Herr Nägele, Sie bezeichnen sich selbst als Spirituosen-Sommelier. Was kann man sich darunter vorstellen?
Grundsätzlich nichts anderes als unter einem Weinsommelier auch. Ich weiß von Grund auf Bescheid über die Spirituosen, etwa wo sie herkommen, kenne ihre Geschichte. Und ich weiß, wie man sie kombiniert – zu Speisen oder Zigarren. Das Ganze ist daraus entstanden, dass sich Weinsommeliers leider nur beim Wein auskennen und meistens weniger bei Spirituosen.
Und wie sind Sie zu diesem Berufsweg gekommen?
Das geht ganz weit zurück. Mein Papa war einer der ersten Erwerbsobstbauern am österreichischen Ufer des Bodensees. Da fällt natürlich immer Obst an, das weiterverarbeitet wird. Darum hatten wir große Fässer und ich war als Bursch klein genug, um die großen Holzfässer von innen zu putzen. So bin ich in das Ganze reingestolpert. Später habe ich eine Gastroausbildung gemacht und bin im Fachgebiet Spirituosen hängen geblieben. Das war anfangs immer nur ein Hobby, bis wir die Spirituosenakademie gegründet haben. Seit gut 13 Jahren mache ich das nun hauptberuflich.
Was sind aus Ihrer Sicht die Spirituosen-Trends 2025? Welche Drinks sind besonders beliebt?
Nach dem großen Gin-Boom – der eindeutig durch ist – beobachten wir einen Rückgang im Alkoholkonsum. Im Moment verlagert sich der Trend zu Low-ABV-Drinks – also Getränken mit niedrigem Alkoholgehalt wie Wermut oder Liköre. Zusätzlich werden Spirituosen immer seltener pur getrunken, sondern in Drinks verarbeitet. Also Drinks, die man ganz einfach zu Hause nachmachen kann – nichts Hochkomplexes. Das bietet auch unseren regionalen Obstbrennern eine Chance – wenn sie innovativ genug sind, auch mal einen Himbeerbrand mit Tonic zu mixen.
Obstbrände galten lange als altmodisch. Wie hat sich die Szene in den vergangenen Jahren verändert?
Der älteren Generation ist das Mixen ein Graus: Für sie sind Destillate pur, hochprozentig und ungesüßt. Aber: Einen Williams nach dem Essen trinken ist tot. Die Jugend konsumiert anders, durch Corona und die schrumpfende Clubszene wird nicht mehr so viel gefeiert. Stattdessen finden Feiern immer mehr im privaten Umfeld statt. Für Brenner heißt das: Sie müssen mehr bieten – etwa Rezepte oder Anwendungsideen, auch fürs Kochen.
Vorhin haben Sie angesprochen, dass immer weniger Alkohol getrunken wird. Sind alkoholfreie Destillate auch eine Option?
Alkoholfrei ist in dem Fall schwierig, weil es eine Wasserdestillation ist. Alkohol laugt die Aromatik aus, das macht Wasser nicht. Das heißt, alkoholfreie Destillate können sehr intensiv aromatisch sein. Darum riechen auch viele Gin-Alternativen in Richtung Zimt. Außerdem ist Alkohol ein Konservierungsmittel. Ohne ihn verkürzt sich die Haltbarkeit, und das ist etwas, womit ein Brenner nicht umgehen kann. Die wenigsten Brenner denken bisher an alkoholfreie Destillate. Aber ich glaube, dass sie sich das durchaus überlegen müssen.

Was macht für Sie eine gute Spirituose aus?
Die meisten nehmen nur einen Schnaps, setzen den runter und sagen: Schmeckt oder schmeckt nicht. Eine gute Spirituose hängt an vier bis fünf Kriterien. Diese sind objektiv, nicht subjektiv: Intensität, Komplexität, Ausgewogenheit und je länger der Abgang, desto besser. Das sind effektive Kriterien, die man zählen kann, wie den Abgang in Sekunden zum Beispiel.
Worauf sollte man als Laie achten?
Das ist wirklich schwierig. Es gibt schon ein paar Spirituosen, wo diese vier Kriterien nicht zutreffen. Der Obstbrand soll nur nach dem riechen, was draufsteht, und so sauber wie möglich sein. Oder der Wodka, der soll nach nichts schmecken und trotzdem weich und rund sein. Grundsätzlich muss ich erst mal überlegen, was liegt mir, und ganz viele Sachen kosten. Aber nur trinken ist sinnlos. Ich sollte mich schon auch ein bisschen damit auseinandersetzen, woher das Produkt kommt und was die Eigenschaften sind. Dann öffnet sich eine ganz neue Welt – ein kleines Universum, in das man eintauchen kann.
Und was trinken Sie am liebsten?
Das hängt von der Situation und Begleitung ab. Aber ich würde schon sagen, die zwei Sachen, die mir am nächsten liegen sind Gin und Whisky. In schwachen Momenten lasse ich mich vielleicht auch zu einem Rum überreden. Aber ich muss ehrlich eingestehen, man wird mich nicht dazu bringen, irgendwo abends an einer Bar einen Obstbrand zu bestellen. Wobei man auch dazu sagen muss: Jeder von uns wird in einem gewissen Setting groß und die Jungen wollen nie das, was die Alten hatten. Ich bin groß geworden mit einer Familie, wo man Most getrunken hat und Obstler. Dementsprechend war das für mich auch ein Thema, wo ich nie hinwollte.
Sie selbst sind am Bodensee aufgewachsen. Wie schlägt sich die Region in Sachen Brennkunst und Spirituosen?
Österreich, Süddeutschland, die Ostschweiz und das Elsass sind Kernregionen der Obstdestillation. Unsere Brenner haben eine unglaubliche handwerkliche Fertigkeit hochqualitative Destillate herzustellen. Gleichzeitig haben sie sich auch recht schnell adaptiert, wenn es in Richtung Gin, Whisky und Rum geht. Wir leben hier quasi im Schlaraffenland.
Worauf freuen Sie sich persönlich bei Markdorf Spirits?
Ich freue mich zum einen darauf, Kollegen und Studenten von mir zu sehen und zum anderen von Stand zu Stand gehen, die Vielfalt der Spirituosen aufzunehmen und Sachen zu kosten. Das Wichtigste dahinter ist immer, wie wir in den Kursen sagen: Profis spucken, Laien schlucken. Spirituosen trinkt man grundsätzlich nie, wenn man nicht von 0 auf 100 irgendwo liegen will. Die Vielfalt kann man nur wahrnehmen, wenn man entweder nur ganz kurz nippt oder am besten ausspuckt – ansonsten wird es ein kurzer Tag.