In Reih und Glied stehen die Holzverschläge nebeneinander auf einem Platz im Außenquartier Altstetten der Stadt Zürich. Es sind sogenannte Sexboxen, die auf dem schweizweit ersten und bisher einzigen von einer Stadt betriebenen Strichplatz stehen. Seit 2013 bieten hier Sexarbeiterinnen ihre Dienste an.
Aber warum hat die Stadt Zürich den Strichplatz überhaupt errichtet?
Ein Grund für die Eröffnung des Strichplatzes sei die „Stadtverträglichkeit“ gewesen, sagt Ursula Kocher von der städtischen Frauenberatungsstelle „Flora Dora“. Lange Zeit befand sich im Zürcher Stadtteil Kreis 5 der größte Straßenstrich der Stadt, am Sihlquai, einer Straße, die an den Stadtflüssen Limmat und Sihl entlang führt. Der einst industriell geprägte Stadtteil hat sich seit der Jahrtausendwende zu einem hippen Quartier mit vielen neuen Wohnungen und Bars entwickelt. „Das hat sich immer mehr gebissen mit dem Straßenstrich. Die Vermischung von Ausgangsszene und Straßenstrich hatte Emissionen wie Lärm und Abfall zur Folge, die nicht mehr tragbar waren für das Quartier“, so Kocher.
Der zweite Grund, dass der Strich aus dem Quartier verschwinden sollte: Die Sicherheit der Prostituierten. „Es gab sehr viele Gewaltvorfälle und auch Vergewaltigungen, mehrere Fälle von Frauen, die verschwunden sind, und mindestens ein Tötungsdelikt, das bekannt ist“, erklärt Kocher, die mit der Beratungsstelle „Flora Dora“ bereits am Sihlquai mit einem Bus präsent war, um den Prostituierten eine Anlaufstelle zu bieten.
Die Zürcher Stimmbürger stimmten schließlich 2012 dem Bau eines städtischen Strichplatzes zu. Für über zwei Millionen Schweizer Franken baute die Stadt auf einem freien Areal im Außenquartier Zürich-Altstetten einen Auto-Corso, Unterstände für die Prostituierten, neun Sexboxen und einen Beratungscontainer von Flora Dora mit Sanitärzellen. Der Straßenstrich am Sihlquai wurde geschlossen, die Straßenprostitution dort verboten.
Und wie funktioniert der Strichplatz?
Freier fahren auf eine Rundstrecke, den Corso, wo die Prostituierten stehen, vereinbaren mit einer Sexarbeiterin Dienstleistung und Preis und fahren dann in eine der Auto-Sexboxen.
Diese sind so angelegt, dass die Fahrerseite möglichst nahe bei der Wand der Box zu stehen kommt, sodass der Freier die Tür nicht öffnen kann. Die Prostituierte auf der Beifahrerseite hat jedoch genügend Platz, um notfalls auszusteigen und mit einem an der Wand angebrachten Notfallknopf Alarm zu schlagen.
Der Strichplatz ist von Sonntag bis Mittwoch zwischen 19 Uhr und 3 Uhr früh sowie von Donnerstag bis Samstag von 19 bis 5 Uhr geöffnet.
Derzeit gibt es acht Autoboxen und vier Stehboxen. „Auf Anregung der Sexarbeiterinnen hin haben wir eine Autobox in vier Stehboxen unterteilt. Denn auch einige Freier, die mit dem Auto kommen, wollen die Dienstleistungen nicht in ihrem Wagen in Anspruch nehmen“, erklärt Kocher. Seit 2018 sei der Strichplatz auch für Motorrad- und Fahrradfahrer geöffnet.
Ursula Kocher von Flora Dora zieht für den Strichplatz positive Bilanz
„Die Sicherheit der Frauen hat sich deutlich erhöht. Seit der Eröffnung vor rund sechs Jahren gab es keine schweren Gewaltvorfälle und auch die Frauen sagen, dass sie sich sicherer fühlten“, betont Kocher. Und dank des Beratungscontainers sei die Arbeit von „Flora Dora“ einfacher geworden. „Auf dem Straßenstrich kamen wir nicht so nahe an die Frauen ran. Hier können wir Einzelgespräche führen und auch eine Ärztin ist regelmäßig vor Ort. So wirkt der Strichplatz auch präventiv gegen die Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten.“

Während der Öffnungszeiten ist immer städtisches Personal auf dem Platz präsent, um bei Streitigkeiten zwischen Freiern und Prostituierten zu vermitteln und im Notfall die Polizei zu alarmieren. Diese zieht ebenfalls eine positive Bilanz: „Durch die Schließung des Straßenstrichs am Sihlquai konnte den vielen Gewaltdelikten an Sexarbeiterinnen an dieser Örtlichkeit Einhalt geboten werden“, schreibt der Pressesprecher der Stadtpolizei Zürich, Michael Walker, auf SÜDKURIER-Nachfrage.
Aber nicht alle sehen den Strichplatz als Fortschritt für die Prostituierten an
„Wir finden den Strichplatz eine gute Investition. Aber wir fragen uns, warum er außerhalb der Stadt in einem Industriegebiet errichtet wurde, wo keine Tram mehr fährt, wenn die Sexarbeiterinnen nach der Arbeit nach Hause wollen“, sagt Doro Winkler von der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration Zürich. Der Verein führt zwei Beratungsstellen: Eine für Opfer von Frauenhandel und eine andere für Sexarbeiterinnen.
„Warum muss man die Prostitution aussperren, wo sie doch in der Schweiz legal und ein Teil unserer Gesellschaft ist?“, fragt Winkler. Ursula Kocher von „Flora Dora“ verneint, dass die Sexarbeiterinnen an den Stadtrand gedrängt würden: „Altstetten hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert: Es sind neue Wohnungen entstanden. Und ab fünf Uhr morgens fährt auch sonntags noch eine Tram in die Stadt.“
Der Großteil der Prostitution findet anderswo statt
Doro Winkler kritisiert aber auch, dass der Strichplatz nur von einem Teil der Straßenprostituierten genutzt werden kann und will. Zum einen gibt es bürokratische Hürden: Nur Schweizerinnen und Frauen aus EU- und EFTA-Staaten dürfen auf dem Strichplatz legal arbeiten. Sie müssen ein Bewilligungsverfahren durchlaufen, damit sie die sogenannte „Bewilligung zur Ausübung der Straßenprostitution“ der Stadt Zürich erhalten. Und zum anderen findet ein Großteil der Prostitution woanders statt: „Das traditionelle Rotlichtmilieu ist im Kreis 4, die meisten Freier sind dort unterwegs“, sagt Winkler. Aber in dem Innenstadtquartier gebe es keine einzige Straße, in der Straßenprostitution legal sei.
„Die Polizei kontrolliert das und wenn Sexarbeiterinnen auf der Straße erwischt werden, werden sie oft gebüßt und erhalten nach mehrmaligen Bußen sogar Einreisesperren.“ Das sei ein extremer Stress für die Frauen und erschwere für Hilfsorganisationen auch den Kontaktaufbau zu ihnen. Vor allem, um Frauen zu schützen, die Opfer von Menschenhändlern geworden sind, seien solch repressive Maßnahmen nicht geeignet. „Unsere Erfahrung ist, dass Regulierungen nicht wirklich helfen: Es geht nicht um den Schutz der Frauen, sondern um Kontrolle“, betont Winkler.