Um es vorwegzunehmen: Es war eine Bürgerbeteiligung, die den Namen verdient. Mehr als 100 Überlinger konnten in einem professionell gesteuerten und moderierten Prozess ihre Anregungen und Wünsche zur Entwicklung des neuen Stadtviertels einbringen, das auf den 5,7 Hektar entstehen soll, auf dem einst die Firma Kramer direkt am Bodenseeufer Land- und Baumaschinen produzierte. Es ist Eigentum des Wacker-Neuson-Konzerns, zu dem auch die heute in Pfullendorf produzierende Firma Kramer gehört.

Die Ideen der Bürger zum östlichen Stadteingang deckten erwartungsgemäß eine riesiges Spektrum ab und bisweilen verliefen die Diskussionen auch konträr, was bei Themen wie Verkehr, Parkplätzen oder auch Dimensionen der Bebauung und Eigentumsverhältnisse nicht überraschen konnte.
Dass die Bürger auf dieser Ebene der Einflussnahme – noch vor Festlegung des Auslobungstextes für den städtebaulichen Wettbewerb – Ideen und Ziele formulieren konnten, kam durchweg sehr gut an. Mancher hätte die Beiträge allerdings gerne in einem weiteren Schritt noch einmal systematisch reflektiert.
Verein hatte auf eine Interimsnutzung des Geländes gehofft
„Dieser Zeitdruck macht mir etwas Sorge“, sagte Anna-Lena Weidemann vom Verein Kulturschutzgebiet Überlingen. Diese Interessensgemeinschaft hat das Areal schon seit mehr als einem Jahr im Auge. Der Verein hatte auf möglich Interimsnutzungen gehofft und sich von dem Projekt unter anderem ein „neues Zentrum für kreatives und bürgerliches Leben“ gewünscht. Nicht ohne Skepsis blickte Weidemann auf den weiteren Umgang mit den Ideen: „Wer filtert das jetzt alles? Was wird berücksichtigt?“

Andere Teilnehmer fanden den Aufwand des Vorhabenträgers mit der professionell organisierten Beteiligung unter Einbeziehung eines Expertenbüros bemerkenswert. „Das ist viel mehr als man von einem börsenorientierten Unternehmen als Eigentümer erwarten kann“, erklärte ein Überlinger, der selbst in der näheren Umgebung zuhause ist.
Tübinger Büro begleitet den Planungswettbewerb
Zu Beginn hatte Baubürgermeister Thomas Kölschbach das Terrain und die Rahmenbedingungen des städtebaulichen Vertrags abgesteckt. Der Tübinger Architekt Gerd Grohe vom Büro Kohler und Grohe, das den Planungswettbewerb begleitet, erläuterte ausführlich den weiteren Prozess und die Möglichkeiten, wie sich Bürger in dem „diskursiven Werkstattverfahren“ weiter einbringen können.

Das Kommuniaktionsbüro Sippel Buff hatte dazu vier Dialogtische zu den Themen Städtebau, Nutzungen, Mobilität sowie Freiraum und Grünflächen eingerichtet. Gemeinsam mit Vertretern der Verwaltung moderierten die Profis die Beiträge.
„Ich bin begeistert von dem Engagement“, sagte schon bei Halbzeit Oliver Herweg, der mit dem Thema Mobilität ein heikles Thema zu steuern hatte, bei dem es immer wieder um Parkplatzlösungen, ein autofreies Quartier und die Erreichbarkeit ging. Herweg sortierte und strukturierte alle Beiträge, unterband allerdings jegliche Diskussion souverän. Vom kleinen E-Mobil als Fortsetzung des Mobilität aus Tiefgaragen bis zur Vision von autonom fahrenden Caddies reichten die Ideen, um ein wohnliches Umfeld zu sichern.
Einigkeit beim Wunsch nach begrünten Fassaden
Beim Thema Städtebau sorgten sich die einen vor einem monoton fünfgeschossig bebauten Quartier, andere könnten sich sogar ein viel höheres Bauwerk als Blickfang vorstellen und wünschten sich vielfältige Strukturen. Weitgehend einig war man sich im Wunsch nach Fassadenbegrünung und dem Ziel, möglichst das Seewasser für die erforderliche Heizwärme zu nutzen.
Angst vor Zweit- und Ferienwohnungen
Allgegenwärtig war insbesondere die Sorge vor Zweit- und Ferienwohnungen, die in zahlreichen Äußerungen formuliert wurde. Gewünscht war eine enge interne Vernetzung der neuen Angebote, aber auch eine Durchlässigkeit und enge Anbindung an die Umgebung.
Weltklassearchitektur an der Seeseite wünschte sich ein erklärter Wassersportler. Was sich wohl kaum mit den Visionen von Manfred Heckhorn zur Deckungen bringen lässt, der hier am liebsten nur Mietwohnungen gesehen hätte, wie es die Stadt Konstanz mit ihrem Modellprojekt auf den Christiani-Wiesen am Hörnle in ähnlich privilegierter Lage vorhabe.

Sollen Teile der alten Industriebebauung erhalten bleiben?
Kontroverse Positionen gab es beim Erhalt alter Bausubstanz. Neben einem Plädoyer für den Erhalt einer der historischen Hallen als identitätsstiftendes Element für das Quartier kam der Vorschlag, wenigstens eine Wand als Blickfang zu erhalten. Andere favorisierten einen völligen Abriss des Bestands.
Für Irritationen sorgte dabei eine Äußerung von Florian Lamp. Der Vertreter des Eigentümers und Vorhabenträgers warf ein, dass mit der Stadt im Vorfeld vereinbart worden sei, das ganze Gelände freizuräumen und neu zu überplanen. Davon stehe städtebaulichen Vertrag allerdings nichts, hielt ein Vertreter der Verwaltung entgegen und verwies auf mögliche Festlegungen im Auslobungstext für den Wettbewerb. Der soll schon am Mittwoch dieser Woche erstmals vorberaten werden.