In einer Frage waren sich Oberstaatsanwalt Christian Lorenz und Verteidiger Jens Janssen vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Waldshut-Tiengen einig: „Es ist bedrückend und beeindruckend zu sehen, wie in der Klinik um eine Entscheidung gerungen wurde und das Wohl dieses Menschen im Vordergrund stand“, sagte Lorenz.

„Die Klinik hat sich in hohem Maße um ethisches Handeln bemüht“, meinte Lorenz. Die Klinik ist das Universitätskinderspital beider Basel (UKBB), der Mensch ist ein Säugling aus Bad Säckingen, der dort von Ende Mai bis Ende Juni behandelt wurde und der am 29. Juni starb, nachdem die Klinik die Beatmungsmaschine abgeschaltet hatte.

Ärzte haben früh Verdacht auf Kindesmisshandlung

Vor dem Schwurgericht in Waldshut muss sich der 32 Jahre alte Vater des Mädchens verantworten. Er sitzt seit Anfang Juni in Untersuchungshaft. Ihm wird vorgeworfen, das damals etwa sechs Wochen alte Kind Ende Mai in der Wohnung der Familie in Bad Säckingen am Arm durch die Luft geschleudert haben. Dabei erlitt das Kind einen Genickbruch, als dessen Folge es fortan irreparabel gelähmt blieb. Am zweiten Verhandlungstag drehte sich alles um die Aussagen der leitenden Ärztin der Intensiv-Kinderheilkunde des UKBB.

Sie zeigte in einer mehrstündigen Vernehmung auf, dass die behandelnden Ärzte schon sehr früh den Verdacht auf Kindesmisshandlung hegten, dass in der Klinik vier ethische Konzile einberufen wurden, ehe gemeinsam mit dem Jugendamt entschieden wurde, die Leben erhaltenden Geräte abzuschalten. Auch nachdem das Amtsgericht in Bad Säckingen den Eltern das Sorgerecht entzogen hatte, bemühte sich die Klinik, die Eltern in die Entscheidungsfindung einzubeziehen.

Kind hatte wohl starke Schmerzen

Das Mädchen wurde Ende Mai von den Eltern in eine Klinik nach Rheinfelden (CH) gefahren, nachdem es beim Fläschchentrinken das Atmen eingestellt hatte. Die Mutter steuerte das Auto, der Vater versuchte, das nicht mehr atmende Kind mit Herz-Druckmassagen und Mund-zu-Mundbeatmungen zu reanimieren. In Rheinfelden wurde das Kind an ein Beatmungsgerät angeschlossen und sofort nach Basel weitergeleitet.

Dort stellten die Ärzte mehrere Knochenbrüche fest, von denen einige älteren Datums gewesen sein mussten. Den Genickbruch sahen sie erst Tage später im MRT. Diese Wirbelverletzung lieferte schließlich den Grund für den Atemstillstand. Wie die leitende Ärztin vor Gericht sagte, hatte sie sehr schnell den Kinderschutzbeauftragten der Klinik hinzugezogen, der die Schweizer Rechtsmedizin informierte, die dann die Polizei einschaltete.

Kindsmutter macht abwesenden Eindruck

Rasch war den Ärzten klar, dass das Kind lebenslang beatmet werden muss, dass es bis auf eine kleine Restfunktion im linken Arm dauerhaft gelähmt bleiben würde und, dass es in einer Facheinrichtung leben müsste, von denen es in der Schweiz überhaupt keine und in Deutschland nur sehr wenige gebe. Als dann das Baby das Lächeln einstellte und offenbar starke Schmerzen hatte, wurde entschieden, die Maschinen abzustellen.

„Es gibt in ethischen Entscheidungen nie ein richtig oder falsch“, sagte die Ärztin und machte damit deutlich, wie schwer sich die Verantwortlichen in der Klinik und das Jugendamt die Entscheidung machten. Als die Ärztin angab, Panik in den Augen des Kindes gesehen zu haben, wenn sich der Angeklagte ihm näherte, relativierte sie auf Einlassung des Verteidigers: „Das ist nicht wissenschaftlich fundiert.“ Die Kindsmutter habe auf sie stets einen abwesenden Eindruck gemacht, der Kindsvater hingegen einen sehr liebevollen.

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