Nein, geladen ist er nicht. Sein Auto steht zwar immer noch stromlos im Parkhaus. Geladen im Sinne von verärgert ist Klaus Dieter Kern aber mitnichten. Vielmehr gibt der frühere Hochschulprofessor am Ende des Pressegesprächs zu, dass es ihm Spaß bereite, Defizite in Unternehmensabläufen aufzudecken. Da vor ihm keine Studenten im Hörsaal mehr sitzen, denen er es erzählen könnte, wolle er nun gerne über die Zeitung eine Lehre vermitteln.
Sein Adressat ist das Stadtwerk als Betreiber von Ladesäulen. Seine Lehre lautet: „Das Wichtigste bei solchen Prozessen ist die Kommunikation.“ Und eben die sei schlecht, wenn er sich ansieht, mit welchen Schwierigkeiten er beim Laden seines Hybridfahrzeugs konfrontiert war. Und wie er sich alleingelassen fühlte bei der Bewältigung der Probleme.
Um den emeritierten Professor im Vorfeld etwas kennenzulernen, verweist er auf Wikipedia. Dort gibt es einen Eintrag für Klaus D. Kern. Man erfährt, dass er 80 Jahre alt ist, und dass er an der Fachhochschule Reutlingen bis 2002 eine Professur auf dem Gebiet „Angewandte Informatik und Prozessmanagement“ innehatte.
Sein Prozessmanagement in der Küche
Im Gespräch bei Himbeerkuchen und Kaffee erzählt er, dass bei sich zu Hause in Reutlingen nur er die Spülmaschine einräumen darf, seiner Frau habe er es verboten. Er würde es nicht ertragen, wenn Messer, Gabel und Löffel nicht an genau dem ihnen zugedachten Platz im Besteckkasten liegen. Denn was das Prozessmanagement in der heimischen Küche anbelangt, da kennt der Organisations-Professor keine Kompromisse.
Der 80-Jährige erzählt das alles mit einem verschmitzten Lächeln. Sein Spülmaschinenfimmel zeigt auf, wie ihn sein Lebens- und Lehrthema auch als Emeritus fasziniert. Er optimiert einfach gerne Abläufe und Prozesse.
Ein Odyssee in acht Kapiteln beginnt
Die eigentliche Story, die er erzählen will, beginnt mit seiner Fahrt zum Kuraufenthalt nach Überlingen. Dafür nutzte er seinen neuen Toyota Prius Hybrid, mit dem er auswärts noch überhaupt keine Erfahrung beim Laden der Batterie sammelte. Denn bislang lud er das Auto immer nur bei sich zu Hause auf. Das ging problemlos.
Nachdem er in der Kurparkklinik eincheckte, erkundigte sich Kern bei einem Mitpatienten, wo er die leere Batterie aufladen könne – und damit begann seine Odyssee.
Erste Station
Seine Odyssee umfasst acht Stationen und geht so: Im ersten Versuch steuerte Kern das Parkhaus West an, wo er daran scheiterte, dass er kein passendes Kabel vom Typ 2 mit sich führte. Wusste er nicht, sei nirgends angeschrieben, fuhr er also wieder zurück in die Klinik – mit Sprit im Hybrid.
Zweite Station
Kern lieh das Kabel seines Mitpatienten aus, scheiterte aber daran, dass er die passende App nicht auf sein Handy laden konnte. Er hatte nämlich keine Internetverbindung. Den etwa fünf Zentimeter kleinen Hinweis auf WLAN im Bereich der Ladesäule hat er übersehen, weil sein Auto ordnungsgemäß vor eben diesem Hinweis parkte.
Dritte Station
Im dritten Anlauf und mit Unterstützung seines Mitpatienten kapierte Kern, dass er als vertragloser Kunde einen QR-Code scannen kann. Doch hätte die Bezahlung dann per Pay-Pal abgewickelt werden müssen, und hierfür hatte er die Zugangsdaten nicht parat.
Vierte Station
Im vierten Anlauf lief er zur Geschäftsstelle des Stadtwerks, weil ihm der freundliche Mitarbeiter im Parkhaus gesagt habe, dass er dort eine passende Ladekarte der EnBW erhalte. Nun spricht Kern über sich in dritter Person: „Der Kern schlägt sich also durch zum Stadtwerk, und was erfährt er dort? Dass es das Kärtchen bei ihnen nicht gibt, die EnBW sei Konkurrenz.“ Verdattert, müde und weil es regnete, leistete er sich für 15 Euro ein Taxi zurück zur Kurparkklinik. Sein Auto? Stand stromlos im Parkhaus West.
Fünfte Station
Sein Mitpatient weiß Rat: Beim Aldi in Salem kann er kostenlos Strom tanken. Auf der Fahrt dorthin ist er, samt Umwegen, 25 Kilometer unterwegs, darf aber maximal nur eine Stunde lang Strom tanken. Das reicht für 50 Kilometer, also genau die Strecke, die auf Kerns Spritztour nach Salem und zurück draufgehen.
Sechste Station
Sechster Versuch vor dem dm-Markt in Überlingen. Geht wieder nur mit Internetverbindung, er hat aber kein Datenvolumen und lernt von seinem „Wanderfreund“, wie er den Mitpatienten nennt, dass er sich Datenvolumen besorgen muss.
Siebte Station
„Hat der Kern also Daten eingekauft und ist zum Parkhaus Therme gefahren.“ Das ist Station sieben. Mittlerweile wurde ihm per Post von der EnBW auch das Ladekärtchen zugeschickt. Also alles paletti? Fast.
Die Internetverbindung funktionierte nicht, wegen der dicken Betonmauern. Das ging erst, als der Kern zwischen Ladesäule und Fenster, wo es Empfang gab, hin und her gesprungen ist. „Mein Wanderfreund und ich sind in den zwei Stunden, wo es geladen hat, in die Krone gegangen und haben einen drauf gemacht.“
Und was sagt das Stadtwerk dazu?
Die achte Station seiner Odysee endet wieder im Parkhaus West
Mittlerweile könnte Kern neuen Strom brauchen. Mit seinem Zuhörer vom SÜDKURIER hat er sich im Badhotel verabredet. Da lag es nahe, noch einmal das Parkhaus West anzusteuern. Also wieder rein ins Parkhaus West, diesmal mit eigenem Kabel, mit Datenvolumen, mit Kärtchen der EnBW, mit installierter App. Kern war hoffnungsfroh – immerhin befindet er sich in Kapitel acht seiner Odyssee. „Sie können nachher schauen“, sagt er verschmitzt: „Es lädt nicht. Laut App zählt es, aber es lädt nicht.“ Irgendetwas muss falsch gelaufen sein. Sogar der freundliche Mitarbeiter im Parkhaus sei mit seinem Latein am Ende und habe ihm nicht helfen können.
Vorbereitungen zur Rückreise
Ab und zu telefoniert Professor Kern mit seiner Frau. Es geht mittlerweile darum, die Rückreise vorzubereiten. Sie habe ihn ermuntert: „Du hast ja einen Hybrid, dann kannst du mit Sprit heimfahren.“
Kern wäre nicht Kern, wenn er seine Heimfahrt nach Reutlingen nicht optimieren würde. „Wissen Sie was“, sagte er, wenn er in der Klinik ausgecheckt hat, dann fahre er schnurstracks zu McDonald‘s. „Dort gibt es WLAN, ich muss keine Parkgebühren zahlen, und ich kann während dem Essen Strom tanken.“ Belustigt schiebt er den Satz hinterher: „Leider sind dann sämtliche Kur-Vorsätze wieder über den Haufen geworfen.“