Bei den Sars-CoV-2-Infektionen schaut die Welt auf Zahlen: Zahlen zu Neuinfizierten, Genesenden, Gestorbenen, Tageswerte, Wochenwerte, Inzidenzwerte, Grenzwerte. Abseits der Statistiken wird aber seit einiger Zeit sichtbar, dass das Virus nicht nur organische Erkrankungen auslöst, sondern auch die seelische Gesundheit stark beeinträchtigen kann. Zunehmend zeigt die Corona-Pandemie psychosomatische Folgen – und das auch in unserer Region, wie Andreas Jähne, Ärztlicher Direktor der Oberberg Fachklinik Rhein-Jura in Bad Säckingen und der Oberberg Tagesklinik in Lörrach, aus eigener Erfahrung beschreibt. Bis Ende 2020 waren etliche Patienten – mit steigender Tendenz – in der Klinik in Bad Säckingen mit dem so genannten Post-Sars-CoV-2- oder auch Post-Covid-19-Syndrom (kurz: PSCS) in Behandlung.
PSC-Syndrom: Nicht nur Infizierte sind betroffen

„Rasche Erschöpfung und Abgeschlagenheit, eingeschränkte Leistungsfähigkeit, Konzentrationsstörungen Kurzatmigkeit, Schlafstörungen und Muskelschmerzen“: Das sind mögliche Folgen nach der akuten Phase einer Sars-CoV-2-Infektion, die sich drastisch auf die Psyche auswirken können.
Wie stark das PSC-Syndrom jeweils ausgeprägt ist, könne nicht auf die Schwere der Covid-19-Erkrankung zurückgeführt werden: „PSCS tritt nicht nur nach schweren Covid-Verläufen auf“, erklärt Jähne.
Auch bei Personen, die gar nicht selbst infiziert waren, hinterlässt das Virus seelische Folgen und Narben: Der Verlust von Angehörigen, der fehlende Abschied und die damit einhergehende psychische Belastung, Isolation und Einsamkeit, aber auch hohe Belastung und Burnout im beruflichen Umfeld sowie Mehrfachbelastungen etwas durch zusätzliches Homeschooling in der Pandemie nennt Jähne als Beispiele. Eine weitere Schwierigkeit: „Corona“ ist – noch immer – ein Stigma-Thema, Betroffene fürchten häufig Ausgrenzung und persönliche Nachteile.
PSCS-Patientenwellen kommen zeitverzögert
„Wir haben bis im Dezember 2020 bei uns in der Klinik vor allem Patienten aus der ersten Welle im Frühjahr betreut“, schildert Jähne. Die PSCS-Patienten-Wellen erreichen die Kliniken mit zeitlicher Verzögerung. Mittlerweile sind es auch viele Patienten aus der zweiten Welle im Herbst, die in der Klinik in Bad Säckingen behandelt werden.
Ein großes Thema ist bei der Behandlung des PSC-Syndroms die Erfahrung mit dem so genannten Fatigue-Syndrom, wie Jähne erläutert: Es umfasst unter anderem beispielsweise wiederkehrende oder dauerhafte Phasen der extremen Erschöpfung oder Müdigkeit, Konzentrations- und Schlafstörungen oder Kurzatmigkeit, wie der Ärztliche Leiter erläutert. Bei der Behandlung sei jeweils entscheidend, dass die in der Klinik multimodal erfolgt. Im Fall des Fatigue-Syndroms heißt das, dass beispielsweise internistisch, aber auch psychosomatisch behandelt wird.
Wie kann PSCS-Patienten geholfen werden?
„Wichtig sind beispielsweise Akzeptanzübungen, also das Lernen aktiv zu leben, ohne sich zu überlasten. Es geht aber auch darum, Grenzen zu akzeptieren, den neuen Alltag mit seinen Einschränkungen auf absehbare Zeit anzunehmen“, nennt Jähne einen möglichen Ansatz der Psychotherapie. Für die Diagnostik und Behandlung des PSCS-Syndrom wird derzeit an wissenschaftlich fundierten Leitlinien gearbeitet, aber es gibt noch keinen etablierten Standard, wie Jähne ausführt: „Unsere Behandlung leiten wir aus evidenzbasierten Therapieempfehlungen zu Erschöpfungs- und Schmerzsyndromen sowie relevanten psychischen Störungen ab.“
Wer über Wochen und Monate nach Abklingen der eigentlichen Covid-19 Erkrankung noch oder gar vermehrt Symptome zeigt, sollte sich medizinisch nochmals untersuchen lassen. „Es braucht darüber hinaus Strategien für die Rückkehr ins gewohnte Leben“, weiß der Experten der Rhein-Jura-Klinik, „Therapiekonzepte, die den Menschen helfen, ihre Krise zu bewältigen.“ Die Behandlung von organischen Erkrankungen wird je nach Bedarf durch weitere Therapien ergänzt: Atem- und Physiotherapie, Schmerzmanagement, Ernährungsberatung, Psychotherapie / Psychosomatische Behandlung mit Inhalten wie Stressreduktion oder Achtsamkeit.
Andreas Jähne weist darauf hin, dass sich Betroffene möglichst rasch Hilfe holen sollten: „Wer Symptome bei sich feststellt, sollte sich unbedingt an seinen Hausarzt wenden. Das ist wichtig, denn je schneller mit der Behandlung begonnen wird, desto besser sind die Heilungsaussichten.“ Der Mediziner betont: „Covid-19 ist definitiv nicht nur ein Schnupfen. Auch mit Glück und ohne schweren Verlauf ist die Erkrankung nicht harmlos – nicht in der akuten Phase und auch nicht danach.“