Es ist einer dieser heißen Nachmittage Anfang Juli. Die dünne blaue Anzeige am Thermometer ist gegen 15 Uhr dicht an den 30 Grad-Strich herangekrochen, die Luft im Städtle steht. In den Räumen von Refugio VS, dem psychosozialen Zentrum für traumatisierte Flüchtlinge an der Schwedendammstraße, ist Dolmetscherin Firdevs Ezer gerade mitten im Gespräch mit Patient und Psychologe, als sie immer mehr Durst bekommt. Zu welchem Ärger dies bald führen wird, hätte die 55-Jährige sich nie träumen lassen.
Um es vorweg zu nehmen: Ihr Durst – und das Ansinnen, sich dagegen ein Glas Wasser aus der Refugio-Küche zu holen – bringen Firdevs Ezer eine Abmahnung von Seiten der Refugio-Geschäftsleitung ein. Das Schreiben landet nur einen Tag später in ihrem Mail-Briefkasten.
„Das war einfach entwürdigend“, sagt die Dolmetscherin, als sie daran zurückdenkt, was sich an jenem heißen Juli-Nachmittag ihrer Schilderung nach zwischen Kühl- und Küchenschrank abspielte. Refugio selbst widerspricht Ezers Darstellung, will die Ereignisse trotz mehrfacher Nachfrage aber nicht aus eigener Sicht schildern.
Schroffe Ansage vor dem Kühlschrank
„Ich machte den Kühlschrank auf und beugte mich hinunter, um zu schauen, ob es kaltes Wasser gibt“, erzählt die Neu-Villingerin Ezer, die eigentlich aus Berlin stammt und lange in Istanbul gelebt hat. Just in dem Moment sei eine Mitarbeiterin hereingekommen – wie sich später herausstellt, die Stellvertreterin der Geschäftsleitung von Refugio. Ezer weiß dies in dem Moment nach eigenen Angaben nicht.
Was sie hier in der Küche mache, wird die Dolmetscherin gefragt, die nun ihrerseits wissen möchte: „Ist das Wasser für alle?“ Die Antwort: „Ist fürs Personal. Sie können Wasser aus dem Hahn nehmen.“
Auch das Glas fürs Leitungswasser ist offenbar tabu
Firdevs Ezer mit der trockenen Kehle will nicht diskutieren, ob sie als Honorarkraft vielleicht auch Personal ist, und geht einen Schritt zu einem Schrank, um sich dort ein Glas herauszuholen. Die Dame sei nun dazwischengetreten und habe ihr auch dies untersagt, erzählt die Dolmetscherin.
„Mir reichte es jetzt. Ich habe nur noch gesagt, sie soll ihr Wasser und ihr Glas behalten und mich durchlassen.“ Zurück im Behandlungsraum, bricht sie kurz darauf in Tränen aus.
Doch wie sich schnell herausstellt, soll die Begebenheit in der Küche nur der Anfang gewesen sein. Am gleichen Abend schreibt Firdevs Ezer eine Mail an Refugio-Geschäftsführerin Astrid Sterzel mit der Bitte um ein persönliches Gespräch nach dem Vorfall. Die Antwort kommt postwendend. Eine Erklärung?
Nein. Es ist eine Abmahnung „wegen Missachtung allgemein gültiger Verhaltensregeln im Refugio-Büro“, die in Firdevs Ezers Mail-Posteingang landet. Unterzeichnerin ist eben die Dame, der Ezer in der Küche begegnet ist.
„Zum wiederholten Male waren Sie in Räumen, die eindeutig als privat gekennzeichnet sind, waren eigenmächtig an den Schränken, samt Kühlschrank, um sich selbst zu bedienen“, heißt es in dem Schreiben von Refugio, das dem SÜDKURIER vorliegt. „Aus Mangel an Räumen wurde der als privat gekennzeichnete Raum für Sprachmittlerinnen lediglich als Wartebereich zur Verfügung gestellt und nicht zur Selbstbedienung an den Inhalten in Schränken und Kühlschränken.“
Refugio zieht auch die Einladung zurück
Eine Einladung für den 15. Juli wird in der Abmahnung zugleich zurückgenommen, laut Firdevs Ezer handelt es sich dabei um ein internes kleines Sommerfest.
