Früher gab es nur eine kleine Gruppe von Menschen mit Tätowierungen, die häufig zur Unterschicht zählten. Von ihnen hielt sich die bürgerliche Gesellschaft eher fern. Mit Ausnahme vielleicht einiger Randgruppen. Tattoos galten als verrucht, ihre Träger einst sogar als tendenziell kriminell. Inzwischen aber hat sich das Tätowieren zu einem Massenphänomen und -trend entwickelt. Mit steigender Tendenz. Neueste Zahlen einer Umfrage in der „Apotheken-Rundschau“ haben ergeben, dass mehr als jeder fünfte Bundesbürger und insgesamt mehr als 16 Millionen Menschen in Deutschland inzwischen tätowiert sind. Würde man die Quote Deutschlands in Europa zugrundelegen, wären es 100 Millionen Europäer, die tätowiert sind. Zum Teil auch mehrfach.
Einer davon ist Daniel Boss. Von seinem Nachnamen einmal abgesehen, bedient der 38-Jährige sämtliche Klischees.
„Manche Leute sind erstaunt, dass ich kein Zuhälter bin.“Daniel Boss
Über einige Vorurteile amüsiert er sich. 70 Prozent seiner Hautoberfläche, inklusive Kopf und Gesicht, sind tätowiert. Und Platz genug auf seinem Körper hat der Schweizer aus dem Fricktal als Vizeweltmeister im Bankdrücken allemal. Groß, muskulöser Körperbau und Glatze. „Natürlich schauen die Leute und tuscheln hinter meinem Rücken“, sagt er. Doch er mache sich nichts daraus. „Wer so stark tätowiert ist wie ich, muss das einfach aushalten können“, sagt Daniel Boss.
Im Alter von 18 Jahren hat sich der Anlagen- und Apparatebauer im Kernkraftwerk Gösgen-Däniken sein erstes Tattoo stechen lassen. „Das war damals ein etwa sieben Zentimeter großer Drache auf dem Schulterblatt“. Schon immer hätten ihm Tätowierungen gefallen und ihn fasziniert. Aber:
„Ich finde es nicht gut, wenn man sich bereits in jungen Jahren extrem tätowieren lässt.“Daniel Boss
„Man weiß doch nie, was noch kommt.“ Seiner Meinung nach sollte man sich Zeit lassen, bis auch feststeht wie es beruflich weitergehen soll. Obwohl bei ihm – nach finanzieller Situation – jedes Jahr eine Tätowierung hinzukam, habe er stets darauf geachtet, dass die Bilder im Alltag unter der Kleidung gut verdeckt werden konnten. Erst im Alter von 30 Jahren fing er dann an, sich großflächig tätowieren zu lassen. „Mit 30 weiß man, was man nicht möchte“, sagt Daniel Boss. „Und mir war klar, dass ich auf keiner Bank arbeiten werde.“
Das sagt der Profi: Antworten von Tätowiererin Mo Wick
Es folgten Bilder auf den Armen, auf dem Bauch und an den Beinen. „Nicht jedes meiner Tattoos hat eine tiefgründige Bedeutung“, sagt er. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte er die Kunstwerke noch unter der Kleidung verstecken. Und dann: „Alles was man sieht, muss man sich lange und gut überlegen“, so der heute 38-Jährige weiter. Denn die Reaktionen kommen. Mit einem Stern im Nacken hat es angefangen und irgendwann war der ganze Kopf tätowiert. Ein Teil der Motive ziehen sich bis in das Gesicht über die Wangen und das Kinn. Doch die Mitte des Gesichts wie Augen, Nase und Mund, sind frei geblieben. „Aus dem Gesicht eines Menschen kann man lesen“, ist er der Meinung. Deshalb ist das Gesicht – zumindest noch nicht – tätowiert.
„Ich habe ein Bild im Kopf, wie es auf meinem Körper irgendwann einmal aussehen soll.“Daniel Boss
Daniel Boss ist sich sicher, dass ihm sein Körperschmuck auch in 20 Jahren noch gefallen wird. „Er gehört einfach zu mir“, so der 38-Jährige. „Vielleicht gefallen mir dann nicht mehr alle Bilder, aber ich habe mich ja einmal dafür entschieden.
1999 hat Daniel Boss mit Kraftsport begonnen. „Obwohl mir meine Sportkollegen abgeraten haben, mich dann weiter zu tätowieren.“ Denn die Bilder auf der Haut verändern das Muskelspiel und er habe so keine Chance, jemals Profi zu werden. Eine Profikarriere strebt er gar nicht an, doch aktuell hat er es sogar zum Vize-Weltmeister im Bankdrücken gebracht.
Daniel Boss hat zwei weitere Gründe, weshalb er eine Profikarriere nicht einschlagen möchte: „Meine kleine Tochter und meine Lebensgefährtin haben momentan absolute Priorität“, sagt er.
Momentan konzentriere er sich ganz auf seine Familie. Kinder haben übrigens keinerlei Ängste vor ihm. Er erinnert sich an eine Episode, die ihn heute noch amüsiert: „Als ich mit meiner Tochter auf dem Spielplatz war, haben mich die anderen Kinder erstaunt gefragt, ob das mein Kind sei“, erzählt er. „Ich sagte nein, das sei mein Abendessen“, muss er immer noch lachen.
Was er über die Reaktionen anderer auf seinen Körperschmuck beobachtet hat? Ältere Menschen ab 60 Jahren und älter seien fasziniert von ihm und würden ihm Komplimente machen.
„Es sind die Menschen in meinem Alter, die eher verhalten auf mich reagieren.“Daniel Boss
In seinem Betrieb haben sich die Arbeitskollegen und Vorgesetzten längst an seinen Körperschmuck gewöhnt. Obwohl Boss den Respekt seiner Kollegen hat, dulden die Vorgesetzten den Körperschmuck ihres Mitarbeiters lediglich. „Als ich mich innerhalb des Betriebes um meine heutige Stelle beworben hatte, kam ich erst gar nicht in die engere Auswahl.“ Aber sein jetziger Vorgesetzter machte klar, dass er nur ihn für den neuen Job wollte, weil er einfach der Beste sei.
„Wenn man so etwas macht wie ich, darf man nicht enttäuscht sein, wenn einem gewisse Türen verschlossen bleiben.“Daniel Boss
„Du musst immer besser sein als die Anderen und ein von dir gemachter Fehler wiegt doppelt so schwer.“ Denn genau das würde von jemandem, der aussieht wie er, erwartet werden, sagt er.