Als Bühnenaufbau reicht da ein Rahmen, in dem die Überlinger Geschichte von der Alemannenzeit bis zum 30-jährigen Krieg in sechs Bildern lebendig wird. Sie beginnt mit dem legendären Alemannenherzog Gunzo und seiner heiratsunwilligen Tochter Fridiburg. Dann erst ist die erste urkundliche Erwähnung am 9. August 773 Thema, von der man lange dachte, sie stamme von 770, weshalb man auch 2020 bereits (wieder) Jubiläum feiert.

Es folgt die Geschichte des unglücklichen Otto IV., der in Überlingen das Schiff nach Konstanz verpasst und dem Staufer Friedrich II. unterliegt. Das vierte Bild setzt die mittelalterliche Hochkultur mit Akteuren wie Burkhard von Hohenfels, Suso und Oswald von Wolkenstein in Szene. Das fünfte Bild hängt schief, weil die Zeit mit den Bauernaufständen im 16. Jahrhundert aus den Fugen gerät. Im Schlussbild belagert General Horn 1634 mit 5000 Schweden vergeblich Überlingen. Die Geschichte endet hier, aber natürlich nicht die Überlinger Historie.
Die Geschichte geht weiter
Ursprünglich hätten ihr die Zuschauer von „Iburinga“ weiterfolgen sollen, im doppelten Wortsinn. Denn Barbara Stoll, die das Stück alleine schrieb, nachdem der vorgesehene Co-Autor Peter Renz aus gesundheitlichen Gründen ausgeschieden war, hatte weitere Stationen vorgesehen. So hätten der Münsterplatz und die Hofstatt als Schauplätze für weitere Episoden dienen sollen. Doch dieser Plan fiel Corona zum Opfer.

Barbara Stoll ist darüber gar nicht unglücklich, wie sie einräumte. Denn sie denke heute, dass die Fortsetzungen im Landesgartenschau-Trubel wohl untergegangen wären. Dabei hat Stoll bereits Material, das für eine weitere Stunde Theater reichen würde. Das müsse ja nicht verloren sein, meinte OB Jan Zeitler auf SÜDKURIER-Nachfrage. Eine Idee wäre, dass man das Theater 2021 auf der Seebühne der Landesgartenschau fortsetze, so Zeitler.

Seine Frau Annette Stoll-Zeitler jedenfalls hätte bereits bei der Premiere am Freitag eine weitere Stunde zuschauen „und noch viel mehr lernen“ wollen, wie sie Stoll begeistert sagte.

Barbara Stolls Auswahl und Bearbeitung Überlinger Geschichte(n), ihre Regieeinfälle, zu denen auch – teils regional adaptierte – Anleihen bei Goethe, Shakespeare und Gryphius zählen, sowie die Umsetzung durch das vierköpfige Schauspielerensemble und drei „Bodenseesirenen“ gefielen bei der Uraufführung Insidern wie Außenstehenden. So zeigte sich Stadtarchivar Walter Liehner angetan über die „immer wieder überraschenden Wendungen.“

Bei der Urkundenszene, als alle auf deren Aussteller, den Mönch Waldo, warteten, „habe ich als Archivar natürlich erwartet, dass der auch kommt“, so Liehner lachend. Doch Waldo taucht nicht auf, stattdessen lässt der Alemannengraf Ruodbert, um dessen Schenkung ans Kloster St. Gallen es in dem Dokument eigentlich geht, durchblicken, dass er diese nicht ganz so freiwillig vornimmt. Er hadert damit ebenso wie mit der (Zwangs-)Christianisierung der Alemannen durch die Karolinger und deren Herrschaft.
Der Bodmaner Bildhauer Peter Lenk, dessen Tochter Annie die Kostüme gemacht hat, war vor allem vom „evangelischen Märtyrer“ Johannes Hüglin beeindruckt, den er bislang nicht gekannt hatte. Hüglin wurde 1527 in Meersburg verbrannt, weil der Pfarrer die Forderungen der aufständischen Bauern aufgeschrieben hatte – und zwar auf Bitten der Stadt Überlingen, die ihn dann später aber festnahm und dem Bischof von Konstanz auslieferte. Im Verhör verteidigte sich Hüglin äußerst geschickt und überzeugend.

Vom Volk her erzählt
Stoll erzählt die Geschichte(n) vor allem aus der Perspektive der „Leute von unten“, und nicht der Herrschenden. Diese Art der Geschichtsbetrachtung ist erst seit wenigen Jahrzehnten in den Fokus gerückt, einer ihrer Pioniere war der lange an der Uni Konstanz lehrende Mediävist Arno Borst. Doch auch noch etwas anderes wäre vor nicht allzu langer Zeit auf einer Theaterbühne nur als Satire denkbar gewesen: Das Singen des Heimatliedes „Überlingen“, mit dem das Ensemble die Zuschauer am Schluss verabschiedet.
