 wurde das Verfahren zwar eingestellt, doch er trat im Oktober 2021 von seinem Amt zurück. Der Grund: Er sah in seiner Rolle keine Basis mehr für Zusammenarbeit mit den Behörden. Auch ein anderes Ehrenamt in Überlingen sei für ihn aktuell „undenkbar“, wie er dem SÜDKURIER kürzlich sagte.

Besonders verärgere ihn heute noch, dass es vom Oberbürgermeister und dem Ordnungsamt seither kein Wort der Versöhnung gegeben habe. „Mit einem habe ich schon mit 16 am Biertisch gesessen“, sagt er in Bezug auf die Verantwortlichen hinter dem Bußgeldverfahren. Man sehe sich natürlich manchmal, so Kirchmaier, doch „man geht sich aus dem Weg“. Auf eine Entschuldigung warte er aber nicht mehr, so Kirchmaier.
Umstrittene Eröffnung der Landesgartenschau

Das ist passiert: Nach mehrfacher Verschiebung sollte im April 2021 die Landesgartenschau (LGS) eröffnet werden. Umstritten war das, weil zu dem Zeitpunkt die Sieben-Tage-Inzidenz oberhalb des kritischen Werts von 50 lag. Die Stadt Überlingen hatte die LGS von der Landesregierung als botanischen Garten einstufen lassen, sodass eine Eröffnung bereits bei einer Inzidenz von unter 100 möglich sein sollte. Der Überlinger Unternehmensberater Matthias Theissen drängte darauf, die LGS erst ab einer Inzidenz von unter 50 zu öffnen, da es sich seiner Auffassung zufolge um eine Messe handelte. Er drohte, die Stadt zu verklagen und forderte eine einheitliche Marschroute bei der Pandemie-Bekämpfung
Das machte die Stadt: Nach rechtlicher Prüfung durch das Sozialministerium blieb die LGS als botanischer Garten eingestuft. Doch die die Stadt drohte Theissen mit einer Schadensersatzklage, sollte er Verzögerungen der Eröffnung bewirken. Am 30. April wurde die Veranstaltung planmäßig eröffnet.
Das sagt Theissen heute: Matthias Theissen beharrt auch heute noch auf seinen Standpunkt. „Ich würde heute nicht anders denken und handeln“, sagt er dem SÜDKURIER. Er stellt klar, dass es ihm nie um eine Verhinderung der LGS ging, sondern dass damals eine für ihn eindeutige Rechtslage vorherrschte.

Zwar habe es in Überlingen vergleichsweise niedrige Infektionszahlen gegeben. „Aber wäre es nicht richtig gewesen, Gesamtverantwortung vor die eigenen Interessen zu stellen?“, fragt er. „Nämlich die drei- bis vierfach höheren Infektionszahlen in den benachbarten Landkreisen als Risiko zu sehen.“ Schließlich sei klar gewesen, dass von dort die meisten Besucher kommen würden. „Und das auf engstem Raum in vollen Bussen und Bahnen“, so Theissen.
Und was sagt die Stadtverwaltung heute?
Auf einen ausführlichen Fragenkatalog des SÜDKURIER zu einzelnen Maßnahmen antwortet die Pressestelle der Stadt Überlingen in einem Statement. Darin verweist sie darauf, dass Verwaltung und Ordnungsamt Entscheidungen stets auf Grundlage gesetzlicher Vorschriften träfen. Bei den Bußgeldern der Skifahrer auf der Luisenhöhe oder dem Karbatschenschnellen habe man sich an der damaligen Corona-Verordnung des Landes Baden-Württemberg und dem Bußgeldkatalog orientiert. Zwei Jahre nach den Vorfällen bestehe demnach keine Möglichkeit, diese Ordnungswidrigkeitsverfahren vor dem Hintergrund der damaligen Rechtslage in Frage zu stellen.
Ähnlich sieht auch die eigene Bewertung zur Eröffnung der LGS aus. Sie sei auf Grundlage der zu diesem Zeitpunkt gültigen Fassung der Corona-Verordnung des Landes erfolgt und sei nach Einordnung als botanischer Garten mit zahlreichen Einschränkungen zulässig gewesen, so die Pressestelle der Stadt Überlingen.