Die Gewinnung erneuerbarer elektrischer Energie ist in hohem Grad abhängig von der Witterung. Ohne Sonne können Photovoltaikanlagen keinen Strom produzieren, ohne Wind dreht sich kein Rotorblatt. Witterungsverhältnisse beeinflussen aber nicht nur entscheidend die Erzeugung, sondern auch den Transport elektrischer Energie. Denn die Kapazität von Stromleitungen ist je nach Umgebungstemperatur, Sonneneinstrahlung, Windstärke und Niederschlagsmenge sehr unterschiedlich.
Dies möchte der Übertragungsnetzbetreiber Transnet BW nutzen und mehr Strom durch seine Leitungen transportieren als bisher. Bei besonders günstigen meteorologischen Verhältnissen sind es 50 Prozent mehr, aufs ganze Jahr gerechnet könnten es immerhin noch etwa 20 Prozent mehr sein. Um den witterungsabhängigen Freileitungsbetrieb (WAFB) möglich zu machen, stattet Transnet BW im Augenblick Masten und Umspannwerke mit Wetterstationen aus – auch am Hochrhein.
Bereits jetzt stößt das deutsche Stromnetz immer wieder an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit. Das hängt unmittelbar zusammen mit der Nutzung erneuerbarer Energien. Die aus Wind- und Sonnenkraft gewonnene Strommenge schwankt extrem stark. Vor allem die Windräder an der Küste und auf dem Meer produzieren manchmal viel mehr elektrische Energie, als das Netz aufnehmen kann. Um eine Überlastung zu vermeiden, müssen die Erzeugungsanlagen dann abgeschaltet werden.
Das Problem wird an Relevanz zunehmen. Denn bis 2050 will Deutschland mindestens 80 Prozent seines Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien decken. Wenn das gelingen soll, muss das Höchstspannungsnetz künftig zu bestimmten Spitzenzeiten sehr viel mehr Strom transportieren können als im Augenblick. Die Steigerung der Transportkapazität kann durch Ausbau und Neubau von Leitungen in bestehenden und neuen Trassen erreicht werden. Eine weitere finanziell, sozial und ökologisch sehr viel kostengünstigere Möglichkeit ist der witterungsabhängige Freileitungsbetrieb, bei dem die maximale Übertragungskapazität den meteorologischen Gegebenheiten angepasst wird.
Welche Strommenge eine Leitung maximal transportieren kann, hängt von vielen Faktoren ab. Absolut begrenzt wird die Übertragungskapazität durch die Temperatur der Leiterseile. Werden diese zu heiß, dehnen sie sich zu sehr, hängt durch und können Kontakt zum Boden aufnehmen oder sogar brechen. Deshalb ist für Leiterseile aus Sicherheitsgründen eine maximale Betriebstemperatur festgesetzt. Bei den standardmäßig verwendeten Aluminiumstahlseilen beispielsweise beträgt sie 80 Grad Celsius, bei Hochtemperaturseilen 120 Grad Celsius.
Diese Werte gelten bei einem angenommenen Normklima. Tatsächlich aber ist es in Mitteleuropa meist sehr viel kühler als die als Norm angesetzte Außentemperatur von 35 Grad Celsius, die Sonne scheint weniger stark als beim Normklima angenommen, der Wind weht oft heftiger, es fällt Regen oder herrscht Nebel. All dies kühlt die Temperatur der Leitungen herab und erhöht damit deren Transportkapazität.

Hier setzt das Konzept des witterungsabhängigen Freileitungsbetriebs an: 250 Wetterstationen an Masten und Umspannwerken in ganz Baden-Württemberg ermitteln vor Ort Temperatur, Windstärke, Globalstrahlung, Feuchtigkeit und Luftdruck. Die Daten werden per Funk zur Hauptschaltleitung der Transnet BW nach Wendlingen übertragen, wo sie mit den Normwerten verglichen, die tatsächliche Transportkapazität des Höchstspannungsnetzes ermittelt und gegebenenfalls durch Erhöhung der Auslastung genutzt wird.
Bei günstigen meteorologischen Bedingungen kann durch die flexible Steuerung laut Transnet BW bis zu 50 Prozent mehr Strom transportiert werden. Hierzu eine Sprecherin der Transnet BW: „Witterungsabhängiger Freileitungsbetrieb stellt höhere Potenziale zur Verfügung, die in Abhängigkeit der Netzsituation genutzt werden können, aber nicht müssen.“

Bereits Ende 2021 will die Transnet BW ihr gesamtes Netzgebiet, das identisch ist mit Baden-Württemberg, größtenteils Messstationen ausgestattet haben. Im Landkreis Waldshut sind in 13, im Landkreis Lörrach in neun Gemeinden solche Stationen vorgesehen. Aktuell sind 50 der 250 an Masten geplanten Stationen realisiert. Insgesamt umfasst das Höchstspannungsnetz der Transnet BW 6000 Masten und 50 Umspannwerke, von denen 30 mit Wetterstationen ausgestattet werden sollen.
Im Landkreis Waldshut betreibt Transnet BW zusammen mit Amprion die Umspannwerke Gurtweil bei Waldshut und seit 1. April Kühmoos bei Rickenbach. Ab 2023 sollen 2500 der insgesamt 3200 Kilometer langen 220- und 380-Kilovolt-Stromkreise von Transnet BW witterungsabhängig betrieben werden. Zu den Kosten macht Transnet BW keine Angaben. Hierzu eine Sprecherin: „Zum einen gibt es keinen konkreten Einzelpreis für eine Wetterstation, und zum anderen umfasst das Projekt WAFB mehr als nur die Installation von Wetterstationen.“