Die Bedrohung gilt als erwiesen, der Angeklagte ist geständig. Doch hält ihn das Landgericht für schuldunfähig und sieht von einer Gefängnisstrafe ab. Im Prozess gegen einen 29-jährigen Syrer, der im April 2024 in Uhldingen-Mühlhofen nach einer Messerattacke für einen Großeinsatz der Polizei sorgte und im Dorf Angst verbreitete, sprach das Landgericht Konstanz ein Urteil: Der Angeklagte wird zu einer Unterbringung in der Psychiatrie verurteilt. Er wird aber nicht weggesperrt, sondern für drei Jahre auf Bewährung und unter Beobachtung gesetzt. Der Mann habe, so die Einschätzung des psychiatrischen Gutachters, dem alle Gerichtsparteien folgten, seine Tat im Zustand eines psychotischen Erlebens verübt. Sofern er seine Medikamente nimmt und sein Leben stabilisiert, gehe von ihm keine Gefahr mehr aus.
Richter sieht im Urteil eine Chance
Eindringlich sprach der Richter bei der Urteilsverkündung auf den Angeklagten ein: „Wenn das nicht funktioniert, dann gehen Sie da rein.“ Mit „rein“ war die Psychiatrie gemeint, die ihn sonst auf unbestimmte Zeit hinter verschlossenen Türen halte. Vorsitzender Richter Hornstein: „Sie dürfen, was heute hier rausgekommen ist, als Chance sehen. Als eine Brücke, die die Kammer Ihnen baut – über die Sie aber selbst gehen müssen. Ist Ihnen das klar?“ Der Verurteilte nickte.
Staatsanwalt sieht gute Prognose
Oberstaatsanwalt Ulrich Gerlach sagte in seinem Plädoyer über den Angeklagten: „Er spricht wunderbar Deutsch, er hat gearbeitet. Und er hat ein Medikament, das bei ihm tatsächlich wirksam ist. Andere Leute haben oft nicht dieses Glück.“ Auch in den Monaten vor Prozessbeginn, in denen der 29-Jährige vorläufig aus der Psychiatrie entlassen wurde, in die er nach der Tat eingesperrt worden war, habe er bewiesen, dass er zu einem gewaltfreien Leben fähig ist.

Gutachter diagnostiziert Schizophrenie
Richter, Staatsanwalt und Verteidigung stützten sich im Urteil und in ihren Plädoyers einmütig auf die Ausführungen des psychiatrischen Gutachtens: In ihm stellte Professor Dr. Peter Gabriel, Facharzt für Psychotherapie und Psychiatrie am ZfP Reichenau, die Diagnose, dass der Angeklagte an einer paranoiden Schizophrenie leide. In früheren Fällen richtete er das Messer gegen sich selbst und zerschnitt sich die Kehle. Es sei hoher ärztlicher Kunst zu verdanken, dass der 29-Jährige noch sprechen kann, so Gabriel. Der Angeklagte habe für sich die wahnhafte Berufung gesehen, Leiden und Schmerz auf sich zu nehmen, um andere Menschen von Unheil zu befreien. Zu seinem Krankheitsbild zählten so von ihm empfundene Gedankeneingebungen. Er sei dann nicht mehr Herr seiner eigenen Sinne.
Bis zu seiner Tat war er wegen Körperverletzungsdelikten nicht vorbestraft, sondern richtete das Messer in mindestens drei Fällen gegen sich selbst. Am 4. April 2024 wurde er dann in Oberuhldingen erstmals zu einer Gefahr für sein Umfeld, als er mit einem Küchenmesser wahllos Menschen bedrohte.
Video zeigt Sicht der Polizei beim Einsatz
Am zweiten Prozesstag wurde ein weiteres Video einer Bodycam abgespielt. Es zeigte den Einsatz aus der Sicht eines Streifenpolizisten. Darauf ist der Angeklagte zu sehen, der mit entblößtem Oberkörper – das T-Shirt hatte er sich zu einer Gesichtsmaske gebunden – und mit erhobenem Küchenmesser vor den Beamten herumtänzelte und -fuchtelte. Sie wurden gerufen, nachdem der Mann wahllos Passanten in Uhldingen bedrohte. Das Messer mit einer Klingenlänge von 19 Zentimetern entnahm er der Küche eines Hotels in Unteruhldingen, in dem er gearbeitet und gewohnt hatte.
