Drei Jahre sind seit dem Verschwinden der Wanderin Scarlett S. ins Land gezogen. Auf dem Schluchtensteig zwischen Todtmoos und Wehr wurde sie damals zuletzt gesehen. Seither fehlt von ihr jede Spur. Doch geblieben ist die große Faszination an dem Fall. Diese zeigt sich nicht nur anhand von ehrenamtlichen Suchtrupps, die sich noch immer regelmäßig aufmachen. Auch auf sozialen Medien hält das Interesse an Scarletts Schicksal an – und beschäftigt allein auf Facebook und Instagram 20.000 Follower.

Aber was macht den Fall so besonders, dass er auch nach Jahren noch auf solches Interesse stößt und so viele Menschen mobilisiert? Und wie geht es den Angehörigen der Verschwundenen dabei?

Dr. Andreas Jähne, Ärztlicher Direktor der Oberberg Fachklinik Rhein-Jura in Bad Säckingen.
Dr. Andreas Jähne, Ärztlicher Direktor der Oberberg Fachklinik Rhein-Jura in Bad Säckingen. | Bild: www.oberbergklinken.de / Fotograf: Wolfgang Stahr

Andreas Jähne, Ärztlicher Direktor der Oberberg Fachklinik Rhein-Jura und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, hat Antworten.

Faszination des Unerklärlichen

Aushang am Schmidts Markt in Todtmoos: Gezielt wurde auf verschiedenen Kanälen bis hin zu einem Beitrag in der Sendung ...
Aushang am Schmidts Markt in Todtmoos: Gezielt wurde auf verschiedenen Kanälen bis hin zu einem Beitrag in der Sendung „Aktenzeichen XY“ versucht, aus der Öffentlichkeit Hinweise zum Verbleib der Frau zu erhalten. | Bild: Andreas Böhm

Nach Jähnes Einschätzungen kommen im Fall der vermissten Wanderin Scarlett verschiedene Faktoren zusammen, die in ihrer Summe einen großen Reiz ausüben.

„Zuallererst ist es einfach eine sehr mysteriöse Geschichte. Normalerweise verschwindet ein Mensch einfach nicht spurlos“, sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung. Unerklärliche Vorkommnisse bieten wiederum Raum für Spekulationen und die eigene Fantasie.

Zwischen Rotkäppchen und Horrorfilm

Zwischen Idylle und Horror – diese Kombination prägt den Fall Scarlett sehr und macht auch den Reiz aus.
Zwischen Idylle und Horror – diese Kombination prägt den Fall Scarlett sehr und macht auch den Reiz aus. | Bild: Andreas Böhm

Verstärkt werde die Wirkung dieses Falls durch die starken Kontraste, die er beinhaltet: Die junge, attraktive Frau, die im wildromantischen Schwarzwald Erholung und Entspannung suchte, verschwindet. Vor der Natur-Idylle entspinne sich ein wie auch immer gearteter Alptraum. Viele offene Fragen bleiben. „Mit derartigen Gegensätzen beginnen viele Horror-Filme. Wir haben bei dieser Konstellation auch die Rotkäppchen-Geschichte oder andere Mythen und Sagen vor Augen“, erklärt Jähne.

Die vielen ungeklärten Fragen, die mit der Angelegenheit verbunden seien, verstärken den Reiz an der Thematik. Gab es einen Unfall? Wurde die Frau Opfer eines Verbrechens? Ist sie untergetaucht? Gibt es trotz aller Bemühungen der Polizei Spuren, die noch nicht entdeckt wurden?

Öffentliche Aufmerksamkeit verstärkt das Interesse

Hinzu komme auch die mediale Aufmerksamkeit, die die Geschichte erhalten habe: „Natürlich wurde die Öffentlichkeit bewusst gesucht, um Hinweise auf den Verbleib der Frau zu erhalten“, so Jähne. Auch Zwischenstationen bei Suchbemühungen und Ermittlungsverfahren, Funde von möglichen Hinweisen, Jahrestage, Aufrufe von Angehörigen und vieles mehr trage zur Aufmerksamkeit bei.

Der Fall biete aber darüber hinaus viele thematische Ansatzpunkte, die dazu beitragen, dass er nicht in Vergessenheit gerät – und voraussichtlich noch lange präsent bleiben werde, sofern die Angelegenheit nicht aufgelöst werden könne.

