Die Energiekrise krempelt alles um. Jahrelang importierte Deutschland Atomstrom aus Frankreich. In die Gegenrichtung floss Erdgas meist russischer Herkunft über die Grenze. Inzwischen bezieht Frankreich, dessen Kernkraftwerke derzeit nicht genügend Energie produzieren können, Windstrom aus Deutschland. Im Gegenzug liefert es Erdgas.

Am Donnerstagmorgen um 6 Uhr strömten im saarländischen Grenzort Medelsheim die ersten Kubikmeter ins deutsche Transportnetz. Allerdings bezieht Deutschland schon sehr viel länger Erdgas aus Frankreich – und zwar seit fast drei Jahren über den Einspeisepunkt Wallbach bei Wehr.

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Westlich der Schweizer Gemeinde Wallbach und des Wehrer Stadtteils Brennet kreuzt die 1972 bis 1974 erbaute und 2002 um eine zweite Röhre erweiterte Trans-Europa-Naturgas-Pipeline (TENP) den Rhein und die Grenze zur Schweiz.

Von Wallbach verlaufen die Doppelleitungen mit 900 bis 1000 Millimeter Durchmesser nordwärts 500 Kilometer weit bis nach Bocholtz an der niederländischen Grenze. Südwärts quert das Pipelinesystem 170 Kilometer lang die Schweiz und die Alpen und verläuft dann weiter nach Italien hinein.

Das französische Gas wird über die Schweiz transportiert

Die TENP stellt die bedeutendste Nord-Süd-Achse des europäischen Erdgas-Verbundsystems dar. Zusammen mit Italien und der Schweiz versorgt sie auch die deutschen Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg.

Ursprünglich sollte sie große Gasmengen von Norden nach Süden transportieren. Seit 2018 ist Gasfluss auch in Gegenrichtung (Reverse Flow) möglich. In den ersten Jahren wurde diese Option nur selten wahrgenommen, seit dem Stopp der russischen Lieferungen nach Deutschland allerdings stark vermehrt. Das französische Gas kommt über den Einspeisepunkt Rodersdorf ins Schweizer Transitnetz und wird über Lostorf nach Wallbach transportiert.

Frankreich setzt Geruchsstoff zu, Deutschland filtert ihn heraus

Um Gas aus Frankreich beziehen zu können, muss ein besonderes technisches Problem gelöst werden: Um Lecks leichter aufspüren zu können, wird dem geruchslosen Gas ein Geruchsmittel zugesetzt. Dafür wird oft Tetrahydrothiophen (THT) verwendet, eine Schwefelverbindung.

Weil diese bei manchen Verwendungen in der Industrie auf lange Sicht Schäden verursachen könnte, erhalten in Deutschland Großkunden nichtodoriertes Gas direkt über das Transportnetz geliefert, das Geruchsmittel wird erst im Verteilnetz der regionalen Gasversorger hinzugefügt. In Frankreich wird THT hingegen bereits im Transportnetz verwendet. Deshalb muss beim Import aus Frankreich der Geruchsstoff zunächst entfernt werden. Dies geschieht in einer Deodorierungsanlage.

Die vier bis zu 18 Meter hohen Druckbehälter sind der augenfälligste Bestandteil der Deodorierungsanlage Lachengraben. In ihr wird für ...
Die vier bis zu 18 Meter hohen Druckbehälter sind der augenfälligste Bestandteil der Deodorierungsanlage Lachengraben. In ihr wird für das deutsche Netz bestimmtes französisches Gas von künstlichen Geruchsstoffen gereinigt. Dieses Bild entstand im Mai 2020. | Bild: Erich Meyer

Im Dezember 2020 ging unweit des Übergabepunkts Wallbach zwischen Schwörstadt und dem Wehrer Stadtteil Brennet nach gut zwei Jahren Bauzeit die für 50 Millionen Euro errichtete Deodorierungsanlage Lachengraben in Betrieb.

Sie besteht aus vier zwölf bis 18 Meter hohen Druckbehältern, in denen bis zu 900.000 Normkubikmeter Erdgas pro Stunde vom zugefügten Geruchsmittel befreit werden können.

Der am Donnerstag im Saarland in Betrieb genommene Übergabepunkt verfügt noch über keine Deodorierungsanlage. Für eine Übergangszeit soll das französische Gas hier mit Geruchsstoffen übernommen werden.

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