Die Beamten richteten ihre Dienstwaffen auf den Beschuldigten. Zu hören sind unentwegt die Rufe der Polizisten, dass er das Messer fallen lassen und sich hinlegen solle. Das beeindruckte ihn ebenso wenig wie zwei abgegebene Warnschüsse. Er warf Mülltonnen um und zog sich in die Straße Ölgarten zurück. Er rief „Allahu akbar“ (Gott ist groß) und forderte laut einem Polizisten: „Erschießt mich!“ Zudem schleuderte er einen Stein gegen einen Beamten, der sich ein Hämatom zuzog.
Schüsse beeindrucken Täter zunächst nicht
Die Beamten mussten jeden Moment damit rechnen, dass der Mann auf sie losgehen würde. Bevor es dazu hätte kommen können, schoss der Beamte, der zuvor von dem Stein getroffen wurde, auf den Täter. Insgesamt gab er acht Schüsse auf den damals 28-jährigen Mann ab. Nach Aussagen der Spurensicherung trafen fünf Projektile den Mann und verletzten ihn lebensgefährlich. Eine Operation im Helios-Spital Überlingen sicherte ihm das Leben. Gegen den Beamten wird routinemäßig dienstrechtlich ermittelt. Nach den ersten Treffern blieb der Täter immer noch stehen, sodass die Situation aus Sicht der Polizei noch ungeklärt und gefährlich war. An dieser Stelle schaltete das Gericht die Videoaufnahme ab.
Ein Polizeibeamter schilderte als Zeuge das weitere Geschehen. Demnach setze sich der Mann erst nach einem weiteren Treffer auf eine Waschmaschine, anschließend auf einen Gartenstuhl, zündete sich einen Joint an und spielte über seine Handy Musik ab. Das Messer habe er weiterhin in den Himmel gereckt. Einem Beamten kam dies so vor, „dass er fanatisch war und religiös hoch entschlossen“. Ein anderer Beamter beobachtete, wie er seinen Oberarm küsste und das mittlerweile von seinen Schussverletzungen blutverschmierte Messer ableckte – es aber bis zuletzt nicht aus der Hand legte, sodass weiterhin eine Gefahr von ihm ausgegangen sei.
„Und dann hat das SEK für Ruhe gesorgt“, brachte der Vorsitzende das weitere Geschehen auf den Punkt. Die mittlerweile eingetroffene Eliteeinheit der Polizei setzte dem Spuk kurzerhand ein Ende.
Urteil im Namen des Volkes
Was genau zu der krankhaften seelischen Störung des Mannes führte, und letztlich zu seinem irrationalen Handeln, blieb vor Gericht unklar. Für möglich wurden sowohl eine genetische Disposition als auch Kriegserfahrungen in Syrien sowie sein Drogenmissbrauch genannt. Vorsitzender Richter Hornstein sagte: „Sie können nichts für ihre Psychose.“ Es gelte, „über einen ganz konkreten Einzelfall, über ein persönliches Schicksal zu entscheiden, im Namen des Volkes“. Es sei nicht ihre Intention, sich an einer öffentlichen Diskussion zu beteiligen. Er wisse aber, dass „die Meinung des Volkes aktuell durchaus tendenziös ist, wenn ein Messer zum Einsatz kommt“.
Gerichtsbesucher wünscht „viel Kraft“
Der 29-Jährige verfolgte den Prozess an beiden Verhandlungstagen ohne erkennbare Gefühlsregungen. An seine Opfer im Zeugenstand gerichtet, sagte er entschuldigend: „Der, als der ich heute hier sitze, ist ein anderer als der, der damals durch die Straßen gezogen ist.“ Er nahm das Urteil noch im Gerichtssaal an.
Frank Zimmermann, ein Rentner aus Konstanz, der den Prozess aus Interesse verfolgte und sagte, dass er die Ausführungen des Gutachters gut nachvollziehen könne, sagte beim Hinausgehen zu dem 29-Jährigen: „Ich wünsche Ihnen viel Kraft für Ihr weiteres Leben.“ Da zeigte der Verurteilte erstmals eine Gefühlsregung, indem er lächelte.