Wer sich am Morgen nach dem Dorferschoppen im Bett wälzte, hatte entweder einen stechenden Schmerz, oder einen Ohrwurm im Kopf. Für den Ohrwurm, der lange nachhallte, war in der Dorferbutte wieder Matthias Wigger zuständig, instrumental unterstützt von einer Abordnung der Stadtkapelle. Als er am Ende des fünfstündigen Programms vor sein mittlerweile weitgehend beduseltes Publikum trat, genügte es, einen einzigen Ton eines Trinklieds anzustimmen, und der ganze Saal sang selig grölend mit.

Matthias Wigger als Kormoran.
Matthias Wigger als Kormoran. | Bild: Jürgen Gundelsweiler

Zeitler torkelt zurück zum Platz

Acht Männer standen diesmal in der Dorferbutte. Zugelassen sind nur männliche Besucher, wobei – man staune – der Dorferschoppen nun erwiesenermaßen auch ohne frauenfeindliche Witze auskommt. Die Butte besteht aus einem aufgesägten Mostfass, das als Bühne für persönliche Betrachtungen kommunal(politischer) Ereignisse dient. Der zur Wiederwahl antretende Oberbürgermeister Jan Zeitler, daselbst im Publikum sitzend, bekam es naturgemäß besonders heftig eingeschenkt. Schwer schlucken musste der Abstinentler, wenn er zum Konsum von Most und Schnaps genötigt wurde, wobei darunter auch so klare Klare sind, dass bei näherer Betrachtung klar wurde, dass das nur Wasser ist, Zeitler aber den Torkelnden mimte, als er zurück an seinen Platz trat. Gut jedenfalls, wenn er nüchtern blieb und aufmerksam zuhörte.

Michael Mimi Braun als kleiner Mann.
Michael Mimi Braun als kleiner Mann. | Bild: Jürgen Gundelsweiler

Tipps für den OB-Wahlkampf

Michael (Mimi) Braun, als „Kleiner Mann“ verkleidet, sagte dem „Noch-Oberbürgermeister“ auf die Nase zu, dass der Überlinger Allefanz eine Wiederwahl verhindern werde. „Vielleicht haben Sie nicht viel falsch gemacht, aber die Überlinger gönnen es Ihnen einfach nicht.“ Der OB „hätte ein super Team“ – Braun sprach im Konjunktiv. Ungünstigerweise sei aber bekannt geworden, dass der O- seinen Bau-Bürgermeister „auch gerne mal anschreit“. Braun empfahl, sich öfter dort aufzuhalten, wo das Herz unserer Stadt schlägt. An Zeitler: „Hintern hoch, die Läden und Wirtschaften in unserer Stadt besuchen, selber mal zu den Leuten fahren.“

Michael Jeckel kündigt

Die Veranstaltung entstand vor 60 Jahren im Überlinger Stadtteil „Dorf“, als „Auflehnung gegen die Konfettisultane in der Stadt“, wie Jörg Bohm erinnerte. Bohm ist Sprecher dieses (struktur-)losen Zusammenschlusses wortgewaltiger Fastnachter. Er führt als ihr Conferencier durchs Programm und war sichtlich überrascht, als Michael Jeckel seinen Auftritt mit den Worten beendete: „Das war‘s.“

Das könnte Sie auch interessieren

Jeckel war fast vier Jahrzehnte lang eine feste Größe im Dorfer. Jetzt steht er also nicht nur als Galgen-Gastronom vor dem angekündigten Ruhestand, sondern auch als Büttenredner. In seiner letzten Butte schlüpfte er in die Rolle der Grünen-Chefin Ricarda Lang, mit der er sich (nur) wegen des nicht vorhandenen Halses verbunden fühlte. Er schloss seinen Auftritt mit dem Wetterbericht, aber vorgetragen in zehn verschiedenen Dialekten, was sein komödiantisches Talent unterstrich. Das Publikum liebte Jeckel wegen oder trotz seiner deftig derben Ausdrucksweise und rief „Zugabe! Zugabe“. Bohm antwortete auf Jeckels Ankündigung zum Abgang, dass man darin nur „einen Antrag“ sehe, der aber abgelehnt werde. Jeckel jedoch drehte Bohm seine breite Schulter zu und ließ die Aufforderung an sich abperlen.

Auftritt mit wenig Applaus

Der Dorfer 2025 wird wohl ohne ihn auskommen, und es stellt sich die Frage, ob andere aus der Runde Jeckels Beispiel folgen. Dem geringen Ausschlag des Applausmessers folgend, müsste Harald Messner seinen Rentenantrag stellen, was aber schade wäre, da er nach Jahren, in denen er nur Witze unterhalb des Bauchnabels platzierte, sich die schlechten Kritiken an seinen Auftritten zu Herzen nahm und nun, als Koch verkleidet, leicht verdauliche Kost hübsch im Topf rumreimte.

