Herbst 2021, mitten in der Corona-Pandemie. An den Schulen gilt Maskenpflicht. Immer wieder kommt es zu Debatten – in Schulen und anderswo – um Atteste, die vom Tragen der Maske befreien. Viele Menschen haben aus gesundheitlichen Gründen tatsächlich Probleme mit der Maske, andere haben einfach keine Lust, sie zu tragen.
Etwa anderthalb Jahre später vor dem Amtsgericht Überlingen. Hohe Sicherheitsvorkehrungen, es werden Personalien kontrolliert, jeder, der ins Gericht möchte, wird per Sensor kontrolliert und abgetastet. Ein Arzt aus dem Bodenseekreis sitzt hier heute auf der Anklagebank. Was ist passiert?
Dem Arzt wird vorgeworfen, im Sommer und Frühherbst 2021 in 30 Fällen falsche Gesundheitszeugnisse ausgestellt zu haben. Konkret geht es um Atteste, die vom Tragen der Maske befreien. Vorwiegend Schüler haben von ihm die Atteste erhalten.
Dass nun aber die Polizei die Verhandlung schützt, liegt an drei Schreiben, die der Arzt der Staatsanwaltschaft in Konstanz und dem Amtsgericht zukommen ließ. Der Staatsanwalt erklärt auf Nachfrage zu den Inhalten, dass sie eine Nähe zu sogenannten Reichsbürgern aufweisen. Vorsichtshalber hat Richter Alexander von Kennel die Einlasskontrolle angeordnet. Außerdem sitzt ein Polizist mit im Saal.
Nachlässigkeit bei ärztlicher Untersuchung
Zwischen Richter, Staatsanwalt und Verteidiger geht es zunächst jedoch um den Zweck des Einspruchs und die Atteste an sich. Könnten die im Strafbefehl festgelegten 270 Tagessätze den Mediziner seine Approbation, also seine Zulassung, kosten? Hat der Arzt seine Patienten tatsächlich untersucht oder reichte ihm das Gespräch aus? Der Staatsanwalt legt ihm zur Last, der ärztlichen Untersuchung nicht hinreichend nachgekommen zu sein. Auch habe er Patienten, die er längere Zeit nicht gesehen habe, Atteste ausgestellt: „Es geht darum, dass ein Schüler monatelang ohne Maske im Unterricht sitzt und andere gefährdet.“
Während sich die Juristen verbal die Bälle hin- und herwerfen, blickt der Angeklagte betreten geradeaus. Der Verteidiger nennt 90 Tagessätze als „magische Grenze“, um keine berufsrechtlichen Konsequenzen befürchten zu müssen. Ferner behauptet er, dass ein Arztgespräch eine Untersuchung sei. „Wenn eine Mutter kommt und sagt, ihr Sohn hat Kopfschmerzen. Soll er sagen, das stimmt nicht?“, fragt der Verteidiger. Ebenso Thema sind vom Angeklagten gemachte Angaben, Patienten seien über Monate symptomfrei gewesen. Grundlage: das Arztgespräch. Es wird diskutiert, wann in der Pandemie sicher war, dass symptomfreie Personen das Virus übertragen können.
Mehrfach unterbricht Richter von Kennel die Verhandlung, damit sich der Angeklagte und sein Anwalt austauschen können. Gab sich der Mann zunächst schweigsam, macht er dann doch Angaben zu seiner Person. Die vergangenen Jahre waren für ihn nicht nur aufgrund der Pandemie eine schwierige Zeit. Auch im privaten Bereich hatte er einige Herausforderungen zu bewältigen.
„Das hatten wir im Studium nicht“
Eigenen Angaben zufolge war dem Arzt bis zum Strafbefehl nicht klar, dass ein Attest ein Gesundheitszeugnis ist. „Das hatten wir im Studium nicht“, gibt er an. Der missbräuchliche Umgang mit Gesundheitszeugnissen ist strafbar.
Abgesehen von seiner Arbeitsweise muss sich der Arzt für die Schreiben an Staatsanwaltschaft und Amtsgericht verantworten. Gruppierungen wie die Reichsbürger versuchen, geltendes Recht für ungültig zu erklären. An diese Idee hatte sich der Mediziner geklammert. Er hatte gehofft, um den Prozess herumzukommen. So werde es behauptet, sagt der Angeklagte. Laut Verteidiger hatte jemand aus dem Bekanntenkreis des Mannes „das so vorgeschlagen“. Der Arzt schrieb laut eigener Aussage ab. „Ich habe den Strohhalm genommen, der mir da angeboten wurde.“
Seinen Ärger kann der Staatsanwalt nicht verbergen. „Sie sind doch kein Trottel. Sie sind Akademiker“, entfährt es ihm. Er geht davon aus, dass die Schreiben hinsichtlich der Zulassung eine Rolle spielen werden.
„Sie sind doch kein Trottel. Sie sind Akademiker.“Staatsanwalt, der sich über die der Reichsbürgerszene nahen Schreiben ärgert
Da der Angeklagte die Taten schließlich einräumt und den Einspruch dagegen zurücknimmt, geht es nur noch um die Rechtsfolgen. Der Staatsanwalt fordert eine Geldstrafe von 240 Tagessätzen zu je 150 Euro. Der Verteidiger setzt dem 90 Tagessätze zu je 100 Euro entgegen. Über seinen Mandanten sagt er: „Da gibt es in der Verwirklichung des Tatbestands viel schlimmere Fälle.“
Verurteilt wird der Mann zu 190 Tagessätzen à 130 Euro. Richter Alexander von Kennel sieht die „besondere Situation“. Als Arzt sei er in der Zwickmühle, inwieweit er die Angaben der Patienten übernehme. „Den Konflikt muss der Arzt aber letztendlich aushalten und das medizinisch Vertretbare machen.“ Dem Mediziner wünscht er, dass es sein einziger Kontakt mit der Justiz bleibe. Bezüglich der Reichsbürger sieht er zumindest den Ansatz, sich davon zu distanzieren. Der Mann hatte sich vor Gericht für die Briefe entschuldigt. Der Strafbefehl habe sein Leben verändert. Inwiefern? Das führt der Arzt nicht näher aus.