„Nicht artgerecht“ findet es Heike Pochop, wenn Hunde permanent an der Leine geführt werden. In bestimmten Situationen seien Leinen richtig und wichtig. Eine generelle Leinenpflicht, wie sie nun in Überlingen auch in den Teilorten ausgerufen wurde, hält die Hundetrainerin allerdings für falsch. Letztlich sei sie kontraproduktiv, weil Leinen den Charakter eines Hundes, sofern er sie in jungen Jahren ständig tragen muss, verderben könnten.

Der Gemeinderat hat im Juli eine Änderung der Polizeiverordnung beschlossen. Demnach gilt fortan innerhalb geschlossener Ortschaften auf Straßen, Gehwegen, Sport- und Freizeitanlagen eine generelle Leinenpflicht. Neu: Sie betrifft auch die Teilorte von Überlingen, etwa Nußdorf oder Lippertsreute. Dagegen regt sich unter Hundehaltern Widerstand.

Warum die neue Polizeiverordnung?

Die Neufassung der Polizeiverordnung ging in der öffentlichen Wahrnehmung unter, zumal sie vom Gemeinderat in einer Sitzung beschlossen wurde, in der ein anderer Aspekt der Polizeiverordnung heißer diskutiert worden ist: das Thema Kiffen.

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Auf Anfrage teilte die Pressestelle der Stadtverwaltung nun mit, warum die Verordnung geändert wurde: „Wir orientieren uns nunmehr an der Mustersatzung des Gemeindetages. In dieser ist bereits seit Langem ein generelles Verbot festgeschrieben, auch um die Kontrollmöglichkeiten für Städte und Gemeinden zu vereinfachen.“

Dass an manchen Orten Hundeleinen nötig sind, sei ja klar. Als Hundehalterin fordert Heike Pochop von anderen Hundehaltern, dass sie Rücksicht nehmen, besonders denen gegenüber, die Angst vor Hunden haben. Sie räumt ein, dass es Hundehalter gibt, die ihre Vierbeiner nicht im Griff haben. Die Konsequenzen müssten nun alle tragen, bedauert sie.

So argumentieren die Hundehalterinnen dagegen

Heike Pochop und Kathrin Diestel sind Hundetrainerinnen. Sie brechen eine Lanze dafür, die Leinenpflicht nicht generell zu verhängen, sondern der Situation angepasst. Dafür sei gegenseitige Rücksichtnahme nötig. Im Gespräch mit dem SÜDKURIER betrachteten sie es als ein gesellschaftliches Problem, „dass die Rücksichtnahme generell verloren geht“. Über einen generellen Leinenzwang für Hunde könne dieses Problem aber nicht gelöst werden.

Pochop und Diestel unterhielten sich im Vorfeld des Interviews im Kreis anderer Hundehalter und holten Meinungen ein. Es sei dabei die Sorge aufgekommen, „dass der verschärfte Leinenzwang als Freifahrschein für Hundemotzer missbraucht werden könnte“. Zudem gebe es die Auffassung, dass eine anlasslose generelle Leinenpflicht für alle Hunde unverhältnismäßig sei. Sie sei nicht artgerecht und deshalb ein Verstoß gegen den grundgesetzlich verankerten Tierschutz.

Warum sie Ausgleichsflächen für wichtig halten

Wenn schon Leinenpflicht, dann sei im Gegenzug eine Ausgleichsfläche nötig, wo Hunde sich austoben können. Und vor allem: wo sie in jungen Jahren Sozialkontakte zu anderen Hunden knüpfen und den Umgang erlernen können. „Das geht an der Leine nicht. Hunde kommunizieren über ihre Körpersprache, und wenn sie an der Leine sind, gibt das eine ungute Stimmung.“

Fragen an das Rathaus

Machen Hundeleinen Hunde aggressiv?

„Leinenaggression“ nennt Kathrin Diestel das Verhalten von Hunden, die bei einer Begegnung mit anderen Hunden regelmäßig ausflippen. Die Hundetrainerin weiß, dass junge Hunde diese Form der Aggression entwickeln, wenn sie zum Kontakt mit anderen Hunden gezwungen werden. Das sei dann der Fall, wenn sie an der Leine ihres Herrchens zur Begegnung mit anderen Hunden gezerrt werden, wo sie am liebsten abhauen wollten. „Sie können sich nicht wegdrehen oder flüchten.“ Deshalb sei es wichtig, dass Hunde in jungen Jahren den Umgang mit ihren Artgenossen lernen. Auf einem eigens für Hunde gesicherten Terrain könne soziales Verhalten eingeübt werden, wovon die ganze Stadtgesellschaft profitiere, so ihr Credo. Außerhalb der Urlaubssaison könnte sie sich Teile des Stadtgrabens oder einen Bereich im Uferpark dafür vorstellen. Pochop: „Ein gesichertes Gelände würde alle Probleme lösen.“

Dietram Hoffmann aus Nußdorf mit seiner Ella, einem Schäferhund-Mischling.
Dietram Hoffmann aus Nußdorf mit seiner Ella, einem Schäferhund-Mischling. | Bild: Hilser, Stefan

Das sagt Hundehalter Dietram Hoffmann

Der frühere Ortsvorsteher von Nußdorf, Dietram Hoffmann, selbst Hundehalter, unterstützt die Forderung von Pochop und Diestel. Er formulierte in einem Leserbrief an unsere Redaktion: „Es wäre gut, wenn der Leinenzwang in den Stadtgräben, auf der Seepromenade zwischen Osthafen und Mantelhafen, auf der großen Wiese unter St. Leonhard und den vielen landwirtschaftlichen Wegen dort, im Badgarten, auf der Promenade zwischen Badgarten und Therme, auch im Uferpark aufgehoben würde, es sei denn, es finden an den genannten Orten Veranstaltungen, wie Töpfermarkt oder Weinfest statt.“

In den Teilorten hätten es die Hunde und ihre Herrchen besser. „Höchstens ein paar hundert Meter von ihrem Wohnort entfernt, finden sie mit ihren Besitzern Wiese oder Wald, wo sie unangeleint laufen dürfen. So gut haben es die Hunde in der Kernstadt nicht, sie müssen im gesamten Stadtgebiet angeleint sein. Abgesehen davon, dass dauerndes Anleinen Hunde häufig aggressiv – insbesondere gegenüber anderen angeleinten Hunden – macht, ist es eine Quälerei für die Tiere.“