Der Laufenburger Matthias Kuhne ist von Geburt an hochgradig schwerhörig. Auf dem linken Ohr hört er nichts. Mit Hilfe des Hörgeräts kann er immerhin auf dem rechten Ohr zu 60 Prozent hören. Normalerweise liest er seinem Gegenüber von den Lippen ab. Denn nur dann versteht er auch wirklich, was er hört. Doch seit die Maskenpflicht gilt, ist diese Strategie unmöglich geworden. Denn der Mund wird unsichtbar und die Laute erreichen den Empfänger nicht. Der Mund-Nasen-Schutz wird also für Matthias Kuhne und viele andere Hörgeschädigte zu einem großen Hindernis – im privaten und beruflichen Umfeld. Und das führt, wie Kuhne sagt, für gehörlose und schwerhörige Menschen zu einer noch größeren Isolation.
Unangenehme Situationen im Alltag
Matthias Kuhne nennt ein Beispiel: Als er noch vor dem zweiten Lockdown in einer Wirtschaft gewesen war, wollte er bezahlen. Der Wirt habe nach mehrmaligem Nachfragen hinter seiner Maske den Betrag geschrien. „Doch Schreien verstehe ich auch nicht“, macht Kuhne klar. „Viele Menschen meinen, sie müssten mit mir lauter sprechen oder sogar schreien, doch das bringt nichts“, so der 50-Jährige. Möchte er sich beim Einkaufen, zum Beispiel an der Wursttheke, etwas aussuchen, sei dies kein Problem, solange er wisse, was er wolle. „Nur wenn Rückfragen der Verkäuferin kommen, kann es zu Problemen kommen“, schildert Kuhne.
Und Kuhne erzählt von einer weiteren Situation. Er habe kürzlich einen gehörlosen Freund als Dolmetscher auf ein Amt begleitet. Der Beamte habe die Maske nicht abnehmen wollen. „Er musste dann fünf Mal das Gleiche sagen, bis ich es verstanden habe“, erzählt Kuhne. „Das ist schon unangenehm, wenn ich mehrmals nachfragen muss.“ Es gebe auch viele Situationen in denen er einfach aufgebe, wenn er es nach dreimaligem Nachfragen nicht verstehe. „Das ist nicht zufriedenstellend“, so Kuhne.
Wie er die Hürden überwindet
In der Arbeit oder auf Ämtern freut sich Kuhne darüber, wenn Plexiglas-Scheiben vorhanden sind. Denn dann ist ein gewisser Infektionsschutz auch ohne Maske vorhanden und Kuhne kann seinem Gegenüber von den Lippen ablesen. Auch im Gespräch mit SÜDKURIER-Redakteurin Verena Wehrle sitzt Kuhne auf Abstand hinter einer Plexiglas-Wand. Dort erzählt er offen von seiner Einschränkung und es kommt kaum zu Nachfragen seinerseits.

Doch im Alltag gibt es oft Situationen, wo Plexiglas-Wände nicht vorhanden sind. Wie löst Kuhne das Problem? „Treffe ich auf Hörende mit Maske, sage ich offen, dass ich nicht gut hören kann und bitte darum, die Maske abzunehmen“, sagt er. Natürlich müsse dann mit reichlich Abstand gesprochen werden. Doch zu viel Abstand würde auch das Lippenlesen schwierig gestalten. Denn: „Ich bin extrem kurzsichtig.“ Und dann könne er die Lippenbewegungen nicht mehr gut erkennen. Auch Gespräche in dunkler Umgebung seien schwierig.
So kommunizieren Hörgeschädigte
Bittet Kuhne seine Gesprächspartner darum, die Maske abzulegen, hätten diese zum größten Teil Verständnis und würden dies auch tun, erzählt er. Aber, wenn sein Gegenüber keine Maske trage, er aber doch, hat er keinen Infektionsschutz. „Ich mache mir schon Gedanken, aber ich mache mich nicht verrückt“, sagt Kuhne dazu. Dennoch: „Ich fühle mich nicht wohl dabei.“
Sein Wunsch an Hörende
Im Gespräch mit Hörenden wünsche er sich von diesen, dass sie deutlich und langsam mit ihm sprechen. Damit von den Lippen abgelesen kann, sollte bei genügend Abstand, die Maske abgelegt werden. Wichtig sei auch der direkte Blickkontakt. Das Lippenlesen sei für ihn jedoch sehr anstrengend.
