Die skandalöse Praxis vieler Krankenkassen bei der Beitragserhebung auf Schweizer Rentenzahlungen hatte der SÜDKURIER im Frühjahr 2018 mit Hilfe eines Betroffenen ans Licht gebracht und in der Folge immer wieder umfassend über aktuelle Entwicklungen berichtet. Im Lauf der Zeit haben sich etliche Leser an unsere Zeitung gewandt, die Beschwerde eingelegt haben und letztlich satte Rückzahlungen erhalten haben. Diese bewegen sich pro Person um 4000 bis deutlich über 8000 Euro. Einer der Betroffenen, die durch die SÜDKURIER-Berichterstattung auf die fehlerhafte Beitragserhebung aufmerksam wurden, ist Gerhard Hochstuhl aus Waldshut. Er legte sich umgehend mit seiner Krankenkasse an – und das mit Erfolg.
Zur Erinnerung: Am 30. November 2016 urteilte das Bundessozialgericht, dass auf die beiden Säulen des Schweizer Rentensystems – AHV und BVG – ein einheitlicher Krankenkassen-Beitragssatz von 7,3 Prozent veranschlagt werden soll. Zuvor war auf den BVG-Anteil analog zur deutschen Betriebsrente der doppelte Satz von 14,6 Prozent zuzüglich kassenspezifischer Sonderbeiträge erhoben worden. Doch obwohl das Urteil im Mai 2017 Rechtskraft erlangt hat, setzen viele Krankenkassen dies gerade bei ihren Bestandskunden nicht um. Diese wurden in der Regel nicht einmal über die rechtlichen Veränderungen informiert, wie zahlreiche Betroffene übereinstimmend berichten.
Im Sommer wurde auch Gerhard Hochstuhl aus Waldshut auf die Problematik aufmerksam: „Wäre ich nicht seit vielen Jahren Leser dieser Zeitung, hätte ich davon wohl nichts mitbekommen.“ 37 Jahre lang war der Diplom-Ingenieur in einer Entwicklungsabteilung von ABB in der Schweiz beschäftigt: „Über viele Jahre hinweg waren in fast allen Zügen der Schweiz, aber auch bei Lokomotiven im übrigen Europa und in Übersee von mir entwickelte Geräte wesentliche Antriebskomponenten“, sagt er stolz. Seit dreieinhalb Jahren ist der inzwischen 68-jährige Rentner – und hat bis vor wenigen Wochen deutlich zu viel Krankenkassenbeitrag bezahlt.
Der Krankenkasse gehöre er mit Unterbrechungen schon seit seiner Ausbildung an und bislang habe er keinerlei Anlass gehabt, sich über Service und Leistungen zu beschweren. Dennoch machte ihn ein SÜDKURIER-Bericht zunächst stutzig, veranlasste ihn zum Nachrechnen und schließlich dazu, sich formell zu beschweren. Denn: „Auch bei mir wurde der doppelte Beitrag als Grundlage verwendet.“
Innerhalb von vier Wochen kontaktierte er seine Krankenkasse zweimal per E-Mail. Nachdem er keine Antwort erhielt, probierte er es telefonisch. Zwar erfuhr er dabei, dass seine Mails offenbar nicht weiterbearbeitet worden waren. Dieses Mal wurde sein Anliegen aber sehr ernst genommen, wie er im Gespräch mit unserer Zeitung darstellt: „Mein Antrag wurde sachlich und kompetent bearbeitet, jetzt läuft alles, wie es sein soll.“
Sichtbarster Erfolg: Eine Rückzahlung von über 5000 Euro. Zudem wird sein monatlicher Versicherungsbeitrag deutlich gesenkt. Hochstuhl betont: „Das Geld wurde mir nicht geschenkt. Ich habe lediglich zu viel bezahltes und bereits versteuertes Geld zurückbekommen.“ Das mindere aber die Freude keineswegs: „Meine Frau und ich wollen uns zwei E-Bikes kaufen. Da kommt das Geld gerade recht.“
Der Erfolg sei für ihn aber auch ein Beweis dafür, welchen Mehrwert fundierter, seriöser Journalismus seinen Lesern biete: „Es ist wie in vielen Bereichen: Unwissenheit wird ausgenutzt. Daher muss man sich seine Informationen auf anderen Wegen holen.“ Tue man dies nicht, freue sich eben ein lachender Dritter.
Auch deutsche Rentner sollen weniger Kassenbeiträge bezahlen müssen
Denn dass die Krankenkassen von sich aus die fehlerhafte Beitragspraxis korrigieren, davon könne man wohl nicht ausgehen. Hätten sie das tatsächlich tun wollen, hätten sie genügend Zeit gehabt. Hochstuhl hält eine Kehrtwende zum jetzigen Zeitpunkt aus zwei Gründen für unwahrscheinlich: „Die Kassen müssten ja gewissermaßen einräumen, dass sie ihre Kunden schlecht beraten haben und sich nicht an geltendes Recht halten.“ Darüber hinaus gibt es ja auch noch eine Verjährungsfrist für Ansprüche von vier Jahren: „Das heißt sie müssen es nur noch anderthalb Jahre aussitzen, dann sind alle Rückforderungsansprüche erloschen.“ Und in der Regel wurde bei Kunden, die nach Mai 2017 in den Ruhestand gegangen sind, die neue Rechtssprechung berücksichtigt.
Dass es dabei pro Betroffenem um richtig viel Geld geht, davon ist Hochstuhl überzeugt: „Ich bin mir sicher, dass keiner weniger als 4000 Euro zuviel bezahlt hat.“ Laut Schätzungen haben Krankenkassen allein in den Jahren 2011 bis 2016 rund drei Millionen Euro pro Monat zu viel an Beiträgen eingezogen.
Daher appelliert Gerhard Hochstuhl an alle ehemals in der Schweiz beschäftigten Rentner, sich ihre Unterlagen genau anzuschauen und sich gegebenenfalls zu beschweren. Denn für ihn steht außer Zweifel: „Wer nichts tut, bei dem läuft alles wie gehabt weiter.“ Und notfalls müsse man wohl auch bereit sein härtere Bandagen anzulegen. Das hätte er selbst auch getan, daran lässt Gerhard Hochstuhl keinen Zweifel. Er wäre durchaus bereit gewesen, einen Anwalt ins Boot zu holen oder gar juristische Mittel zu ergreifen, hätte sich die Krankenkasse bei seiner Beschwerde quer gestellt: „Für so viel Geld kann man schon ein bisschen unbequem werden.“ Dass all das letztlich nicht nötig war, sei immerhin ein erfreuliches Zeichen.