Die Dolmetscherin versteht die Welt nicht mehr. Mit besagter Dame habe sie abgesehen von der Vertragsunterzeichnung und zwei, drei flüchtigen Begegnungen zuvor nie persönlichen Kontakt gehabt. Seit genau einem Jahr war sie bei Refugio tätig, fast ebenso lang saß sie bei Wartezeiten vor ihren Einsätzen in der Küche. Der Therapeut, mit dem sie meist zusammenarbeitete, habe dies genau so gewünscht und erlaubt.
Kaffeemaschine erklärt, Schränke gezeigt
Er habe ihr zudem ausdrücklich erlaubt, sich dann Getränke oder sogar von den Süßigkeiten zu nehmen, die die dankbaren Patienten manchmal vorbeibringen, betont Ezer. „Er hat mir die Kaffeemaschine erklärt und die Schränke gezeigt“, erzählt die 55-Jährige.
Sie versichert: „Ich habe bei allem nachgefragt, ob es in Ordnung ist.“ Manchmal habe sie sogar während der Therapiegespräche aus der Küche Getränke für den Patienten und den Therapeuten geholt.
„Ich hatte noch nie mit jemandem Ärger im Beruf“, so Firdevs Ezer, die auch für die Polizei als Dolmetscherin sowie ehrenamtlich für die Stadt VS arbeitet und zudem Assistentin der Geschäftsleitung bei einer Vermögensberatung ist. „Diese Art und Weise empfinde ich als unangemessen und in keiner Weise dem professionellen Umgang im sozialen beziehungsweise therapeutischen Kontext entsprechend.“
Refugio droht mit rechtlichen Folgen
Doch was sagt Refugio VS, das sich der Hilfe für traumatisierte Flüchtlinge verschrieben hat, selbst zu dem Küchen-Vorfall?
„Die dem SÜDKURIER vorliegende Aussage (...) entspricht nicht den Tatsachen. Dies können die Unterzeichnenden bezeugen. Wir prüfen nunmehr rechtliche Schritte gegen Frau E., da es sich sowohl um eine Falschaussage als auch um eine Verletzung von Verschwiegenheitspflichten, Vertragsinhalten und des Datenschutzes handelt“, so die Stellungnahme von Refugio.
Unterzeichnet ist das Antwortschreiben von Geschäftsführerin Astrid Sterzel, ihrer Stellvertreterin Ute Schwer, dem Therapeuten Manfred Kiewald sowie dem Vorstandsmitglied Ruth Holtzhauer.
Refugio verzichtet auf eigene Schilderung
Den Vorfall aus eigener Sicht schildern will Refugio auch auf wiederholte Anfrage nicht. „Allen Mitarbeitenden, das schließt Honorarkräfte wie Frau Ezer mit ein, allen Klientinnen und Klienten, allen Gästen von Refugio Villingen-Schwenningen werden ausreichend und jederzeit Getränke angeboten“, so das Refugio-Schreiben.
Ein Sommerfest, so heißt es weiter, habe Refugio „in den letzten Jahren und auch dieses Jahr“ keines veranstaltet oder geplant. Die am 5. Juni per Mail versandte Einladung zu dem Fest im Innenhof von Refugio liegt dem SÜDKURIER allerdings vor.
Zusammenarbeit ist beendet
Firdevs Ezer hat unterdessen ihre Konsequenzen aus dem Vorfall gezogen und das Honorarverhältnis mit Refugio von sich aus beendet. „Ich bedauere sehr für die Patientinnen und Patienten, dass ich meine Tätigkeit beendet habe. Besonders bei geflüchteten Menschen weiß ich, wie entscheidend eine präzise und kultursensible Übersetzung während des Gesprächs ist, um ihre Erfahrungen und Erzählungen richtig und vollständig zu vermitteln“, sagt die Dolmetscherin.