In der elften Woche nach dem Hochwasser zeigt sich noch ein Bild wie im Krieg: Straßen, die keine mehr sind, der Asphalt ist weg, überall liegen Autos, Bäume und Schutt verstreut. Brücken sind abgerissen, vollständig verschwunden oder enden im Nichts. Häuser sehen aus, als wenn Bomben eingeschlagen hätten. Dieses Bild zeigt sich Christine Rinker und Gerd Malzacher vom Hochrhein aus den Fenstern eines Gelenkbusses, in dem sie mit 50 weiteren Helfern ins Ahrtal gefahren werden. Kaum erreicht der Bus das betroffene Gebiet, ersterben die Gespräche. „Es ist ein beklemmendes Gefühl, man kann es sich nicht vorstellen, wenn man es auf Bildern oder in Videos sieht. Es ist unreal, so, als wäre man in einem Katastrophenfilm“, sagt Christine Rinker. Dieses Gefühl haben wohl auch die anderen freiwilligen Helfer.

Die Bad Säckingerin und der Hännemer haben im Oktober eine ihrer drei Wochen Urlaub damit verbracht, für das Helfer Shuttle Menschen im Ahrtal in Rheinland-Pfalz nach der Hochwasserkatastrophe zu unterstützen. Sie kommen an einem Sammelpunkt im Ort Grafschaft mit Zelten an, an dem es kostenlos Frühstück und Abendessen gibt. Die Beiden übernachten in einem eigenen Zelt. Im Camp werden die Aufgaben für den Tag verteilt und die Helfer werden mit allem ausgestattet, was sie für den Einsatz brauchen: Handschuhe, Arbeitskleidung, Werkzeuge, Wetterschutz, Gummistiefel. „Man muss nichts mitbringen, es ist ein Rundum-Sorglos-Paket für die Helfer, alles ist kostenlos, auch Getränke, man muss einfach nur kommen“, sagt Gerd Malzacher.
Am ersten Tag sind sie für Aufräumarbeiten am Ufer der Ahr beim Ort Mayschoß im Landkreis Bad Neuenahr-Ahrweiler eingeteilt. „Wir haben Müll aufgesammelt, aber eigentlich war es kein Müll, sondern das Leben der Menschen vor Ort.“ Das Schlimmste waren Kinderkleider und Kinderschuhe sowie Spielsachen, zum Beispiel Playmobilfiguren oder einen Stoffhasen. Im Gedächtnis geblieben ist auch eine zerfetzte Jogginghose mit abgerissenen Beinen, die symbolisch für die Schicksale der Betroffenen steht. „Wir haben auch ein Fotoalbum gefunden und sauber gemacht.“ Außerdem war unter dem Schutt auch viel Sondermüll, der die Umwelt belastet, wie Styropor, Benzinkanister und Behälter mit unbekannten Chemikalien, weil die Etiketten abgelöst waren. Über allem lagen Steine und Reste von Asphalt und Häusern.
Dieser erste Einsatz war schon schlimm, was die Helfer dann aber richtig getroffen hat, war die Ankunft im 660-Seelen-Ort Schuld, wo fast jedes Haus vom Hochwasser betroffen ist. Viele Häuser wurden weg geschwemmt oder sind mittlerweile abgerissen. „Man muss es sich so vorstellen, da steht ein Haus, dann kommt eine Lücke, dann wieder zwei Häuser, dann wieder nichts.“ Direkt an der Ahr fehlt der gesamte Straßenzug. Die Helfer vom Hochrhein kamen zu Häusern, die nur noch drei Wände hatten oder nur noch zwei, eingestürzte Gebäudeteile, Reste von Leitungen und Kanalisationsrohren lagen daneben. Das Wasser hatte die Gebäude unterspült.

Dort begegneten Christine Rinker und Gerd Malzacher dem Rentnerehepaar Maria und Peter O., dessen Haus im Erdgeschoss schwer beschädigt ist. Sie stehen vor dem Nichts. Die Flut mit Schwemmgut stand bis zum ersten Stock. Durch die Wucht des Wassers wurden die Seitenwände ihres kleinen Häuschens im Erdgeschoss herausgerissen. Ihre Küche, ihr Wohnzimmer und ihr Schlafzimmer wurden zerstört. Gerettet hat sich das Paar völlig durchnässt auf einem angrenzenden kleinen Berg. „Alle Möbel, Kleidung und alle Erinnerungsstücke, Fotos – alles ist weg, von der Flut mitgerissen“, sagt Christine Rinker.

Am Haus der Rentner haben die Helfer den Keller ausgeräumt und mit Schaufeln von Schlamm befreit. Auch im Hof haben sie Schlamm, Steine und Müll weggeräumt. Ein Teil der Helfer hat angefangen, die fehlenden Mauern wieder zu errichten. „Alles, was im Keller gelagert war, stinkt nach Heizöl und ist durchnässt. Egal, was man macht, es läuft immer schmutziges Wasser und stinkender Schlamm in die Ärmel“, beschreibt Malzacher die Umstände. Sie haben Tage lang nichts anderes gemacht, als Schlamm zu schippen und den Keller sowie das Erdgeschoss davon und von den zerstörten Gegenständen zu befreien.

Von den noch stehenden Wänden im Erdgeschoss wurde dann der Putz innen wie außen abgestemmt und der in Mitleidenschaft gezogene Teil des Hauses wieder in den Rohbauzustand zurückversetzt. Die Zimmer wurden vollständig entkernt, auch der Estrich am Boden entfernt. Nur die Wände des Flurs waren schon bereit zum Verputzen. Diese Tätigkeit hat ein Helfer Christine Rinker vor Ort beigebracht, der immer wieder zum Helfen ins Flutgebiet fährt. So konnte sie dann eine Wand selbstständig verputzen.