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Wer wird von der Thematik besonders angesprochen?

Im Grunde seien es zwei Gruppen, die derartige Fälle sehr stark beschäftigen, wie Jähne darstellt: „Es sind zum einen die Hobbydetektive, die das Rätsel reizt, und die Mitfühlenden, die einfach Mitleid mit der Verschwundenen und ihren Angehörigen haben.“

Erstere Gruppe könne unterteilt werden in diejenigen, die hoffen, dass ein Teil der öffentlichen Anerkennung auf sie abfärbe, und die Faszinierten, die mit teils beachtlichem Ressourcenaufwand versuchen, Licht ins Dunkel zu bringen. „Es ist unterm Strich genauso wie bei einem anspruchsvollen Hobby, dem man mit großer Leidenschaft nachgeht.“ Nicht selten liege dem Ganzen die Überzeugung zugrunde, die man aus vielen Krimis kenne: Dass der Amateur schlauer sei oder größere Aufmerksamkeit auf ein Thema richten könne als die Polizei.

Private Suchaktion: Mit großem Aufwand und viel persönlichem Einsatz suchen private Suchgruppen seit dem Verschwinden der Wanderin nach ihr.
Private Suchaktion: Mit großem Aufwand und viel persönlichem Einsatz suchen private Suchgruppen seit dem Verschwinden der Wanderin nach ihr. | Bild: Hansi Brand

„Es gibt Beispiele, in denen Leute wirklich mit größter Akribie und Ehrgeiz ermittelt und über Jahre oder Jahrzehnte nicht locker gelassen haben.“ Teilweise seien die Bemühungen auch von Erfolg gekrönt.

Diese Form von Forscherdrang sei ein durchaus ur-menschliches Bestreben, auf das im weitesten Sinne auch wissenschaftliche Disziplinen wie die Archäologie zurückzuführen seien, schildert der Experte: „Gefährlich wird es aber dann, wenn Menschen verdächtigt oder eines Verbrechens bezichtigt werden, ohne dass es eine nachvollziehbare oder gar beweisbare Erklärung dafür gibt.“

Den Mitfühlenden gehe derweil vor allem das Schicksal nahe, gewissermaßen der emotionale Aspekt des Falls. Sie suchten Mittel und Wege, ihre Anteilnahme auszudrücken – auch wenn sie weder die Vermisste noch deren Angehörige persönlich kennen.

„Für Angehörige ist so ein Fall die Hölle“

Bild 5: Scarlett S. ist spurlos verschwunden –  Warum nicht nur die Polizei nach der Wanderin sucht
Bild: Steller, Jessica

Ohnehin hätten Angehörige in einem Vermisstenfall ein „schweres Schicksal“ zu tragen. „Die Hoffnung bleibt, so lange es keine Sicherheit gibt, was wirklich passiert ist“, bringt es Jähne auf den Punkt. Das könne, wie im vorliegenden Fall, bedeuten, dass man als Familienangehöriger Jahre lang in Unsicherheit lebe, in der jede neue Entwicklung wieder Hoffnungen schüre, die sich am Ende womöglich wieder in Luft auflöse: „Es ist einfach die Hölle für Angehörige – erst recht, wenn das Verschwinden so plötzlich und ohne Hinweise passiert.“

Gerade die Seltenheit des Falls Scarlett trage derweil zur Tragik bei. Denn dass jemand spurlos verschwinde und über Jahre nicht gefunden werde, komme deutschlandweit kaum vor. Vielmehr würden die allermeisten Vermisstenfälle relativ zeitnah aufgeklärt, so Jähne weiter.

Die Folge: „Die Angehörigen bräuchten eigentlich dringend Hilfe, aber es fehlt schlicht die Erfahrung und die Routine im Umgang mit derartigen Fällen, weil sie praktisch kaum vorkommen.“ Für die Familie heißt das, dass sie auf eine unabsehbare Zeit in der Luft hängt, gefangen in einem Wechselbad der Gefühle – in der Hoffnung, irgendwann in irgendeiner Hoffnung Gewissheit zu erhalten und abschließen zu können, aber konfrontiert mit der Ungewissheit, ob dieser Fall überhaupt eintritt.

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