Durch die Schweiz sind es mit dem Auto von Jestetten etwa 30 Minuten bis nach Singen. Wer regelmäßig dorthin muss, weil er oder sie sich in einer Behandlung befindet, die tägliche Termine erfordert, beispielsweise bei Bestrahlungen oder Chemotherapien, braucht nun rund eineinhalb Stunden oder sogar länger – über Stühlingen auf deutschem Gebiet.
Gerold Schmitt lebt in Jestetten und beschreibt im Gespräch mit dem SÜDKURIER: „Wenn jemand täglich oder mehrmals wöchentlich nach Singen und wieder zurück muss, ist die Fahrt über Deutschland ein enormer Zeitaufwand.“ Aus einer werden mindestens drei Stunden Fahrtzeit für den Hin- und Rückweg, da durch die Grenzschließung einzig die Fahrt über Stühlingen und den Randen nach Singen möglich ist.
Es gibt Ausnahmen
In Schmitts Familie gibt es einen solchen Fall: Eine Krebspatientin, die zur Strahlenbehandlung mehrmals die Woche nach Singen muss. Näheres will Schmitt nicht erzählen, denn „es sind ja noch viel mehr Menschen, die das in unserer Region betrifft.“ Was Schmitt ärgert: Es gibt Ausnahmen, in denen die Durchfahrt durch die Schweiz ausdrücklich erlaubt ist. Beispielsweise für Berufspendler, die aus Deutschland zu ihrem Arbeitsplatz, der ebenfalls in Deutschland liegt, durch die Schweiz fahren. „So eine Genehmigung müsste es auch für Krankentransporte geben“, ergänzt er.
Die Schmitts sind nicht die einzige Familie, die unter dem langen Anfahrtsweg zur Strahlentherapie Singen leidet. Wie Facharzt Johannes Lutterbach berichtet, müssen derzeit vier Patienten der Gemeinschaftspraxis für Strahlentherapie längere Fahrzeiten zwischen ihrem Wohn- und Behandlungsort in Kauf nehmen.
„Anfangs haben wir unseren Patienten sogar einen Passierschein ausgestellt“, berichtet Lutterbach. „Wir wurden dann allerdings von den Schweizer Beamten darauf hingewiesen, dass das zwar freundlich aber nicht im Einklang mit den bestehenden Regelungen sei.“
Dem Mediziner ist es trotzdem wichtig, nicht den Schweizer Beamten die alleinige Schuld in die Schuhe zu schieben. „Das Problem besteht wohl auf beiden Seiten der Grenze.“ Der Singener Experte für Strahlenheilkunde weiß auch, dass Zöllner in Einzelfällen beim Grenzübertritt ein Auge zugedrückt haben. Weil seine Patienten aber regelmäßig und über mehrere Wochen hinweg zur Therapie müssen, würde sich Johannes Lutterbach möglichst schnell eine verlässlichere Lösung wünschen.
Und hier zeigt sich, wie undurchsichtig die Regelungen an den geschlossenen Grenzen sind. Vor wenigen Tagen erklärte der Kreisbrandmeister und Verantwortliche für die Integrierte Rettungsleitstelle des Landkreises Waldshut, Dominik Rotzinger, dass Notfallrettung und Krankentransporte trotz der Grenzschließung weiter ungehindert funktionieren. Auch bei Notfallpatienten gelte weiterhin der Grundsatz, dass „das nächste geeignete Krankenhaus“ – ob dieses Krankenhaus auf deutscher oder Schweizer Seite des Rheins liege, sei unerheblich.
Doch Schmitt ist Privatmann. Wie ist das in seinem Fall?
Krankentransporte sind mittlerweile wieder möglich
Tatsächlich waren entsprechende Krankentransporte in den ersten Wochen der Grenzschließung nicht möglich. Deutsche wurden am Grenzübergang zur Schweiz abgewiesen. Dies habe sich allerdings mittlerweile geändert, wie Reto Kormann, Sprecher des Schweizer Staatssekretariats für Migration (SEM) erklärt. „Ja, diese Durchreise, beispielsweise von Jestetten nach Singen, ist erlaubt, sofern der Arzt- oder Spitaltermin belegt werden kann“, antwortet er. Ein gesonderter Antrag müsse nicht gestellt werden. „Die Prüfung erfolgt direkt an der Grenze“, so Kormann.