Die Sonne geht über dem Ettikoner Lauffen langsam unter und taucht die mediterran wirkenden Gesteinsklippen in sanft rötliches Licht. Ein Hauch von Mittelmeerurlaubsgefühl macht sich breit. Doch die Idylle trügt.
Der Abschnitt des Rheins auf Höhe des Industriegebiets Kaitle zwischen Waldshut und Tiengen ist einer der Wasserunfallschwerpunkte am Hochrhein. David Lehr, Leiter Einsatz der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) Ortsgruppe Waldshut-Tiengen, erklärt warum: „Was hier passiert, ist sehr vielfältig.“
Der Ettikoner Lauffen ist ein besonderes Gelände
„Wir haben es mit wahnsinnig veränderlichem Wasser zu tun.“ Jedes Hochwasser, wie zuletzt im Juni, bringt Veränderungen mit sich. Es ist ein besonderes Gelände, „ein Ausläufer eines Jura-Massivs, mit hartem und zerklüftetem Gestein, das tiefe Spalten birgt.“ Normalerweise, so veranschaulicht der Experte, sind dunkle Stellen im Wasser meist tief und helle Stellen eher flach. Hier allerdings sei es genau umgekehrt.
„Selbst mit einem Motorboot ist der Ettikoner Lauffen kaum befahrbar. Man muss schon wissen, wie man durchkommt.“ Das Wasser fließe mit etwa vier bis fünf Metern pro Sekunde, wobei der Hauptstrom ungewöhnlicherweise in Ufernähe verlaufe statt wie üblich in der Mitte des Flusses. Dazu kommen Gefahren wie rückläufiges Wasser, Stromschnellen und einiges mehr.
Fahrradfahrer springt unbekümmert in den Rhein
Wegen dieser gefährlichen Gegebenheiten weisen gleich mehrere Schilder im Uferbereich auf das dort geltende Badeverbot hin. „Die werden aber regelmäßig missachtet“, weiß Lehr aus eigener Erfahrung.
Auch während die Strömungsretter gerade den Ernstfall proben, zieht sich ein Fahrradfahrer gemütlich seine Radlerkleidung aus und springt in das kühle Wasser. Er macht nicht den Anschein, zu wissen, in welche Gefahr er sich gerade begibt.
Für die Strömungsretter ist der Ettikoner Lauffen einer ihrer Ausbildungsplätze. Auch, um das Abseilen zu üben. Die etwa 100 Meter hohe Klippe am Ufer eignet sich hervorragend dafür.
Aber ist der Rheinabschnitt mit all seinen Tücken nicht auch für die Strömungsretter gefährlich? „Der Lauffen gehört zu unseren Heimatgewässern. Wir dürfen und müssen hier rein“, sagt David Lehr. „Ich habe sie alle ausgebildet. Es sind Fachkräfte. So ist das Risiko für mich tragbar.“

Die DLRG steckt ihm und seinem Bruder, Max Lehr, „in der DNA“. Ihre Eltern hätten über die ehrenamtliche Arbeit zueinander gefunden. „Unsere Familien allerdings mussten sich erst an den hohen Zeitaufwand, den wir für die DLRG erbringen, gewöhnen.“
Warum Strömungsretter? Vier Ehrenamtliche antworten
Tim Kiefer
„Ich bin Strömungsretter, weil das Ehrenamt super vielseitig ist. Von schwimmen bis klettern ist für jeden etwas dabei. Mit unserer Aufgabe kann man etwas bewegen.“
Nadja Schäfer
„Strömungsretter zu sein, macht mir Spaß. Ich liebe Aktivitäten, die etwas mit dem Wasser zu tun haben.“
Johannes Flügel
„Arbeiten im Wasser sind unsere Kernkompetenz als Strömungsretter. Das ist, was mich erfüllt.“
Judith Zimmermann
„Die Aufgaben der Strömungsretter sind am Hochrhein unglaublich wichtig. Ich möchte meinen Beitrag leisten.“
Die meisten Vermisstensuchen nehmen ein trauriges Ende
Am Ufer des Ettikoner Lauffen liegt eine spezielle Wasserrettungspuppe. Ihr Name ist Justin. Justin wiegt trocken etwa 40 Kilogramm und hat während der Rettungsübungen einen entscheidenden Vorteil gegenüber seinen menschlichen Kollegen: während die Strömungsretter in der Opferrolle immer etwas mithelfen, treibt Justin einfach schwer und leblos im Rhein. Damit simuliert er eine potenzielle, reale Situation.
Denn in den meisten Fällen finden die Rettungskräfte einen Vermissten leider nicht lebend. „Auch auf diese Situationen bereiten wir unsere Strömungsretter vor“, sagt David Lehr, Einsatzleiter der DLRG-Ortsgruppe Waldshut-Tiengen. Der Fund einer Leiche ist nicht für jeden leicht verkraftbar. „Deswegen feiern wir auch jeden Einsatz, der ein glückliches Ende nimmt.“
Ich bin in den Rhein gefallen und treibe davon – was tun?
Sollte ein Mensch in den Rhein fallen, gilt im Ernstfall: so lange wie möglich über Wasser bleiben. „Der Faktor Zeit ist immens wichtig. Am besten eignet sich die Passivlage, Bauch nach oben, Füße voraus. Entscheidend ist, so wenig Energie wie möglich zu verbrauchen und das Wasser für einen arbeiten lassen“, gibt Lehr mit auf den Weg.

Die Strömungsretter der DLRG-Ortsgruppe Waldshut-Tiengen kommen dann zum Einsatz, wenn auf, im oder am Wasser ein Menschenleben in Gefahr ist. „Wir sind ein Kettenglied der Notfallrettung, sprich, in akuten Fällen werden wir immer mit alarmiert.“

Die DLRG ist vielseitig und vernetzt
Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft ist breit aufgestellt. Neben der allgemeinen Aufgabe, dem Ertrinkungstod vorzubeugen und zu bekämpfen, gibt es verschiedene Fachgruppen wie die Strömungsretter. Sie sind speziell für Strom-, Fließ- und Wildwasser ausgebildet. Schon mit zwei intensiven Wochenenden können DLRG-Mitglieder den Strömungsretter Stufe eins absolvieren. Lehr: „Das ist aber noch lange nicht das Ende der Fahnenstange.“

Auch Einsätze außerhalb der Heimat gehören gelegentlich dazu. So waren die Waldshut-Tiengener Strömungsretter erst in diesem Jahr in Bayern während eines Hochwassers im Einsatz. Unter anderem haben sie dort Menschen und Tiere aus Häusern gerettet.
Menschenleben steht an erster Stelle
„Große Katastrophen entwickeln sich und sind dadurch ein bisschen planbarer“, erklärt Einsatzleiter David Lehr. „Zuerst greifen die Einsatzkräfte vor Ort ein. Irgendwann sind sie allerdings erschöpft und es muss auf Externe zurückgegriffen werden.“ Der Einzugskreis erweitert sich also nach und nach. So kamen schlussendlich auch die Strömungsretter vom Hochrhein nach Bayern.
Egal wo und egal wann, ihr Ziel ist immer das gleiche: Menschenleben retten.