Direkt am historischen Gallerturm, mitten in einem alten gewachsenen Stadtquartier, der idyllischen Fischerhäuservorstadt, genehmigte die Baurechtsbehörde der Stadt Überlingen zwei dreigeschossige Wohngebäude. Baukörper, die aus Sicht der Nachbarn viel zu wuchtig sind. Und so hatte sich das Verwaltungsgericht Sigmaringen mit den Klagen von zwei Anwohnern auseinanderzusetzen, die einen Gutteil der Quartiersbewohner hinter sich haben.

Richter Julian Thüry, Nachbar Eric Hueber und Baurechtler Peter Lorenz (von links) von der Stadt Überlingen.
Richter Julian Thüry, Nachbar Eric Hueber und Baurechtler Peter Lorenz (von links) von der Stadt Überlingen. | Bild: Hanspeter Walter

Nur die beiden Nachbarn sind klageberechtigt

Während sich diese größere Initiative von Bewohnern bereits seit mehreren Jahren gegen einen Verlust des derzeitigen Gebietscharakters gewehrt hatte, konnten aktuell lediglich die beiden direkten Anwohner den Rechtsweg beschreiten und versuchen, Verstöße gegen nachbarschützende Vorschriften geltend zu machen. Doch am Ende ohne Erfolg, das Gericht schmetterte die Klage ab.

In Juristendeutsch liest sich das Fazit des Verwaltungsgerichts Sigmaringen so: „Die angefochtene Baugenehmigung verletzt keine den Kläger als Nachbarn schützenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften des Bauplanungsrechts oder des Bauordnungsrechts.“

Augenscheinnahme an Ort und Stelle unterhalb des künftigen Baugrundstücks.
Augenscheinnahme an Ort und Stelle unterhalb des künftigen Baugrundstücks. | Bild: Hanspeter Walter

Was die Kläger juristisch ins Feld führen

Was das Bauplanungsrecht angeht, hatten die Anwohner eine Verschiebung des Schwerpunkts in dem ausgewiesenen Mischgebiet zugunsten der Wohnnutzung und dadurch eine mögliche Beeinträchtigung der Gewerbe geltend gemacht. Auf der anderen Seite beklagten sie Immissionen, die von einer neuen Tiefgarage ausgehen könnten.

Die Historie der Streits

Auch im Bauordnungsrecht hofften die Anwohner, einen Ansatzpunkt gefunden zu haben. Sie verwiesen darauf, bei den geplanten Neubauten würden brandschutzrechtliche Bestimmungen missachtet und es fehle ein zweiter Rettungsweg. Selbst wenn das eine oder andere Defizit zuträfe, ergäben sich daraus laut Urteil keine Ansprüche für die Nachbarn, argumentierte der Richter in seinem Urteil.

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Beim Termin vor Ort sind alle Seiten vertreten

Zur Klärung des Sachverhalts hatte Richter Julian Thüry eine mündliche Verhandlung im Überlinger Rathaus angesetzt. Für eine intensive Augenscheinnahme an Ort und Stelle nahm sich der Richter viel Zeit und hinterfragte die Argumente akribisch, ordnete sie aber gleich nach rechtlicher Relevanz. Mit dabei waren nicht nur die Kläger und Beklagte, sondern auch die bisherigen Eigentümer und Investoren sowie Vertreter der Nachbarschaftsinitiative.

Im Februrar 2021 hatten die Bürger in der Fischerhäuservorstadt mit Ballons veranschaulicht, wie hoch die Neubauten werden sollen. Das ...
Im Februrar 2021 hatten die Bürger in der Fischerhäuservorstadt mit Ballons veranschaulicht, wie hoch die Neubauten werden sollen. Das Amt für öffentliche Ordnung hatte die nur den Gemeinderäten angekündigte Aktion untersagt – aus Sorge vor möglichen Verstößen gegen die damalige Corona-Verordnung, wie es hieß. Eine Polizeistreife überzeugte sich davon, dass es zu keinem Massenauflauf kam. | Bild: Hanspeter Walter Journalist-Texte-Bilder

Strittig war vor Ort, ob das nahe gelegene Parkhaus West bei der Einordnung des Gebiets als gewerbliche Einrichtung eine Rolle spiele und ob ein vorhandener größerer Parkplatz mitten im Areal gewerblichen Charakter besitze.