Das positive Gefühl, praktische Arbeit zu tun, um Hilfe zu leisten, wurde getrübt durch Schilderungen des Alltags der Bewohner. Die Betroffenen erhalten großzügige Sachspenden. Aber die Häuser sind Baustellen, es gibt weder Fenster noch Türen, nichts lässt sich abschließen und so nehmen die Betroffenen keine Sachspenden an, weil sie befürchten, dass dann alles wieder gestohlen wird. Sachspenden können sie vielleicht in zwei Monaten gebrauchen, wenn die Gebäude soweit wieder hergestellt sind, dass ein abschließbarer Privatraum entstanden ist.
Eine neue Heizung
Da der Winter naht und es nachts bereits Minusgrade hat, ist das Wichtigste jetzt eine Heizung, die auch für warmes Wasser sorgt. Die Heizung ist bestellt, soll diese Woche geliefert werden, aber damit sind enorme Ausgaben verbunden. Eine Schwierigkeit für Maria und Peter O. ist, dass sie nicht versichert sind und deshalb auf die Hilfe der Freiwilligen und auf die Finanzhilfe vom Staat angewiesen sind. Allerdings ersetzen Bund und Land nur 80 Prozent der Kosten.
Die Einstimmung
Für die Helfer war das Arbeiten das Eine, die Einstimmung auf den Einsatz morgens und das Verarbeiten der Eindrücke abends war das Andere. Im Helfercamp des Helfer Shuttles gab es sogenannte 'Morgen-' und 'Abendandachten', bei denen nicht gebetet wurde, sondern die Freiwilligen von Thomas Pütz, Bewohner des Ahrtals und Gründer des Helfer Shuttles, eingeschworen wurden, wie sie behutsam mit den Betroffenen umgehen können. Einerseits wurde darum gebeten, nicht wie Katastrophentouristen Fotos mit dem Handy zu machen, aus dem Bus heraus oder vor Ort, ohne die Menschen zu fragen.
Augen und Ohren leihen
Andererseits wurde darum gebeten, den Menschen im Ahrtal nicht nur die Hände, sondern auch Augen und Ohren zu leihen. Die Helfer wurden gebeten, den Menschen zuzuhören, ohne selbst zu erzählen, dass auch der eigene Keller schon einmal unter Wasser stand oder ähnliche Begebenheiten. Da dieses Gesprächsangebot für die Betroffenen enorm wichtig sei, manchmal sogar wichtiger als Schlamm zu schippen. Außerdem sollte darauf geachtet werden, ob Häuser einsturzgefährdet sind bei den Arbeitseinsätzen oder noch weitere Hilfe nötig ist. Und auch auf ältere Menschen, die verloren in den Straßen umherirren und ihnen Hilfe anzubieten, zum Beispiel, ihnen den Weg zum Zelt mit Verpflegung zu zeigen.
Ungeahnte Hilfsbereitschaft
Viele Betroffene sprechen über die große Solidarität, die sie überrascht. Mag man annehmen, dass die Gesellschaft heute sehr egoistisch geworden ist und jeder nur noch an sich denkt, zeigt sich durch diese Flut doch eine ungeahnte Hilfsbereitschaft von Menschen aus der gesamten Bundesrepublik und auch aus dem Ausland. Christine Rinker und Gerd Malzacher sind auch nicht die Einzigen vom Hochrhein, die den Einsatz durch freiwillige Arbeit unterstützen. Allein unter dem Dach der Organisation Helfer Shuttle haben nach dessen Angaben insgesamt schon 191.000 helfende Hände im Hochwassergebiet ehrenamtlich mitgearbeitet. „Jeder packt mit an, es gibt keinen Streit und keinen Stress, jeder tickt gleich und will einfach nur helfen“, beschreibt Rinker die friedliche Stimmung unter den Helfern.
Feuerwehr mit dabei
„Dadurch, dass uns die Menschen so ans Herz gewachsen sind in den drei Tagen, in denen wir bei ihnen waren, lässt uns das nicht mehr los. Deshalb haben wir der Feuerwehr Hänner, in der ich aktiv bin, auch davon erzählt und die Kameraden haben sich gleich bereit erklärt, sich an der Sammelaktion zu beteiligen“, sagt Gerd Malzacher. Seine Partnerin Christine Rinker hatte Videos beim Sozialen Netzwerk Facebook des Lohnunternehmers Markus Wipperfürth gesehen, einem Helfer der ersten Stunde, der mit seinem Traktor begann, die Straßen im Ahrtal freizuräumen und die Landwirte beim Helfen zu koordinieren. Er hat auch die gesamte Flut und die Begleitumstände in Livevideos dokumentiert.
Der Anstoß
Jeden Tag die Videos zu sehen, ließ bei ihr den Gedanken reifen, dass sie auch selbst dorthin muss, um auch zu helfen, weil noch so viel zu tun ist. „Eimer mit Schlamm wegschleppen, das kann ich auch“, dachte sie. Ihrem Partner Gerd Malzacher ging es genauso, ohne dass er es ausgesprochen hätte. Er dachte zunächst, dass die Feuerwehr dorthin abberufen wird. Als dies nicht geschah, machten die Beiden sich selbstständig auf den Weg, um sich beim Helfer Shuttle einzubringen und den Menschen im Ahrtal beizustehen.