Direkt am historischen Gallerturm, mitten in einem alten gewachsenen Stadtquartier, der idyllischen Fischerhäuservorstadt, genehmigte die Baurechtsbehörde der Stadt Überlingen zwei dreigeschossige Wohngebäude. Baukörper, die aus Sicht der Nachbarn viel zu wuchtig sind. Und so hatte sich das Verwaltungsgericht Sigmaringen mit den Klagen von zwei Anwohnern auseinanderzusetzen, die einen Gutteil der Quartiersbewohner hinter sich haben.

Nur die beiden Nachbarn sind klageberechtigt
Während sich diese größere Initiative von Bewohnern bereits seit mehreren Jahren gegen einen Verlust des derzeitigen Gebietscharakters gewehrt hatte, konnten aktuell lediglich die beiden direkten Anwohner den Rechtsweg beschreiten und versuchen, Verstöße gegen nachbarschützende Vorschriften geltend zu machen. Doch am Ende ohne Erfolg, das Gericht schmetterte die Klage ab.
In Juristendeutsch liest sich das Fazit des Verwaltungsgerichts Sigmaringen so: „Die angefochtene Baugenehmigung verletzt keine den Kläger als Nachbarn schützenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften des Bauplanungsrechts oder des Bauordnungsrechts.“
Was die Kläger juristisch ins Feld führen
Was das Bauplanungsrecht angeht, hatten die Anwohner eine Verschiebung des Schwerpunkts in dem ausgewiesenen Mischgebiet zugunsten der Wohnnutzung und dadurch eine mögliche Beeinträchtigung der Gewerbe geltend gemacht. Auf der anderen Seite beklagten sie Immissionen, die von einer neuen Tiefgarage ausgehen könnten.
Die Historie der Streits
Auch im Bauordnungsrecht hofften die Anwohner, einen Ansatzpunkt gefunden zu haben. Sie verwiesen darauf, bei den geplanten Neubauten würden brandschutzrechtliche Bestimmungen missachtet und es fehle ein zweiter Rettungsweg. Selbst wenn das eine oder andere Defizit zuträfe, ergäben sich daraus laut Urteil keine Ansprüche für die Nachbarn, argumentierte der Richter in seinem Urteil.
Beim Termin vor Ort sind alle Seiten vertreten
Zur Klärung des Sachverhalts hatte Richter Julian Thüry eine mündliche Verhandlung im Überlinger Rathaus angesetzt. Für eine intensive Augenscheinnahme an Ort und Stelle nahm sich der Richter viel Zeit und hinterfragte die Argumente akribisch, ordnete sie aber gleich nach rechtlicher Relevanz. Mit dabei waren nicht nur die Kläger und Beklagte, sondern auch die bisherigen Eigentümer und Investoren sowie Vertreter der Nachbarschaftsinitiative.

Strittig war vor Ort, ob das nahe gelegene Parkhaus West bei der Einordnung des Gebiets als gewerbliche Einrichtung eine Rolle spiele und ob ein vorhandener größerer Parkplatz mitten im Areal gewerblichen Charakter besitze.
Bauvorhaben störe „weder quantitativ noch qualitativ“
„Die gebietsprägende Durchmischung von Wohnen und Gewerbe“ werde durch das Wohnbauvorhaben „weder quantitativ noch qualitativ gestört“, heißt es in der Begründung zur Ablehnung der Klage. Auch trage die geplante Tiefgarage mit 17 Stellplätzen nicht zu einem signifikanten Mehr an unzumutbarer Lärm- und Schmutzbelastung bei.
Richter bremst ungeduldigen Baubürgermeister
Während des Ortstermins musste Richter Thüry zwischendurch schon mal den Überlinger Baubürgermeister Thomas Kölschbach bei ungeduldigen Kommentaren bremsen. „Sie können doch nachher im Rathaus plädieren“, sagte der Vorsitzende. Dort ging es dann noch einmal unter anderem um Schleppkurven für Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr und darum, was ein „Bauteil“ ist. Ein parkendes Auto könne man sicher nicht unter diesem Begriff subsummieren, heißt es im Urteil des Gerichts. Daher zähle dies auch nicht als Argument gegen die Baugenehmigung. Zudem verwies Baurechtler Peter Lorenz von der Stadt Überlingen bei der Verhandlung auf einen Ortstermin mit dem Überlinger Feuerwehrchef. Der habe keinerlei Probleme für die Einsatzfahrzeuge gesehen, argumentierte Lorenz.
Zur Sprache gekommen waren im Verlauf von Verhandlung und Augenscheinnahme auch mögliche Hangrutsche am Molassefelsen und Schichtwasserströme im Untergrund. Letztere hatten bereits beim Parkhausbau zu gravierenden Problemen im Untergeschoss gesorgt und eine Nutzung lange unmöglich gemacht. Selbst wenn die Neubauten in dieser Hinsicht bei Angrenzern Schäden verursachten, könne dies nur Gegenstand einer zivilrechtlichen Auseinandersetzung sein. „Acht Meter Unterschied – das ist schon ein Brett“, kommentierte Richter Thüry die Höhendimensionen der neuen Planungen. Aufgrund der Topografie sei dies am Ende allerdings nicht so dramatisch.

Richter begeistert vom alten badischen Gefängnis
Der voluminöse Solitärbau des alten großherzoglich badischen Gefängnisses mitten im Viertel, das gerne als Höhenorientierung genommen wird, beeindruckte bei dem kleinen Spaziergang durch die Fischerhäuservorstadt. „Wenn man tatsächlich einmal einsitzen müsste“, formulierte Richter Thüry im Vorbeigehen, „dann würde man es gerne hier tun“.