Harald Messner als Koch.
Harald Messner als Koch. | Bild: Jürgen Gundelsweiler

Statement gegen Rechts

Der Dorferschoppen war immer auch Drehscheibe für politische Debatten. Die Wortwahl diesmal: korrekt! Wortspielereien mit Randgruppen gab es gottlob keine. Das versammelte Premierenpublikum schloss sich, ausgedrückt in lautstarkem Applaus, den Sätzen von Mimi Braun an, als er feststellte: „Aufstehen! Mund aufmachen! Wir sind 80 Prozent plus!“ Er sagte: „Nie waren die Demokratiefeinde so deutlich auszumachen wie heute, sie sitzen am rechten Rand.“ Jörg Bohm verwies auf die Folgen, die der Brexit für die Briten hat und rief: „Leute, geht wählen!“ Die AfD sei keine Partei, sondern „lösungsarmer Tumormarker einer beleidigten Gesellschaft“.

Achim Friesenhagen alias Horst Schlämmer richtete sich mit Blick auf die Kommunalwahlen „an die Facebook-Nutzer mit der großen Fresse“, die er in lokalen Gruppen wie „Du bisch von Überlingen“ hocken sieht: „Wie wäre es, wenn die sich mal aufstellen lassen? In der dritten Reihe stehen und ‚Scheiße‘ rufen bringt nichts.“ Michael Jeckel machte sich über das Häufchen von „20 Hirnverbrannten“ lustig, die allmontäglich auf der Hofstatt demonstrieren und gar nicht mehr wüssten, wogegen eigentlich. Nun sei er gespannt, ob sie sich am Fastnachtsmontag „in den Hemdglonkerumzug einreihen oder als Gegendemo“.

Der Dorferschoppen im 60. Jahr seines Bestehens hat an einer gewissen Reife gewonnen.
Der Dorferschoppen im 60. Jahr seines Bestehens hat an einer gewissen Reife gewonnen. | Bild: Jürgen Gundelsweiler

Orden für 60 Jahre Dorferschoppen

Als Würdigung für 60 Jahre Dorferschoppen überreichten die Narreneltern Stefan Mayer und Achim Friesenhagen überdimensional große Orden an die Akteure. Mit ihnen schmückten sie sowohl die Buttentanten, als auch deren Helfer im Hintergrund. Dazu zählt Masken- und Kostümbildnerin Waltraud Späte, die die Männer in der Butt zu Schmuckstücken aufpoliert.

Frank Neumann alias Udo Lindenberg und Maskenbildnerin Waltraud Späte.
Frank Neumann alias Udo Lindenberg und Maskenbildnerin Waltraud Späte. | Bild: Jürgen Gundelsweiler

Am aufwändigsten waren die Kostüme von Matthias Wigger, der als singender Kormoran ging. Sowie von Herbert Gommeringer, der als Tracht tragendes Waschweib mit bürstenbesetzter Radhaube allerlei aufkehrte und aufsammelte. Darunter die Odyssee, die Stefan Mayer auf der Jagd erlebte: Er nahm eine Rotte Wildsauen an einem nach starken Regenfällen entstandenen Teich aufs Korn, wo er auch dreimal traf. Doch soffen seine Sauen ab, weshalb aus dem Jäger sogleich noch ein eingesauter Schweinefischer in Unterhosen wurde.

Herbert Gommeringer.
Herbert Gommeringer. | Bild: Jürgen Gundelsweiler

Schlämmer kandidiert als OB

Achim Friesenhagen erfüllte eine doppelte Mission und kam in den Dorferschoppen als Narrenvater, sowie in seiner Paraderolle als „Horst Schlämmer“. Ihm flogen die Herzen des Publikums zu, als er mit Blick auf die OB-Wahl sagte: „Isch kandidiere!“, und sein Wahlprogramm in die Worte fasste: „Mit mir wird alles besser.“ Verkehrsprobleme etwa löse er dadurch, dass er nie alle Straßen gleichzeitig sperre. „Überlingen ist von der Außenwelt abgeschnitten wie zuletzt 1634, als die Schweden vor den Toren standen.“

Achim Friesenhagen alias Horst Schlämmer.
Achim Friesenhagen alias Horst Schlämmer. | Bild: Jürgen Gundelsweiler

Prösterchen auf Udo Lindenberg

Die besten Performance in der 24er-Butte bot Frank Neumann alias „Udo Lindenberg“. Zerbeulter Hut, schwarze Perücke und dunkle Brille: Das genügt den meisten Lindenberg-Mimen. Neumann aber schaffte es durchgehend, mit ausgeleierter Unterlippe den typischen Lindenberg-Slang zu schnoddern. Inhaltlich muss da gar nicht so viel transportiert werden, die Show zählt, um das Publikum glücklich zu machen. Das lernte Neumann von Schunkel-Wigger und setzte es als „heißer greiser Rock‘n‘Rollator“ perfekt um. Prösterchen!

Frank Neumann alias Udo Lindenberg im Dorferschoppen.
Frank Neumann alias Udo Lindenberg im Dorferschoppen. | Bild: Jürgen Gundelsweiler