„Wenn ich das den ganzen Tag mache, bin ich am Ende fix und fertig.“ Auch die Mimik sei entscheidend. „Spricht man mit Maske, erkenne ich es oft nicht, ob etwas gut- oder bösartig gemeint ist, doch diese Problematik teilen wir mit den Hörenden.“ Wenn man sich gar nicht verstehe, werde das Gesagte einfach aufgeschrieben.
Positive Reaktionen
In 50 Jahren hat Matthias Kuhne kaum schlechte Erfahrungen mit Reaktionen auf sein schlechtes Gehör gemacht. „Ich bin froh, dass alle Rücksicht nehmen“ sagt er. Er berichtet von überwiegend positiven Reaktionen: „Die Hörenden sind sehr interessiert an der Gebärdensprache, kommen auf uns zu, fragen uns wie das geht“, erzählt er. Und auch die Lautsprache würden viele schön finden.

Auch Matthias Kuhne zeigt Verständis. Schließlich könne auch er von anderen nicht verlangen, die Maske abzunehmen. Die Folge: Vor der Pandemie ging er offen auf die Menschen zu und fragte sie, wenn er etwas wissen wollte, aber heute vermeidet er spontane Gespräche so weit wie möglich. Und das wiederum führe zu stärkerer Isolation als ohnehin schon.
Eine Welt für sich
In Gesellschaften seien Schwerhörige und vor allem Gehörlose schon immer isoliert, denn sie könnten sich nur auf einen Gesprächspartner konzentrieren. Kuhne selbst erlebt dies auch im Familienkreis. „Kommen dann mehrere zusammen, hört sich das Gesprochene für mich wie ein großes Durcheinander an“, erzählt er. So würden sich Hörgeschädigte zusammentun, unter sich kommunizieren – mit Gebärden- und Lautsprache.
Er selbst ist im Gehörlosenverein Singen, deren Mitglieder sich bis zum Corona-Ausbruch regelmäßig zum Austausch trafen. „Das ist eine Welt für sich“, sagt Kuhne. Diese Isolation seien sie gewohnt. Doch mit der Maskenpflicht werde sie nochmals verstärkt. Die Kommunikation ist nun noch eingeschränkter. Auch die Informationen, die bei ihm ankommen, seien weniger geworden. „Ich fühle mich isoliert“, sagt Kuhne. Auf der Arbeit sitzt er nun allein im Büro, zuvor waren noch zwei Kollegen im Raum, die bei Kommunikationsproblemen helfen konnten.
Digitale Medien als Gewinn
Für Gehörlose sei die Isolation noch größer, da sie noch weniger kommunizieren und Medien und Fernsehen nicht schauen könnten. Auch für ihn sei Fernsehen ohne Untertitel schwierig. „Es wäre schön, wenn bei allen Sendungen Untertitel eingeblendet würden“, so sein Wunsch. Im Bekanntenkreis würde die Kommunikation gut funktionieren, aber mit Fremden gebe es Hürden.
Fürs Telefonieren habe sein Arbeitgeber ihm extra einen Telefonverstärker eingebaut. Damit könne er gut umgehen. Wenn es gar nicht ginge, vermittle er an Kollegen. Für Hörgeschädigte seien die digitalen Medien wie E-Mail oder Videokonferenzen ein großer Gewinn.
Wieder mehr gemeinsam haben
Er blickt auf das Corona-Jahr zurück: „Es ist schlimm genug, wenn man isoliert ist. Aber wenn die Kommunikation gar nicht mehr da ist, dann ist das schon deprimierend.“ Er kann die Corona-Einschränkungen voll und ganz nachvollziehen. Aber: „Ich warte auf den Tag, an dem die Pandemie ein Ende hat, damit wir wieder mehr gemeinsam haben.“