Bauvorhaben störe „weder quantitativ noch qualitativ“

„Die gebietsprägende Durchmischung von Wohnen und Gewerbe“ werde durch das Wohnbauvorhaben „weder quantitativ noch qualitativ gestört“, heißt es in der Begründung zur Ablehnung der Klage. Auch trage die geplante Tiefgarage mit 17 Stellplätzen nicht zu einem signifikanten Mehr an unzumutbarer Lärm- und Schmutzbelastung bei.

Richter bremst ungeduldigen Baubürgermeister

Während des Ortstermins musste Richter Thüry zwischendurch schon mal den Überlinger Baubürgermeister Thomas Kölschbach bei ungeduldigen Kommentaren bremsen. „Sie können doch nachher im Rathaus plädieren“, sagte der Vorsitzende. Dort ging es dann noch einmal unter anderem um Schleppkurven für Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr und darum, was ein „Bauteil“ ist. Ein parkendes Auto könne man sicher nicht unter diesem Begriff subsummieren, heißt es im Urteil des Gerichts. Daher zähle dies auch nicht als Argument gegen die Baugenehmigung. Zudem verwies Baurechtler Peter Lorenz von der Stadt Überlingen bei der Verhandlung auf einen Ortstermin mit dem Überlinger Feuerwehrchef. Der habe keinerlei Probleme für die Einsatzfahrzeuge gesehen, argumentierte Lorenz.

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Zur Sprache gekommen waren im Verlauf von Verhandlung und Augenscheinnahme auch mögliche Hangrutsche am Molassefelsen und Schichtwasserströme im Untergrund. Letztere hatten bereits beim Parkhausbau zu gravierenden Problemen im Untergeschoss gesorgt und eine Nutzung lange unmöglich gemacht. Selbst wenn die Neubauten in dieser Hinsicht bei Angrenzern Schäden verursachten, könne dies nur Gegenstand einer zivilrechtlichen Auseinandersetzung sein. „Acht Meter Unterschied – das ist schon ein Brett“, kommentierte Richter Thüry die Höhendimensionen der neuen Planungen. Aufgrund der Topografie sei dies am Ende allerdings nicht so dramatisch.

Eine Station des langen Kampfes, den die Bewohner der Fischerhäuservorstadt um den Erhalt ihres alten Stadtquartiers führen – ...
Eine Station des langen Kampfes, den die Bewohner der Fischerhäuservorstadt um den Erhalt ihres alten Stadtquartiers führen – dieses Bild entstand im Juli 2021 (von links): Gassenpfleger Oliver Martin, Architekt Thomas Pross sowie Karina Fischer, Karl Röhm und Andreas Pross. Die Firsthöhe der möglichen Neubauten würde nahezu die Ausmaße des denkmalgeschützten Solitärbaus des ehemaligen großherzoglich badischen Amtsgefängnisses (hinten rechts) erreichen. Nachdem die Stadtverwaltung ein Modell aus Kostengründen verweigert hatte, fertigten es die Bürger selbst an. | Bild: Hanspeter Walter

Richter begeistert vom alten badischen Gefängnis

Der voluminöse Solitärbau des alten großherzoglich badischen Gefängnisses mitten im Viertel, das gerne als Höhenorientierung genommen wird, beeindruckte bei dem kleinen Spaziergang durch die Fischerhäuservorstadt. „Wenn man tatsächlich einmal einsitzen müsste“, formulierte Richter Thüry im Vorbeigehen, „dann würde man es gerne hier tun“.