Als Friedrich Klapdor 1970 das erste Mal zum Fasten nach Überlingen fährt, ist die Reise für ihn in zweierlei Hinsicht ein Abenteuer. Obwohl die Methode des Heilfastens nach Otto Buchinger damals bereits seit 50 Jahren praktiziert wird, halten sich Vorurteile. Mancher sagt gar, das Fasten sei schädlich für den Körper. Doch der heute 94-Jährige ist durch einen Artikel in einer „uralten Illustrierten“ bei seinem Zahnarzt neugierig geworden und bemüht sich um Prospekte.

Der mehrwöchige Aufenthalt wird schließlich gebucht. Seine Ehefrau ist einverstanden. In seinem Unternehmen für Metallverarbeitung ist alles organisiert. Friedrich Klapdor sitzt in seinem Auto auf dem Weg von Velbert bei Wuppertal Richtung Bodensee. Zu jenem Zeitpunkt ebenfalls ein Abenteuer, denn nicht wenige der heute viel befahrenen Schnellstraßen und Anschlüsse existieren noch nicht. Klapdor erreicht dennoch wohlbehalten die Klinik Buchinger Wilhelmi in Überlingen. Sein erster von inzwischen insgesamt 100 Besuchen nimmt seinen Lauf.

Friedrich Klapdor vor seiner eigenen Schautafel im Klinikstandort in Überlingen.
Friedrich Klapdor vor seiner eigenen Schautafel im Klinikstandort in Überlingen. | Bild: Santini, Jenna

Jedes Frühjahr fastet er fortan drei bis vier Wochen und reist im Herbst für eine 800-Kalorien-Kur an. Das Rauchen gibt er schon vor dem ersten Aufenthalt auf – die angebrochene Packung befindet sich zwischenzeitlich im Museum der Familie Wilhelmi – und integriert Tipps etwa zum Thema Ernährung auch zu Hause. Eine Eingebung hat Friedrich Klapdor nach eigenen Angaben dafür nicht gebraucht. Im Rückblick auf seine erste Kur sagt er schlicht: „Ich habe mich wohlgefühlt.“ Das ist Grund genug, ohne Unterbrechungen zurückzukehren. Zuletzt im Oktober dieses Jahres. Um Gewichtsabnahme geht es dabei nie, stattdessen um Vitalität.

Wenige Gebrechen mit 94 Jahren

„Ich habe so keine sonderlichen Gebrechen, wenn man mein Alter beachtet“, sagt der gelernte Industriekaufmann. Lediglich ein Herzschrittmacher, ein Hörgerät und eine „sehr geringe Dosis“ eines Blutdruckmedikaments begleiten ihn durch den Alltag. Er benötigt keinen Rollator. Die 51 Stufen von der Massage hoch in sein Zimmer legt er zu Fuß zurück. „Nicht im Sauseschritt. Aber ich komme oben an, ohne nach Luft schnappen zu müssen“, berichtet Klapdor nicht ohne Stolz.

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45 Jahre lang fastet er einmal im Jahr, spürt eigenen Angaben zufolge fast keine Nebenwirkungen. Als ihm der Einstieg ins Fasten in seinen 80ern schwerer fällt, belässt er es beim 800-Kalorien-Programm. Mit 85 Jahren beschließt er, nicht mehr selbst mit dem Auto an den Bodensee zu fahren. Seine 100 Aufenthalte hat er alle dokumentiert, sogar mit Blutwerten. Klapdor spricht von gesundbringenden Urlauben. „Wir haben sehr viel bei Buchinger gelernt und die Lebensweise den Empfehlungen der Buchinger-Klinik angepasst, ohne uns zu kasteien. Kasteien bringt ja nichts“, sagt der 94-Jährige voller Überzeugung.

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Hinzu kommen nette Bekanntschaften. Für die Runde, die über mehrere Jahre im Frühjahr in Überlingen zusammenkommt, etabliert sich der Name Maikäfer. In der Region findet er ebenso Bekannte, darunter einen Sammler in Salem. Klapdor sammelte Radiogeräte. Noch heute tauschen sich die beiden Männer aus. Diesen Oktober im Café Diener in Überlingen. Ebenso ist er lange in Vereinen tätig, liebt die Musik und hält sich am eigenen Laptop auf dem Laufenden. „Ich gehe nicht aufgrund meines Alters mit Scheuklappen durchs Leben“, sagt Klapdor.

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Seine Kuren empfindet er als Privileg. Als Unternehmer kann er sie damals angehen, weil seine Familie und Mitarbeiter tolerant sind. Letztere beschreibt er als vertrauensvoll. Als Dank bringt er Schokolade aus einem Geschäft in Stein am Rhein mit. Zwei volle Tragetaschen. Für die Schokolade gibt es in der Firma eigens einen Kühlschrank. „Man hat sich immer gefreut, wenn ich zurückkam“, sagt der 94-Jährige lachend. Die Schokolade reicht stets bis zum nächsten Aufenthalt. Auch seine Frau und Tochter fasten in Überlingen. Gemeinsam fasten Klapdor und seine Frau gleichwohl nie. „Das verträgt sich nicht. Jeder muss seinen Weg gehen.“ Zudem schätzt er die Wiedersehensfreude mit Frau, Tochter und Sohn.

Modernisierung der Klinik miterlebt

Im Gespräch mit Dr. Françoise Wilhelmi de Toledo, die vor mehr als 20 Jahren die Forschungsabteilung an den Klinikstandorten in Überlingen und Marbella aufbaut, erinnert er sich an Ärzte und Mitarbeiter. Friedrich Klapdor erlebt in mehr als fünf Jahrzehnten mehrere Generationen der Familie und des Ärzteteams mit. Otto Buchinger lernt er nicht mehr kennen. Aber: „Sein Geist wehte noch durch die Räumlichkeiten.“ Die Modernisierung der Klinik, aber auch der Bodenseeregion sieht er vor seinem inneren Auge ablaufen. „Er ist das Gedächtnis der Klinik. Wir erfahren so viel. Auch Lustiges“, sagt Françoise Wilhelmi de Toledo.

Françoise Wilhelmi de Toledo sagt über Friedrich Klapdor (von links): „Er ist das Gedächtnis der Klinik.“
Françoise Wilhelmi de Toledo sagt über Friedrich Klapdor (von links): „Er ist das Gedächtnis der Klinik.“ | Bild: Santini, Jenna

Ihr Sohn Leonard nennt Klapdor einen Fasten-Star. Aus Respekt und zur Freude rollt man ihm zu seiner 100. Ankunft einen roten Teppich aus. Über den Besuch sagt er am Ende: „Es war fantastisch, wie immer. Ich weiß, was auf mich zukommt. Ich weiß, was ich zu essen bekomme. Ich weiß, welche guten Behandlungen ich bekomme.“ Klapdor möchte weiterhin zweimal im Jahr nach Überlingen fahren. Wie oft ihm das noch vergönnt sein wird, „weiß nur der liebe Gott“, sagt der Senior und lächelt. „Die Endlichkeit des Seins geht auch an mir nicht vorbei.“