Früher durfte man Menschen, die mal um die Ecke dachten und so auf neue Ideen kamen, Querdenker nennen. Das geht heute nicht mehr, den Begriff haben Leute gekapert, die nicht nur um die Ecke gedacht haben, sondern auch gleich falsch abgebogen sind. Dass unkonventionelle Lösungen aber einen enormen Gewinn bringen können, ist zum Glück ideologisch unumstritten. Ein perfektes Beispiel liefert das Überlinger Sommertheater.
Wenn es keine Spielstätte in der Stadt mehr gibt, weil sie entweder jahrelang renoviert oder mit Schnittblumen dekoriert wird, dann suchen sich die rührigen Initiatoren eben etwas auf dem Land. „Theater am Kuhstall“ heißt das dann und avanciert in Kombination von Kultur auf der Bühne und ländlichem Ambiente zum Gesamtkunstwerk. Die Gäste schlendern an Pferde- und Kuhstall vorbei, bevor sie ein kühles Getränk auf der Veranda vor der Spielstätte mit Blick auf die Wiesen und Störche Deisendorfs einnehmen. Während der Vorstellung meldet sich wie auf Stichwort eine Kuh von nebenan zu Wort und entlarvt die Schlagfertigkeit der Künstler. Das Publikum kichert entzückt.
Die Besucher hatten dank einer pfiffigen Idee der Veranstalter vorher schon Gelegenheit, miteinander ins Gespräch zu kommen. Die Sitzreihen beginnen mit Reihe zwei. Das erschließt sich manchem, der schlicht durchgezählt hat erst, wenn ein Besucher mit fragendem Gesichtsausdruck vor ihm steht. Es werden ratlose Blicke auf die Karten geworfen, jemand weiß die Lösung und es beginnt das kollektive Aufstehen. Der falsch belegte Platz liegt in der Mitte, wo sonst. So schlängeln sich manche Besucher mehrfach an weiteren Kulturbeflissenen entlang. Es fallen humorige Kommentare, man kommt ins Gespräch. Bevor die Schauspieler auf der Bühne übernehmen, erinnert das Bild des Publikums an die Reise nach Jerusalem. Eine geniale Idee das Eis zu brechen, bevor es überhaupt friert.
Gleiches gilt für den Einfall, das Sommertheater auf einen Bauernhof zu verlegen. Mancher möchte nach der Veranstaltung gar nicht wieder weg und nimmt noch ein Gläschen an der Bar. Damit findet man den Weg über den dunklen Hof zum Ausgang noch romantischer, vor allem wenn ein paar Kinder mit Taschenlampen und einer Katze unterwegs sind. Theater kann so ungezwungen sein.