Es gibt Mythen und Legenden, die halten sich eisern. Ganz egal, ob sie wahr sind, an ihnen vielleicht nur ein Hauch Wahrheit klebt oder ob sie gänzlich falsch sind. Ein solcher Mythos ist die Erzählung, dass der Zug, der den russischen Revolutionsführer Lenin im Jahr 1917 aus seinem Exil in der Schweiz zurück in seine russische Heimat bringen sollte, den Rhein bei Waldshut überquert haben soll.

Viele Aspekte dieser Geschichte sind zweifelsfrei richtig. Tatsächlich reiste Wladimir Iljitsch Uljanows, besser bekannt als Lenin, in einem verplombten Waggon. Richtig ist auch, dass der Plan, Lenin unter größter Geheimhaltung aus seinem Schweizer Exil in Zürich nach Petrograd, dem späteren Leningrad und heutigem St. Peterburg zu bringen, stimmt. Nur, wo überquerte der Zug die deutsch-schweizerische Grenze zwischen Basel und Schaffhausen?

Der sowjetische Staatsgründer Wladimir Iljitsch Lenin, aufgenommen 1918 in Moskau. (Archivbild)
Der sowjetische Staatsgründer Wladimir Iljitsch Lenin, aufgenommen 1918 in Moskau. (Archivbild) | Bild: Tass/dpa

Wir schreiben das Jahr 1917, genau den 9. April, in jenem Jahr der Ostermontag. 32 Passagiere, darunter auch der spätere Regierungschef der Sowjetunion, Wladimir Iljitsch Lenin, warten vor dem Zürcher Hauptbahnhof auf die Abfahrt jenes Zugs, der sie quer durch Deutschland nach Russland bringen soll. Mitten in den Wirren des Ersten Weltkriegs, mitten durch ein Land, das sich mit seiner Heimat erbitterte Kämpfe lieferte.

Gleichwohl war die Reise letztlich von der deutschen Regierung organisiert worden. Obwohl Deutschland mit Russland im Krieg stand, stimmten die Deutschen der Durchreise Lenins zu, denn sie sahen in Lenins Rückkehr eine Chance, den Gegner zu destabilisieren. Die Reise führt per Bahn und Schiff quer durch Europa. Von der Schweiz nach Deutschland, weiter über die Ostsee nach Schweden und Finnland und schließlich ans Ziel ins heutige St. Petersburg.

Wer war eigentlich Lenin?

Lenin passierte Waldshut nicht

Dass er dabei die deutsch-schweizerische Grenze bei Waldshut überquert haben soll, ist ein Gerücht, das in der Waldstadt immer wieder einmal aufflackert. Es entpuppt sich bei näherer Betrachtung allerdings als Mythos, der leicht zu widerlegen ist. Tatsächlich überquerte Lenin, der Gründer der Sowjetunion, die Grenze in seinem verplombten Zug bei Gottmadigen. Vor der Weiterfahrt in Richtung Norden folgte eine Übernachtung in Singen.

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Wie es zu dem Gerücht kam, der Bolschwikenführer Lenin habe den Hochrhein zwischen Koblenz und Waldshut überquert, kann der Waldshut-Tiengener Stadtarchivar Ingo Donnhauser auf Anfrage des SÜDKURIER nichts sagen. Donnhauser: „Leider ließ sich kein Hinweis ermitteln, wo die erwähnte Geschichte, Lenin sei 1917 durch Waldshut gekommen, ihren Ursprung haben mag.“ Sie sei jedenfalls nicht der gängigen ortsgeschichtlichen Literatur entnommen. Der Waldshut-Tiengener Stadtarchivar weiter: „Auch in unserer Aktenüberlieferung oder den uns digital zugänglichen Presseartikeln taucht sie nicht auf.“

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Die Eisenbahnbrücke bei Waldshut

Am 26. August 1857 vereinbarten die Großherzoglich Badischen Staatseisenbahnen mit der Schweizerischen Nordostbahn den Bau der grenzüberschreitenden Bahnstrecke Turgi–Koblenz–Waldshut mit der Rheinbrücke. Damit war es bei der Inbetriebnahme am 18. August 1859 die erste Verbindung zwischen der Badischen Hauptbahn und dem schweizerischen Eisenbahnnetz. Die Verbindungsbahn in Basel wurde erst 14 Jahre später in Betrieb genommen. Der badische Baurat Robert Gerwig entwarf das Bauwerk und hatte die Bauleitung der Brückenarbeiten inne. Die Brücke wurde für zwei Gleise ausgelegt, allerdings war immer nur ein Gleis vorhanden.

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